26 Sitzung vom 16. Februar 1910 ſolche Frage nachher bei halb beſetztem Saal und Das ohnehin im allgemeinen horrende Verhältnis zu vorgerückter Zeit behandeln würden. Vorſteher ktaufmann: Die Geſchäftsord⸗ nungsdebatte iſt erledigt. Ich frage die Ver⸗ ſammlung, ob ſie ſofort in die Beratung dieſes (Gegenſtandes eintreten will. (Die Verſammlung beſchließt demgemäß.) Wir treten demnach ſofort in die Beratung der Anträge des Stadtv. Meyer und Gen. und des Stadtv. Bartſch und Gen. betr. Anderung des Geſetzes über die Wahlen zum Abgeordnetenhauſe. Die Anträge ſind bereits verleſen worden. Stadtv. Meyer: Meine Herren, die Antrag⸗ ſteller ſind ſich wohl bewußt, daß die politiſche Erörterung des Wahlgeſetzentwurfes in die Parla⸗ mente, die Vereine und die Verſammlungen gehört. Damit iſt aber nicht geſagt, daß wir, als eine kommunale Körperſchaft, darauf verzichten müſſen, uns mit dieſer Vorlage, die, wie keine andere, heute die geſamte öffentliche Meinung überall bewegt, zu beſchäftigen. Bei der großen Bedeutung der Beſchlüſſe des Preußiſchen Abgeordneten⸗ hauſes für unſere Stadt iſt es vielmehr unſere Pflicht, zu prüfen, ob das vorgeſchlagene Geſetz unſerer Bürgerſchaft die ihr gebührende Vertretung im Parlament gewährleiſtet. Dieſe Prüfung führt zu dem Ergebniſſe, daß, nach Maß⸗ gabe gerade der Charlottenburger Verhältniſſe, dem Entwurfe der ſchärfſte und entſchiedenſte Widerſpruch entgegengeſetzt werden wuß, und zwar hauptſächlich aus drei Geſichtspunkten. Der erſte Geſichtspunkt iſt die Ungerechtigkeit der Klaſſeneinteilung. Nach der preußiſchen Ver⸗ faſſung ſoll das Abgeordnetenhaus eine Volks⸗ vertretung ſein. Die Klaſſeneinteilung, die von dem Entwurf in ihrem Grundgedanken aufrecht erhalten und ſogar durch die Privilegierung einiger willkürlich herausgegriffener Bevölkerungsgruppen noch weiterhin verſchärft iſt, nimmt ihm dieſen Charakter und entrechtet die breite Maſſe der Be⸗ völkerung zugunſten einer Minderheit. Das tritt umſomehr in Erſcheinung, je ſtärker in einem Wahlkreiſe das von der Klaſſeneinteilung bevor⸗ zugte Element iſt, und das bevorzugte Element iſt in Charlottenburg beſonders ſtark. Unter allen deutſchen Städten erfreuen wir uns des größten Prozentſatzes von Millionären unter unſeren Steuer⸗ zahlern. Wir zählen unter 1000 Steuerzahlern jetzige Klaſſeneinteilung in Charlottenburg das mit mehr als 3000ℳ Einkommen rund 33 Millionäre. Deshalb gibt hier die Verteilung der Wähler auf die Abteilungen ein ganz beſonderes kraſſes Bild. Es wählen in der 1. Wählerabteilung in Char⸗ lottenburg rund 1500 Wähler, in der II. Wähler⸗ abteilung rund 7200, alſo in den beiden erſten Wähler⸗ Abteilungen zuſammen rund 8700 gegenüber mehr als 54000 Wählern, die in der III. Wählerabteilung zuſammengepfercht ſind. Nach Prozenten ge⸗ rechnet entfallen in ganz Preußen auf 100 Wähler in der I1. Abteilung 3,82, in Charlottenburg nur 2,45 Wähler, in der II. Abteilung in ganz Preußen 13,87, in Charlottenburg nur 11,50, in der III. Ab⸗ teilung 82,32 in ganz Preußen, in Charlottenburg aber 86,05. (Hört, hört!) der