76 Sitzung vom der Deputation bis zum Sommer warten müſſe. Wir haben pflichtgemäß zu ermeſſen, wann wir es für notwendig halten, zu prüfen. Das kann jeden Augenblick geſchehen. Daß es notwendig iſt, ſo ſchnell wie irgend möglich dieſe Prüfung vorzunehmen, kann ich auf Grund meiner langjährigen Erfahrung und nauf Grund der Er⸗ fahrungen in anderen Städten ſagen, und ich kann nur ſagen, daß wir nicht eine Minute länger die Sache leiden laſſen können. (Hört, hört!) Herr Stadtv. Bollmann hat geſagt, daß mit 6 gegen 4 Stimmen die Deputation für die Waiſen⸗ pflege beſchloſſen hat, und meint, das wäre kein Beweis, daß die Deputation wirklich überzeugend nachgewieſen hätte, daß die Notwendigkeit da iſt. Meine Herren, unter den Waiſenräten, die zurzeit nur in der Zahl von 3 in der Deputation ver⸗ treten ſind, fehlte einer, und gerade der, der für die Anſtellung von beſoldeten Waiſenräten öffent⸗ lich in Wort und Schrift eingetreten iſt. (Zuruf.) — Eine Stelle iſt nicht beſetzt. — Ich habe vorhin ſchon hervorgehoben, daß die Waiſenpflegerinnen in der Deputation, die doch eigentlich am beſten wiſſen müſſen, wo ſie der Schuh drückt, und zwar zwei Damen, die ſe it z echnn Jahren in der Waiſen⸗ pflege tätig ſin d, erklärt haben, daß ſie es nicht über ſich bringen, die Sache länger mit an⸗ zuſehen, und daß es unbedingt not⸗ wendig iſt, daß beſoldete Kräfte angeſtellt werden. (Zuruf: Und die übrigen 15021) In der Deputation ſitzen nur 3. Und, meine Herren, die Armendirekt ion, von der Herr Stadtv. Bollmann ſprach, hat überhaupt nichts damit zu tun; ſie geht die Sache überhaupt nichts an. Was nun die Notwendigkeit anbetrifft, ſo ſind es 3 Gründe, die dafür ſprechen, unter allen Umſtänden beſoldete Kräfte zu haben. Einmal iſt es der Grund — und das iſt ſchon vor §8 Jahren auf dem Kongreß des Deutſchen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit, der ſich mit der Sache beſchäftigt hat, ausgeſprochen worden —, daß die unbeſoldeten Kräfte nicht immer zur Ver⸗ fügung ſtehen, die beſoldeten aber ſtets. Habe ich nur unbeſoldete Waiſenpflegerinnen, ſo muß ich warten, bis die Dame Zeit hat, hinzugehen; habe ich aber beſoldete Kräfte, ſo kann ich einfach ſagen: Geh da hin; ich kann ſie kommandieren (Rufe: Aha!) Ich kann ſagen: Hier iſt es nötig, daß ſofort ein⸗ gegriffen wird, Sie müſſen ſofort hingehen, — und dann muß ſie folgen. Bei einer ehrenamt⸗ lichen Waiſenpflegerin muß ich warten, bis ſie die nötige Zeit hat. Wenn ſie Familie hat — ſie wird wahrſcheinlich, wenn ſie Familienmutter iſt, die beſte Waiſenpflegerin ſein —, ſo hat ſie nicht die Zeit, ſofort einzuſpringen. In der Geſchäfts⸗ anweiſung für die Berliner beſoldeten Waiſen⸗ pflegerinnen iſt geſagt: Die Waiſenpflegerin hat jedes Kind unter 2 Jahren in der Zeit vom 15. Juni bis 15. September zweimal wöchentlich, in der übrigen Jahreszeit zweimal monatlich zu beſuchen. Ich möchte die Waiſenpflegerin im Ehrenamt ſehen, die in der Lage i ſt, zweimal wö⸗ chentlich die Kinder zu kontrollieren; es iſt eine Unmöglichleit, daß ſie das tun kann. 