80 Sitzung vom 9. März 1910 auch eingehen. Mich hat beſtimmt, mich auf den Standpunkt des Magiſtrats zu ſtellen, erſtens die außerordentliche Dringlichkeit des verantwortlichen Dezernenten, der dieſe Sache doch wahrlich eigent⸗ lich am beſten überſehen muß. Das allein aber hätte eigentlich nicht ausgereicht; es ſind, wie Sie gehört haben, auch drei im Ehrenamt beſchäftigte Damen, die Waiſenpflegerinnen ſind, anweſend ge⸗ weſen; von dieſen haben zwei in außerordentlich energiſcher Weiſe den Standpunkt des Magiſtrats geteilt; ſie haben es lächelnd abgelehnt, daß ſie ſich dadurch verletzt oder in ihrer Würde herabgeſetzt fühlten. (Hört! hört!) Die eine dieſer Damen — beide Damen ſind, wenn ich nicht irre, 10 Jahre in der Waiſenpflege — hat darauf hingewieſen, daß eine Dame, die unbeſoldet im Ehrenamt tätig iſt, gar nicht in der Lage iſt, ſolchen Anforderungen zu genügen, wie ſie gerade bei der Fürſorge für dieſe Säuglinge erforderlich, weil ſie doch Pflichten habe. Sie ſagte: die Für⸗ ſorge beginnt zu Hauſe — und darin hat ſie ja auch recht. Wenn Herr Stadtrat Samter geſagt hat: er kann dieſe Damen nicht beliebig irgendwo hinſchicken, ſo ſtoßen ſie ſich vielleicht höchſtens an dem Ausdruck. Er will damit ausdrücken, daß er nicht in der Lage iſt, über eine Dame, die im Ehren⸗ amt tätig iſt, unbedingt zu verfügen; und tatſächlich iſt er das auch nicht; das iſt undenkbar, das würde einen Eingriff in die privaten Verhältniſſe der ehrenamtlich beſchäftigten Damen ſein, den man nicht rechtfertigen kann. (Sehr richtig!) In der geſtrigen Sitzung iſt ſtreng ſachlich und nüchtern über dieſe Dinge verhandelt worden. Von den beteiligten und auch mir ſehr maßgeblichen Damen haben ſich zwei mit Entſchiedenheit dagegen gewendet, daß ſie ſich dadurch verletzt fühlten; ſie haben die Überzeugung ausgeſprochen, daß be⸗ ſoldete und ſorgfältig für dieſen Beruf vorgebildete Pflegeſchweſtern beſſer geeignet ſeien als die Mehr⸗ zahl der im Ehrenamte tätigen Damen. Das ſind für mich ſo überzeugende Dinge geweſen, daß ich mich entſchloſſen habe, mich für den Magiſtrats⸗ antrag auszuſprechen. Nun bin ich allerdings der Meinung, daß der Magiſtrat, bevor er die Vorlage einbringt, gut täte, ſich noch einmal an die ehrenamtlichen Waiſenpflege⸗ rinnen zu wenden und den Verſuch zu machen, dieſe unbegründete Empfindlichkeit auf ihr Nichts zurückzuführen; denn es iſt nicht wünſchenswert, daß ein großer Kreis von ehrenamtlich beſchäftigten Perſon enirgendwie in ſeinen Empfindungen ver⸗ letzt wird. Dieſer Verſuch muß gemacht werden, und ſo lange wird es ja auch Zeit haben. Nun wird immer von der Statiſtik geſprochen. Hier iſt ausgeführt: wir ſtehen an dritter Stelle; das ſei ſo trefflich, daß wir nichts weiter brauchen. Ja, meine Herren, da müßten wir gerade immer noch weiter gehen, wir müſſen verſuchen, an der erſten Stelle zu ſtehen. (Zuruf.) — Wenn es nötig iſt, auch im Armenetat, Herr Kollege Zander! — Und wenn hier von der Sterb⸗ lichkeitsziffer geſprochen wird, wird einfach über⸗ ſehen, daß ſie bei den unehelichen Kindern über 20 % beträgt, und das iſt eine erſchreckliche Zahl! (Sehr