Sitzung vom mit dem einzigen Punkte der Tagesordnung: (hört! hört!) Anſtellung zweier beſoldeter Wai⸗ ſenpflegerinnen. Meine Herren, die Be⸗ ſchlüſſe des Etatsausſchuſſes ſind durchaus nicht bindend. Der Magiſtrat konnte nicht wiſſen, wie die Stadtverordnetenverſammlung ſich heute ſtellt: ich hoffe, daß ſie unſerem Antrage folgen wird. Sie mußte mind eſtens erſt ge⸗ hört werde n! Ein ſolcher Fall iſt ja noch nicht dageweſen. Hoffte man vielleicht, die Stadt⸗ verordnetenverſammlung durch den Deputations⸗ beſchluß zu beeinfluſſen? 124 Meine Herren, die Deputation für Waiſen⸗ pflege kann für dieſe Angelegenheit nicht ganz maßgebend ſein, wenn Sie ihre Zuſammenſetzung anſehen: 4 Magiſtratsmitglieder, 4 Waiſenpfleger, 4 Stadtverordnete. Die Herren vom Magiſtrat waren gebunden an die Beſchlüſſe des Ma⸗ giſtrats, tonnten alſonicht anders ſti m⸗ m e n. Für die Magiſtratsvorlage ſtimmten ſe chs und vier dagegen. Zwei Mitglieder waren nicht anweſend. Richtig wäre jedenfalls geweſen, daß man nicht nur diejenige Stelle allein gehört hätte, deren Standpunkt man im voraus genau kannte, ſondern unter allen Umſtänden auch noch die Waiſenpflegerinnen und die Armendirektion; das hätte man wohl erwarten können. (Sehr richtig!) Das iſt aber nicht geſchehen. Meine Herren, ich habe viel Unwillen aus der Bürgerſchaft gehört, überall hört man Klagen, die Waiſenpflegerinnen fühlen ſich benachteiligt und haben ſich beſchwert, ſo daß man annehmen könnte, weun man bös⸗ willig konſtruieren will, daß dieſe Damen, weil ſie gewagt haben, eine ſelbſtändige, abweichende Meinung energiſch zum Ausdruck zu bringen, da⸗ für beſtraft werden ſollen. Meine Herren, wenn nun die Damen die Konſequenzen aus dieſer Behandlung ziehen, Gleiches mit Gleiche m vergelten, wenn nun 30 oder 40 Waiſenpflegerinnen ihr Amt niederlegen, ich glaube, daß der Schaden viel größer iſt, als wenn Sie den Damen Ge⸗ rechtigkeit widerfahren laſſen und ſo lange warten, bis tatſächlich weitere Erfahrungen gemacht ſind. Ich betone nochmals: es i ſt Pflicht der Stadtverordnetenverſammlung, darauf zu halten, daß mindeſtens die berechtigten Wünſche noch einmal genau geprüft werden und noch Erfahrungen geſammelt werden. (Bravo!) Gerade durch die beabſichtigten Maßnahmen kann — ich betone es nochmals — der Waiſen⸗ pflege Charlottenburgsder gr ößte Schaden zugefügt werden. Meine Herren, verhindern Sie im Intereſſe unſerer Waiſenpflege, daß noch weiterer Zündſtoff an⸗ gehäuft wird! Es handelt ſich hier um die Inſchutznahme einer großen Anzahl im Ehrenamt befindlicher Damen und die Prüfung berech⸗ tigter Wünſche. Ich glaube, daß jedes gerecht und billig denkende Mitglied der Ver⸗ ſammlung der Anſicht der Mehrheit meiner Freunde zuſtimmen muß. Ich bitte daher die vom Etats⸗ ausſchuß gefaßte Reſolution abzulehnen. 9. März 1910 75 Stadtrat Samter: Meine Herren, Herr Stadtv. Bollmann hat in einem Ton gegen unſere Vorlage geſprochen, den wir eigentlich ſeit langer Zeit nicht gewohnt ſind aus der Stadtverordneten⸗ verſammlung heraus zu hören. Ich will ihm auf dieſes Gebiet nicht folgen, ſondern ganz ruhig auf die Sache eingehen. Ich muß mit aller Entſchiedenheit beſtreiten, daß Herr Stadtv. Bollmann das Recht hat, namens der Waiſenpflegerinnen zu ſprechen, auch namens der Mehrheit der Waiſenpflegerinnen nur. Es iſt eine kleine Minderheit der Waiſenpflegerinnen, die die Sache künſtlich aufgebauſcht hat; die anderen ſtehen auf einem anderen Standpunkt. Ich darf vielle icht zur Charatteriſierung des Standpunktes der Waiſenpflegerinnen zwei kurze Briefe ver⸗ leſen. Eine Dame ſchreibt: „. .. Vor ca. 14 Tagen war eine Dame im Auftrage von Frau N. N.“ — ich möchte den Namen vorläufig nicht nennen — „bei mir und hat mich derartig bearbeitet, auch ihr eine Unterſchrift zu geben, — ich las dort bereits all die Namen, die Sie mir umſeitig nennen, daß ich dann nicht mehr zögerte, und auch meinen Namen direkt unter Frau N. N. ſetzte Sie ſagte ausdrücklich, daß alle dafür ſind. Jetzt ſehe ich erſt ein, worum es ſich handelt, nachdem es zu ſpät; ich bin alſo grün d⸗ lich reingefallen.“ Das ſchreibt eine Waiſenpflegerin! (Hört, hört!) 1 0 andere Waiſenpflegerin ſchreibt mir folgenden rief: „. . Ich bedaure ſehr lebhaft das Ver⸗ halten der Damen Ihrem wohlgemeinten Vorſchlag gegenüber, und nur der einſeitige Standvunkt, von dem die Damen ausgehen, daß es ſich hier um eine Kontrolle handele, kann die Damen ſo blind machen, gegen die in Wahrheit beſtehenden Übelſtände während der Reiſezeit Und angenommen es handelte ſich um Kontrolle, ſo könnte ich für meine Perſon darin garnichts Beleidigen⸗ des ſehen. Wir tun alles dies aus warmem Herzen zu unſeren Mitmenſchen und in dem freudigen Gefühl, Mitarbeiterinnen in einem ſo großen Betriebe zu ſein, da dürfen ſo kleinliche Bedenken nicht in uns aufkommen.“ Meine Herren, das ſind zwei Schriftſtücke. Ich habe eine ganze Reihe von Briefen von Waiſenpflegerinnenhier, die auf dem Standpunkt ſtehen, daß es dringend wünn ſchenswert iſt für unſere Waiſenpflege, daß neben den unbeſoldeten Waiſenpflegerinnen beſoldete Kräfte eingeführt werden. Ich muß alſo Herrn Stadtv. Bollmann beſtreiten, daß er für d ie Waiſenpflegerinnen geſprochen hat. Es iſt nur die Minderheit der Waiſenpflegerinnen. (Zuruf des Stadtv. Bollmann.) — Sie haben immer von den Waiſenpflegerinnen geſprochen; die Dame, die dieſen Brief geſchrieben hat, ſchreibt: ſie iſt gründlich reingefallen! Ich will hier nur auf den Ausſchußantrag eingehen. Herr Stadtv. Bollmann hat ſich zunächſt darüber beſchwert gefühlt, daß die Deputation jetzt einberufen worden iſt und nicht etwa bis zum Sommer gewartet worden iſt. Meine Herren, der Beſchluß des Etatsausſchuſſes lautet keineswegs dahin, daß der Dezernent mit der Einberufung