Sitzung vom Stadtv. Vogel I1: Meine Herren, ich möchte Sie bitten, die Magiſtratsvorlage abzulehnen, im Gegenſatz zum Herrn Kollegen Jolenberg. Er meint, die neuen Maſten wären geſchmackvoll. Viele ſind anderer Anſicht. Es ſpricht ſich gerade in der heutigen „Neuen Zeit“ ein Eingeſandt ſehr energiſch gegen dieſe neuen Maſten aus. Ich habe ſie mir ſelbſt angeſehen. Meine Herren, wenn dieſe Dinger ausgeführt würden, ich würde mich nicht wundern, wenn man die Bismarckſtraße umtauft in „Giraffenſtraße“; (Heiterkeit) denn es ſind lauter Giraffenhälſe, die darüber ragen. (Heiterkeit.) Und dabei ſind ſie ſo immens teuer! Die Maſten in der Hardenbergſtraße ſind wirtlich geſchmackvoll, und ähnliche eignen ſich viel beſſer auch für die Bismarckſtraße; aber dieſe Giraffenhälſe — ich meine, da kommen wir beim Publikum ſchön an. Stadtv. Harniſch: Meine Herren, auf den Koſtenpunkt will und möchte ich mich hier nicht einlaſſen. Ich habe eigentlich nur von Herrn Kollegen Jolenberg gehört, daß er der Vorlage zuſtimmt. Es wurde geſagt, daß die Maſten, die daſtehen, die Bismarckſtraße verſchandeln, daß ſie Giraffenhälſe ſeien — obgleich ſie rot ange⸗ ſtrichen ſind; (Heiterkeit,) „rote“ Giraffenhälſe müßten Ihnen (nach links gewandt) doch beſonders imponieren. (Große Heiterkeit.) Ja, meine Herren, ich meine, die Maſten, die daſtehen, ſind das Beſte, was ich von Straßen⸗ maſten bisher kenne, und ich würde mich in der Tat ſehr freuen, wenn die Bismarckſtraße dieſen „Schmuck“ erhielte. Ich möchte das Wort Schmuck unterſtreichen und noch ein Ausrufungszeichen da⸗ hinterſetzer. Darüber, daß ſie geſchmacklos wären, wird unter Kennern, glaube ich, nicht geſtritten werden. Ich meine, die Maſten ſind ſo hübſch, wie nach meiner feſten und heiligen Überzeugung in Groß⸗Berlin nur wenig zu finden ſind — wenns wenige ſind; vielleicht ſinds überhaupt keine. Alſo das möchte ich ſagen, daß wir die Form der Maſten nicht kritiſieren können. Der Koſtenpunkt iſt eine Frage für ſich. Aber die Maſten an und für ſich ſind ſo, daß ich nichts auf ſie kommen laſſe. OberbürgermeiſterSchuſtehrus: Meine Herren, über Geſchmack und Neigung läßt ſich bekanntlich nicht ſtreiten. Da kann nichts bewieſen werden. Aber denjenigen Herren, die die Maſten in der Hardenbergſtraße ſo ſchön finden, möchte ich ſagen, daß ich ſie ſcheußlich finde. (Heiterkeit.) Ich finde ſie ſo geſchmacklos, daß ich nur ſagen kann: dieſe Maſten ſind von jemand ausgedacht, der gänzlich des äſthetiſchen und künſtleriſchen Empfindens bar geweſen iſt. Sie ſind gedankenlos fabritmäßig hergeſtellt in einer Form, die dem Zweck nicht entſpricht. Meine Herren, das Kunſtgewerbe iſt in den letzten Jahren, — man kann noch nicht einmal ſagen: Jahrzehnten in Norddeutſchland erſt ganz allmählich aufge⸗ wacht aus einem langen Schlaf, und ſo iſt es namentlich in Groß⸗Berlin geweſen. Die wahren Ziele und Richtungen des Kunſtgewerbes haben 9. März 1910 63 erſt in ganz neueſter Zeit eine Aufnahme auch bei uns in Norddeutſchland gefunden. Gelernt haben wir, und lernen werden wir ferner müſſen von den Süddeutſchen, die auf dieſem Gebiete uns weit