Wählerabteilungen untereinander iſt alſo hier noch ganz erheblich verſchlechtert. Meine Herren, das läßt ſich auch nach anderen Richtungen belegen. Während in ganz Preußen der durchſchnittlich zurechnungsfähige Geſamtſteuer⸗ betrag in der 1. Abteilung 755 ℳ beträgt, beläuft er ſich — immer die Zahlen der letzten Wahlen zugrunde gelegt — hier auf rund 2830 ℳ; in der II. Abteilung beträgt er hier 571 ℳ gegen 180 in ganz Preußen. Dadurch kommt es, daß bei uns in der III. Abteilung durchſchnittlich 176 Ur⸗ wähler einen Wahlmann wählen, in der II. Ab⸗ teilung 24 Urwähler und in der 1. Abteilung gar nur 5 Wähler einen Wahlmann wählen oder, wie man da richtiger ſagen kann, ernennen. Der Urwähler III. Abteilung übt ſomit in Charlotten⸗ burg knapp den 35. Teil des Einfluſſes aus, der dem Urwähler 1. Abteilung zuſteht! Und nun, meine Herren, frage ich Sie: wer iſt Wähler in unſerer III. Abteilung? Auch dafür geſtatten Sie mir, einige wenige Zahlen zu geben. Ich will den Urwahlbezirk, in dem Wähler mit mehr als 100 000 ℳ Einkommen in der III. Ab⸗ teilung wählen, nur der Originalität wegen er⸗ wähnen. (Heiterkeit.) Aber wichtiger iſt es doch ſchon, daß in 20 unter den hieſigen 176 Urwahlbezirken Wähler mit Ein⸗ kommen bis zu 30 500 bis 100 000 ℳ. in der III. Wählerabteilung wählen, daß in weiteren 33 Bezirken Einkommenſätze von 9500 bis 30 500 ℳ noch in die I1II. Wählerabteilung fallen. Das bedeutet, daß in einem außerordentlich erheblichen Teile aller Urwahlbezirke wenige Oligarchen zwei Dritteile der Wahlmänner erwählen, das Gros der Bevölkerung hingegen als Wähler 1I1. Ab⸗ teilung ausgeſchaltet iſt. Natürlich wird das nicht dadurch beſſer, daß durch die Teilung der Wähler⸗ abteilungen innerhalb der Urwahlbezirke in ein⸗ zelnen Gegenden auch einige Kurioſitäten nach der entgegengeſetzten Richtung vorhanden ſind, daß es beiſpielsweiſe 5 Wähler in der I. Wähler⸗ abteilung gibt, die überhaupt keine Einkommen⸗ ſteuer bezahlen, ſondern bei denen ein fingierter Steuerſatz von 3 ℳ eingeſetzt wird. (Hört, hört!) Denn ebenſowenig wie für eine Wahl zur Volks⸗ vertretung das plutotratiſche Prinzip herrſchen darf, ebenſowenig ſoll man die Größe des Ein⸗ fluſſes des Wählers davon abhängig machen, in welcher Straße oder gar in welcher Hausnummer er wohnt. Genug der Beiſpiele! Sie beweiſen, daß die Wahlrecht der Bevölkerung in ein unerträgliches Wahlunrecht umkehrt. Der Geſetzentwurf hält aber an dieſer Klaſſeneinteilung im Prinzip feſt; er mildert ſie nur einerſeits durch die ſoge⸗ nannte Maximierung, über deren geringe Wirkung in der Preſſe ſo ausführlich geſchrieben, im Ab⸗ geordnetenhauſe ſo richtig geſprochen worden iſt, daß ich mir weitere Ausführungen darüber erſparen kann; er verſchärft ſie aber auf der anderen Seite durch die Privilegien, die er den Akademikern, Beamten, früheren Offizieren, Militäranwärtern uſw. einräumt. Hierdurch würde auch in unſrer Stadt noch ein neuer Gegenſatz erzeugt zwiſchen dieſen privilegierten Perſonen und dem Gros des Mittelſtandes, den Handwerkern und Kaufleuten