richtig!) Alſo aus allen dieſen Gründen bitte ich recht ſehr, nicht dieſe Reſolution zu ſtreichen, ſondern ſie ſtehen zu laſſen und ſich nicht in Gegenſatz zu dem Magiſtrate in dieſer Frage zu ſtellen. (Bravo!) Stadtv. Zietſch: Meine Herren, Herr Kollege Bollmann hat ſeine Ausführungen, die in ſehr be⸗ geiſterndem Tone gehalten waren, mit dem Appell an uns geſchloſſen, daß er alle gerecht und billig Denkenden aufforderte, ſich der Mehrheit ſeiner Freunde anzuſchließen. Wenn ich boshaft wäre, würde ich gegenüber dem Appell an die Mehrheit des Hauſes an die Worte im Demetrius erinnern, in denen es heißt, daß nicht immer das Klügſte bei der Mehrheit zu ſuchen iſt; aber ich bin nicht boshaft, (Heiterkeit) ich will darum dem Einwand, daß alle die, die ſich nicht der Anſchauung der Mehrheit der Freunde des Herrn Bollmann anſchließen, ungerecht und unbillig denken, damit entgegentreten, daß ich be⸗ tone, daß meine Freunde nun einmal der nach Auffaſſung des Herrn Bollmann ganz unbilligen Anſchauung ſind, daß die Vorlage des Magiſtrates ſehr zu begrüßen iſt. Wir verſtehen — wenigſtens ich für mein Teil verſtehe die tiefe Erregung, die ſich in den Kreiſen der ehrenamtlich tätigen Waiſen⸗ pflegerinnen angeſammelt hat, darüber, daß be⸗ ſoldete Waiſenpflegerinnen angeſtellt werden ſollen, durchaus nicht; mir iſt auch überraſchend gekommen der Anſturm, der ſeitens der Herren hier auf die Rednertribüne vorgenommen wurde, als Herr Kollege Bollmann angefangen hatte, zu ſprechen. Ich hatte in dem Augenblick das Gefühl, als ſei ich wieder in einer Demonſtrationsverſammlung. (Heiterkeit.) Aber ich ſagte mir anderſeits wieder, als ich nach dem Grund dieſes Anſturms forſchte: vielleicht ſind da wieder für manchen Herrn Kollegen die ewig weiblich wirkenden und uns anziehendem Triebe maßgebend geweſen, von denen Goethe im 2. Teil des Fauſt ſpricht. (Zuruf: Zur Sache!) — Ob ich zur Sache ſpreche, iſt Sache des Vor⸗ ſitzenden, nicht desjenigen, der mit meinen Aus⸗ führungen nicht einverſtanden iſt. Ich will darlegen, daß die Gründe, die gegen die Anſtellung von beſoldeten Waiſenpflegerinnen ausgeſprochen worden ſind — nebenbei bemerke ich für die anweſenden Herren vom Bund der Feſt⸗ beſoldeten, daß durch die beſoldeten Waiſenpflege⸗ rinnen auch der Bund der Feſtbeſoldeten in Char⸗ lottenburg um zwei Mitglieder geſtärkt werden könnte. (Heiterkeit) daß dieſe Gründe mir nicht durchſchlagend erſchei⸗ nen. Ich verkenne nicht die Möglichkeit einer Miß⸗ ſtimmung bei den bisherigen unbeſoldeten Waiſen⸗ pflegerinnen, wenn ſie fürchten müſſen, total aus⸗ geſchaltet zu werden. Aber meiner Anſicht nach haben die Damen, deren Tätigkeit auch ich für meine Perſon voll und ganz anerkenne und immer anerkennen werde — denn es iſt ein großes Quan⸗ tum von Aufopferung und Berufsfreudigkeit für die Ausübung dieſes Amtes erforderlich —, trotz alledem in der Waiſenpflege noch ein ſo großes und weites Feld der Tätigkeit offen, daß ſie in ihrer Wirkſamkeit nicht im geringſten gehemmt und eingedämmt ſein werden. Was mich vor allen Dingen veranlaßt, für die Vorlage des Magiſtrats zu ſein und dafür zu ſpre⸗