74 Sitzung vom 9. März 1910 der Poſition 8 b des Abſchnittes 5 der Ausgaben — Gehilfinnen zur Beaufſichtigung aller Koſt⸗ pflegekinder uſw. unter 2 Jahren 3060 ℳ — zuzuſtimmen. Ferner beantrage ich auch im Namen der Mehrheit meiner Fraktion, die gefaßte Reſolution zu ſtreichen (bravo!) im Gegenſatz zu dem Beſchluß des ſchuſſes. Meine Herren, durch die Ablehnung der Re⸗ ſolut ion ſoll in ſcharfer Form zum Ausdruck ge⸗ bracht werden, daß die Mehrheit meiner Freunde die vom Magiſtrat in die ſer Angelegen⸗ heitgetroffenen überſtürzten Maß⸗ nahmen durchaus mißbilligt. (Sehr richtig! Lachen.) Meine Herren, wenn Sie den Etat des Kapitels v anſehen, ſo finden Sie unter § h im Abſchnitt dieſe Poſition, die hier faſt verſteckt erſcheint und ganz harmlos ausſieht. Trotzdem, meine Herren, hat dieſer Poſten eine längere Vorgeſchichte. Mit der Frage betr. Anſtellung beſoldeter Waiſen⸗ pflegerinnen wurden beſchäftigt erſtens die Armen⸗ direktion, zweitens die Deputation für die Waiſen⸗ pflege und drittens die Vereinigung der Char⸗ lottenburger Waiſenpflegerinnen, die ſehr gut organiſiert iſt. Dieſe Damen ſind alſo auch mit dieſer Angelegenheit beſchäftigt worden und haben ſie auch eingehend geprüft. Meine Herren, die Ablehnungderheutigen Magiſtrats⸗ vorlage iſt damals durch ſämtliche drei Stellen erfolgt: durch die Armen⸗ direktion, durch die Deputation für die Waiſen⸗ pflege und auch durch die Waiſenpflege⸗ rinnen ſelbſt, und zwar mit 62gegen 10 Stimmen. (Hört! hört!) Herr Kollege Klick ſagte ſchon, daß die Waiſen⸗ pflegerinnen ſich beſonders dadurch zurückgeſetzt fühlen, daß ihnen gerade der liebſte Teil ihrer Tätigkeit durch die beſoldeten Waiſenpflegerinnen entzogen werden ſoll. Meine Herren, eine Begründung der Vorlage ſeitens des Magiſtrats liegt nich t vor; es iſt nur eine kurze Erläuterung gegeben. Nach den Ausführungen des Dezernenten für die Armen⸗ pflege im Etatausſchuß handelt es ſich in erſter Linie darum, die Säuglingsſterblichkeit zu ver⸗ ringern; zweitens ſollen ſich Mißſtände während der großen Ferien herausgeſtellt haben, wo ſich natürlich eine Anzahl der Waiſenpflegerinnen in Urlaub befindet, und drittens iſt auf eine größere Anzahl anderer Städte hingewieſen worden, die bereits dieſe Einführung haben, die ſich dort auch bewährt haben ſoll. Meine Herren, aus den amtlichen Nachrichten vom Juni 1909 habe ich entnommen, daß eine ganze Anzahl von Kindern in den erſten Lebensmonaten geſtorben iſt an allgemeiner Lebensſchwäche. An den anderen Kinderkrankheiten, die vielfach tödlich verlaufen, wird auch eine beſoldete Waiſenpflegerin nichts ändern können. In den amtlichen Nachrichten vom November 1909 iſt ausdrücklich hervorgehoben — ich bitte das zu beachten —, daß nur drei von den 41 deut ſchen Großſt ädten eine geringere Säuglingsſterblichkeit haben als C 0 arlottenburg, trotzdem in einer Anzahl dieſer Städte, die in dieſer Beziehung weit hinter Etatsaus⸗ vollſten Zufriedenheit. Charlottenburg rangieren, beſoldete Waiſenpflegerinnen angeblich tätig ſein ſollen. Meine Herren, betreffs des Sommerurlaubs gebe ich zu, daß ſich dadurch Mißſtände heraus⸗ bilden können, (na alſo!) wenn nicht genügend Pflegerinnen da ſind. Wir haben in Charlottenburg aber 77 ordentliche Waiſen⸗ pflegerinnen und 79 Stellvertreterinnen, das ſind zuſammen 156 Damen. 