Sitzung vom 16. Februar 1910 und der geſamten Arbeiterſchaft, kurz allen, die einflußlos in der III. Abteilung zurückbleiben. Wir proteſtieren ſcharf gegen dieſe Entrechtung von mitbürgern, die wir für ebenſo wertvoll und für ebenſo gut halten wie jene anderen, deren Privileg teilweiſe auf nichts anderem beruht als auf den glücklicheren Verhältniſſen, in denen ſie geboren ſind. (Sehr richtig!) Meine Herren, zu der ungerechten Einteilung der Bürger untereinander tritt nun und hieran will die Vorlage nichts 6ndern die ungere ch te Einteilung der Wahlkreiſe, durch die unſere Stadt mit am meiſten benachteiligt iſt. Schon nach der Volkszählung von 1905 ſtand unſer Wahltreis Charlottenburg mit 62 663 Urwählern unter allen preußiſchen Städten an dritter Stelle, was die Zahl der Wähler anbelangt, während nach dem Durchſchnitt von ganz Preußen auf rund 17 350 Wähler ein Abgeordneter entfiel. Natürlich wird ſich dieſes Verhältnis noch verſchlimmern, jemehr unſere Stadt an Bevölkerung gewinnt, wie das in den letzten 5 Jahren ja ſchon in erheblichem Umfange der Fall war. Aber, wie geſagt, ſchon nach der Zahl von 1905 kamen uns ſtatt unſeres einen Abgeordneten im Verhältnis zu der Geſamtzahl der Abgeordneten vier Abgeordnete zu. Die ungeheure Zurück⸗ ſetzung unſeres Wahlkreiſes wird jedoch noch beſſer illuſtriert durch den Vergleich mit einigen anderen. Gegenüber unſerem Wahlkreis mit ſeinen faſt 63 000 Urwählern gibt es § Wahlkreiſe in Preußen, in denen weniger als 8500 Urwähler einen Abge⸗ ordneten ernennen, und dieſe 8 Wahlkreiſe zu⸗ ſammen haben etwa genau ſo viel Urwähler wie unſer Charlottenburg. Die Wahlkreiſe Norder⸗ dithmarſchen, Hohenzollern, Münſterberg, Greifen⸗ berg, Schrimm⸗Schroda, Heiligenbeil, Mohrungen und Eckernförde ſchicken zuſammen acht Ab⸗ geordnete ins Parlament, wir mit genau derſelben Bevölkerungszahl einen! (Hört, hört!) Meine Herren, es iſt nicht zu viel geſagt, wenn wir feſtſtellen, daß durch die Wahltreiseinteilung auf der einen Seite ein unerhörtes Pluralwahlrecht be⸗ ſonders für ländliche, für agrariſche Kreiſe beſteht, daß aber auf der anderen Seite die Einwohner der Hauptſtädte, der Großſtädte Preußens und vor allen Dingen unſere Charlottenburger Bürger mit einem Teilwahlrecht ſich begnügen müſſen. (Sehr richtig!) Ich gehe gar nicht darauf ein, daß dieſes Mißverhältnis natürlich noch ſchärfer wird, wenn man die Steuerleiſtungen zugrunde legt — ſchon deshalb nicht, weil ich mich zu dem plutokratiſchen Prinzip auch nicht vorübergehend bekennen will. Der dritte Geſichtspunkt, auf den unſer Antrag hinweiſt, iſt die Offentlichkeit der Wahl. So wichtig gerade dieſer Punkt iſt, ſo groß ſeine Bedeutung von uns allen, hoffe ich, geſchätzt wird, darf ich mich hier doch kurz faſſen. Denn niemand, der den Wunſch hat, daß bei den Wahlen die wirk⸗ liche Stimmung des Volkes zum Ausdruck kommt, kann die öffentliche Wahl verteidigen. Man wird nicht behaupten, daß durch die öffentliche Stimm⸗ abgabe in Charlottenburg ſchlimmere Mißſtände gezeitigt worden ſind als anderswo; aber wir müſſen auch für die Zukunft unſere Bürgerſchaft davor ſchützen, daß die Freiheit ihrer