9. März 1910 Der zweite Grund iſt: wir haben in Char⸗ lottenburg, obwohl unſere Verhältniſſe — die ganzen wirtſchaftlichen und ſonſtigen Verhältniſſe — viel günſtiger liegen als in den meiſten anderen Städten, immer noch eine hohe Sterblichkeit der unehelichen Kinder. Wir wollen uns nicht dadurch täuſchen laſſen, daß unſere allgemeine Säuglingsſterblichkeit nur 12% beträgt; darunter ſind 10% der ehelichen, aber über 20% bei den unehelichen. Dabei ſind die Wohnungsverhältniſſe bei uns auch bei ihnen günſtig. Ich muß daher ſagen: es iſt unbedingt nötig, daß hier energiſch eingegriffen wird; es braucht nicht dahin zu kommen, daß bei uns uneheliche Kinder in doppelt ſo großer Zahl ſterben als eheliche. Wir haben Einrichtungen geſchaffen auf ſtädtiſche Koſten, von denen alle Kinder Nutzen haben könnten; wir haben aber die Erfahrung gemacht, daß die un⸗ ehelichen Kinder, die es am notwendigſten haben, nicht regelmäßig in die Säuglingsfürſorgeſtellen hinkommen, und die Folge iſt, daß eben von allen dieſen Einrichtungen die unehelichen Kinder nicht ſo viel profitieren und nach wie vor ſterben. Wenn wir beſoldete Kräfte haben, ſind wir in der Lage, wenn die Mutter das Kind nicht zur Fürſorge⸗ ſtelle bringt, von der beſoldeten Waiſenpflegerin einfach zu verlangen: Dann bringen Sie das Kind hin und ſorgen dafür, daß es regelmäßig hinkommt. Das kann ich natürlich von der be⸗ ſoldeten Waiſenpflegerin verlangen, aber nicht von der ehrenamtlich angeſtellten. Dann der Sommer. Meine Herren, wir haben 150 Waiſenpflegerinnen, und ganze 10 — nach meiner Erinnerung ſind es nur 6, nach Herrn Stadtverordneten Bollmann ſollen es 10 ſein — haben ſich bereit erklärt, Vertretungen zu überneh⸗ men. Meine Herren, in der Sommerzeit, wo es am dringendſten notwendig iſt, ſind ganze 10 Damen im Juli anweſend, (Zuruf) die bereit ſind, allgemein Vertretungen zu über⸗ nehmen. Meine Herren, wir haben im Jahre 600 Säuglinge zu kontrollieren; wie ſollen 10 ehren⸗ amtlich angeſtellte Damen in den Sommermonaten das machen? (Zuruf: Aber zwei!) — Die zwei können es machen, die müſſen jeber⸗ zeit bereit ſein. (Rufe: Ausgeſchloſſen!) Ich kann Ihnen nur ſagen aus meinen jahrelangen Erfahrungen, daß ich jeden Sommer die größten Schwierigkeiten habe, die Bezirke der Waiſen⸗ pflegerinnen zu beſetzen. Dreiviertel unſerer ehrenamtlichen Damen ſind verreiſt. In den Juriſtenferien, in den Schulferien haben wir die größten Schwierigkeiten, um den Beſuch der Säuglinge überhaupt zu ermöglichen. Nun ſollen 10 Damen das machen in 70, 80 Bezirken; das iſt ganz unmöglich durchzuführen. Mit beſoldeten Kräften kann man das, die ſtehen jeden Augenblick zur Verfügung. Es iſt geſagt worden: die zwei beſoldeten Kräfte können auch nichts nützen. Meine Herren, jede der Damen muß in der Lage ſein, täglich mindeſtens 30 Beſuche zu machen. (Zurufe.) Das kann ich aus der Erfahrung der Lungen⸗ fürſorge⸗ und anderer Stellen verſichern. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß ſie nicht einmal nach dem Nollendorfplatz und dann nach Weſtend geht,