10 Damen haben ſich bereits während des Sommerurlaubs zur Ver⸗ fügung geſtellt, um ſich ſpeziell während dieſer Zeit den Säuglingen unter 2 Jahren zu widmen. Weitere Anmeldungen werden noch erfolgen. Ich habe das Vertrauen zu dieſen im Amt bewährten Damen, daß ſie in vollſtem Maße ihre Schuldigkeit tun werden; im übrigen aber muß ihre Tätigkeit doch allermindeſtens ſo hoch bewertet werden als die von evtl. 2 beſoldeten Pflegerinnen, von denen man noch nicht weiß, was ſie leiſten tönnen. Ich ſtehe auf dem Standpunkte, daß eine ehrenamtliche in der Praxis bewährte Waiſenpflegerin, auch wenn ſie keine beſondere Vorbildung gehabt hat, in der Waiſenpflege min⸗ deſtens ebenſoviel leiſtet wie eine Dame, die irgend einen Kurſus mitgemacht hat, von der wir aber noch gar nicht wiſſen, was ſie leiſten wird. (Sehr richtig!) Meine Herren, ich kann durchaus nicht aner⸗ kennen, daß eine dringende Notwendigkeit vorliegt, dieſe wichtige, prinzipielle Angelegenheit ſo zu behandeln, wie dies der Dezernent der Armenverwaltung bzw. der Magiſtrat zu tun beliebt. Mindeſtens haben wir, die Stadtverordneten⸗ verſammlung, hier die Pflicht, unſere Ehren⸗ beamtinnen, die Waiſenpflegerinnen inſofern zu ſchützen, als wir vor allen Dingen erſt eine ab⸗ wartende Stellung einnehmen und ſehen, wie ſich die Damen bewähren, jetzt, nachdem Zweifel laut geworden ſind, wie die zehn Damen und die weiteren, die ſich jedenfalls noch melden, während der Ferienzeit arbeiten werden; ich hoffe, zur Wenn es nicht der Fall ſein ſollte und abſolut nicht anders geht, bin ich der letzte, der ſich ſträuben würde, beſoldete Waiſen⸗ pflegerinnen anzuſtellen; aber ich habe das Ver⸗ trauen zu unſeren Waiſenpflegerinnen, die ſich ſtets bewährt haben, daß die angeblichen Miß⸗ ſtände beſeitigt werden. Herr Stadtrat Samter ſagte, daß im Etats⸗ ausſchuß kein Beſchluß gefaßt worden wäre, die Sache bis zum 1. Oktober auszuſetzen. Ich glaube aber, die Herren Mitglieder des Etatsausſchuſſes als Zeugen aufführen zu können dafür, daß nie⸗ mand der Anſicht geweſen iſt, daß die Sache in dieſer wohl noch nie dage weſenen Weiſe erledigt werden würde. Nach den im Etatausſchuß gehabten gründlichen Er⸗ örterungen konnte man wohl annehmen, daß die dort gemachten Vorſchläge noch einmal gründlich geprüft, die Waiſenpflegerinnen noch einmal ge⸗ hört und vor allen Dingen die Erfahrungen dieſes Sommers abgewartet werden würden. Die An⸗ nahme der Reſolution erfolgte jedenfalls ſeitens der nieiſten Mitglieder in dieſer Erwartung. (Sehr richtig!) Das iſt nicht geſchehen. Ich war entrüſtet, am Sonntag zu hören, daß die Deputation für die Waiſenpflege ſchon auf Dienstag Abend einbe⸗ rufen iſt (hört! hört!)