Abſtimmung durch Abhängigteitsverhältniſſe irgendwelcher Art, ſei es dienſtlicher, ſei es geſchäftlicher, ſei es geſell⸗ 27 beeinträchtigt wird. Auch in unſrer Stadt mehrt ſich, wie überall, die Zahl der Beamten und ſonſtigen Angeſtellten, die nach Vor⸗ geſetzten und Dienſtherren zu fragen haben. Vor allem kann hier gerade auch der geſchäftliche Boykott eine beſondere Bedeutung gewinnen und wiederum für den Mittelſtand, die Kaufleute, das Hand⸗ werkertum beſonders ſchädlich werden, weil es durch die örtlichen Verhältniſſe jedem Käufer möglich iſt, ſeinen Bedarf nicht nur in verſchiedenen Geſchäften Charlottenburgs, ſondern auch in denen der angrenzenden Kommunen, vor allen Dingen Berlins zu decken, ſo daß die Durchführung eines Boykotts gegen einheimiſche Gewerbetreibende ungemein erleichtert iſt. Deshalb, meine Herren, haben wir hier ebenſo viel oder noch mehr Urſache als in anderen Kommunen, uns gegen das öffent⸗ liche Wahlrecht zu wenden. Nur die freie Wahl iſt eine Wahl, und eine Wahl, die unter dem Zwange eines Abhängigkeitsverhältniſſes zuſtande kommt, iſt wertlos, iſt gefährlich für den Wähler, iſt eine Täuſchung für den Staat. (Bravo!) Meine Herren, ich habe mich gefliſſentlich bei meinen Ausführungen bemüht, alles Partei⸗ politiſche auszuſcheiden, weil ich davon ausgehe, daß es ſich hier nicht um eine Parteiangelegenheit handelt, ſondern um ein Geſamtintereſſe der Char⸗ lottenburger Bürgerſchaft. (Bravo!) Nun verkenne ich keineswegs, daß auch das Geſamtintereſſe der Charlottenburger Bürgerſchaft zurücktreten müßte, wenn etwa ein größeres Inter⸗ eſſe der. Allgemeinheit unſeres Vaterlandes für die Annahme des Geſetzentwurfs vorläge. Aber das beſtreite ich ganz entſchieden. Gewiß, es mag ſein, daß, wenn die Wünſche, die meine Freunde haben, in vollem Umfange Berückſichtigung fänden, unter den jetzigen Umſtänden eine Partei eine größere Macht gewönne, deren Machtvermehrung von anderen Parteien als ſtaatsſchädlich empfunden wird. Aber ſehr viel ſtaatsgefährlicher iſt es ganz gewiß, wenn einer Partei die Vertretung im Par⸗ lament gewaltſam vorenthalten wird, die ihr nach Stärke im Volke gebührt. (Sehr richtig!) Dadurch wird Unzufriedenheit erzeugt, dadurch wird die Ruhe im Innern zerſtört, und dadurch wird ein Zuſtand hervorgebracht, der unvereinbar iſt mit dem Grundſatze uum cuique, auf den allein die Wohlfahrt einer Nation dauernd gegründet werden kann. ſchaftlicher Art, (Bravo!) Deshalb ſtehen unſere Charlottenburger Inter⸗ eſſen mit den allgemeinen Intereſſen des preu⸗ ßiſchen Staates in keinem Widerſpruch, ſondern in vollem Einklange, und ich darf Sie bitten, ein⸗ mütig unſerm Antrage zuzuſtimmen, um zu un⸗ ſerem Teile beizutragen, daß ein Geſetzentwurf niedergeworfen wird, der zu den alten Ungerech⸗ tigkeiten des beſtehenden Wahlrechtes neue Un⸗ gerechtigkeiten hinzufügt, der die Verkürzung des Einfluſſes unſeres Wahltreiſes aufrechterhält und die Freiheit unſeres Bürgertums in der Ausübung ſeines vornehmſten und wichtigſten ſtaatsbürger⸗ lichen Rechtes bedroht. (Lebhafter Beifall.) Stadtv. Dr. Stadthagen: Meine Herren, meine Fraktion hat zu beiden Anträgen ja noch