voran ſind, weil ſie eine viel ältere Kultur haben. Und da kommt gerade auch der Schmuck der Straßen in den großen Städten in Betracht. Feinfühlige Künſtler machen darauf aufmerkſam, wie roh und ſinnlos bei uns auf den Straßen Dinge aufgeſtellt werden, an denen wir täglich vorübergehen, die wir täglich ſehen, und an denen wir, meine Herren, unſeren Geſchmack verderben. Gerade weil Sie dieſe ſinnloſen Maſten in der Hardenbergſtraße ſo viel geſehen haben und daran gewöhnt ſind, finden Sie ſie allmählich auch ſchön. Ich bin überzeugt, wenn ich mit Herrn Vogel und Herrn Wilk durch die Hardenbergſtraße ginge und ihnen auseinanderſetzte, was an dieſen Maſten ſo ſcheußlich iſt, daß ſie mir dann zuſtimmen würden. (Rufe: Na, na!) Es haben ſich namhafte Künſtler, Profeſſor Hoeck, jetzt in Bremen, und ein Kunſtgewerbler in München, deſſen Namen ich im Augenblick vergeſſen habe — der letztere bei Gelegenheit der letzten Münchener Ausſtellung —, bemüht, neue Typen für Straßen⸗ maſten zu finden, die zweckmäßig ſind, dem Zweck auch in der äußeren Form geſchmackvoll entſprechen, und die das Auge nicht beleidigen; die vor allen Dingen alle ſinnloſen Zierrate weglaſſen, die mit der Sache nichts zu tun haben, die Schnörkel, die ſich da ſpiralförmig herumdrehen, und die Blumen und Roſetten, die überall daran ſitzen und mit dem Zweck der Sache gar nichts zu tun haben. Dieſe Männer haben Typen erſonnen, denen man es anſieht, daß das Ding weiter nichts iſt, als ein Lichträger für eine große und ſtarke und weithin leuchtende Lampe. Da hat Herr Profeſſor Hoeck in Bremen einen Typ aufgeſtellt, der unſerm Typ ähnlich iſt. In der Münchener Ausſtellung vor zwei Jahren, die die Stadt München veran⸗ ſtaltete, war ebenfalls der Verſuch gemacht, einen Typ für Straßenkandelaber nach derſelben Richtung zu ſchaffen, in der auch unſere Kandelaber ent⸗ worfen ſind. Meine Herren, unſere Probekandelaber, die hier aufgeſtellt ſind, ſind nicht im Nu geboren, es iſt eine ungemein ſchwierige Zangengeburt geweſen. Der erſte, der ſich damit beſchäftigte, war unſer Profeſſor Schmalz, unſer früherer Stadtbaurat. Sie werden alle deſſen hohe künſt⸗ leriſche Begabung anerkennen. Er hat den erſten Kandelaber entworfen und aufſtellen laſſen. Er war mit dieſem erſten Verſuch nicht ganz zufrieden; aber die Richtung war richtig. Dieſer erſte Kan⸗ delaber ſteht lange da, und ich kann Ihnen ſagen, daß ich mit vielen Perſonen an Ort und Stelle geweſen bin, die Verſtändnis für die Sache haben, mit Herren aus dem Arbeitsminiſterium z. B., die mit Kunſtgewerbe und Kunſt zu tun haben, und die haben ſich einverſtanden erklärt und haben ge⸗ ſagt: Ja, das iſt mal ein treffender Typ für eine Straßenlaterne, er wird der Bismarckſtraße zur Zierde gereichen, wenn er längs der ganzen Straße aufgeſtellt iſt. Es ſind an Ort und Stelle geweſen die Elektrizitätsdeputation und der Magiſtrat, und beide ſind nach langen Erwägungen dafür geweſen, dieſen Typ zu wählen. Als nun Herr Stadtbaurat Seeling herkam, hatte er an dem Schmalzſchen Typ noch einiges auszuſetzen; im allgemeinen ſtimmte er der Grundform zu. Er hat dann den