88 Sitzung vom ſich zum Andenken des Verſtorbenen von den Plätzen erhoben. Ich konſtatiere das. Über die Beerdigung wird den Herren noch Mitteilung zugehen. Wir treten in die Tagesordnung ein. Punkt 1: Vorlage betr. Einführung einer Wertzuwachs⸗ ſtener. — Druckſache 65. Berichterſtatter Stadtv. Dr. Frentzel: Meine Herren, nun haben Sie die Wertzuwachsſteuer! (Stadtv. Zietſch: Bravo!) Die Wertzuwachsſteuer, die nach dem langen Harren und Warten vielen von Ihnen ganz un⸗ vermutet wie auf Flügeln des Sturmwinds zu⸗ getragen worden iſt. Nun liegt ſie vor Ihnen, und Sie ſollen durch Ihr Votum ſie zum Beſchluß erheben, dieſe Steuer, die ſeit mehreren Jahren bereits auch in unſeren Reihen die lebhafteſten und heftigſten Kämpfe entfacht hat, für die auch aus unſerer Mitte unermüdliche überzeugte und leidenſchaftliche Vorkämpfer aufgetreten ſind, die auf der anderen Seite ebenſo hartnäckige Gegner und lebhafte Verurteiler gefunden hat! Nun, meine Herren, wenn ich die Situation einigermaßen richtig deute, wenn ich für die Stim⸗ mung in dieſem Hauſe und in dieſer Verſammlung einigermaßen das richtige Gefühl habe, dann, glaube ich, hat ſich die Situation mittlerweile ſehr geändert. Ich glaube, von dieſen großen all⸗ gemeinen und hitzigen Debatten über den Wert und Unwert der Steuer an ſich, über die Theorie derſelben werden wir wahrſcheinlich heute nichts hören, und das, worauf die Diskuſſion ſich im weſentlichen beſchränken wird, werden wahrſchein⸗ lich die Enzelbeſtimmungen der Vorlage ſein, die Ihnen der Magiſtrat heute macht. Und was iſt nun das, was die Situation ſo ſehr verſchoben, die Sachlage ſo ſehr verändert hat? Ich will ohne weiteres anerkennen, daß die Vor⸗ kämpfer für dieſe Steuer auch hier unter uns erfolgreiche Arbeit geleiſtet haben. Ich will ohne weiteres anerkennen, daß die Saat, die ſie aus⸗ geſtreut haben, auch teilweiſe auf fruchtbaren Boden gefallen iſt, und daß heute die Zahl der Anhänger der Wertzuwachsſteuer unter uns eine weitaus größere iſt als damals, als wir uns zum erſten Male mit ihrer Einführung beſchäftigt haben. Das mag ſein und kann unbedenklich zu⸗ gegeben werden; aber den Charakter der Situation beſtimmt es nicht. Das, was die Sachlage be⸗ herrſcht und was ihr das eigentümliche Gepräge aufdrückt, das ſind Dinge, die ganz außerhalb unſerer Diskuſſon liegen, die ganz außerhalb unſerer Machtſphäre und unſerer Entſchließungen bisher geweſen ſind. Meine Herren, Sie wiſſen alle, was das iſt: das ſind Beſchlüſſe, die bei Ge⸗ legenheit der Reichsfinanzreform gefaßt ſind, das iſt das Reichsſtempelgeſetz vom 15. Juli 1909, das iſt, in Kürze geſagt, die Reichswertzuwachsſteuer, die da kommt, die im Marſche iſt und die, wie viele behaupten, bereits im Eilmarſche im Anzuge begriffen iſt. Deswegen ſtellt ſich für mich die Frage, über die heute zu entſcheiden iſt, ganz anders dar als alle die Fragen, mit denen wir uns bisher be⸗ ſchäftigt haben. Die Frage, die wir uns vorzulegen haben, iſt nicht die: halten wir eine Wertzuwachs⸗ ſteuer für gut und nünlich und zweckmäßig, ſo daß wir ſie aus dieſem Grunde einführen müſſen? — ſondern die Frage, die wir uns vorlegen müſſen, 14. März 1910 iſt einfach die: wollen wir an der kommenden Reichswertzuwachsſteuer auch unſerer Gemeinde einen möglichſt voll gemeſſenen Anteil ſichern, oder wollen wir mit verſchränkten Armen dabei ſtehen und zuſehen, wie das Reich das Aufkommen dieſer Steuer für ſich allein einſackt, dieſes Aufkommen, welches doch — darüber ſind wir wohl alle einig — lediglich durch einen großen Teil kommunaler Arbeit möglich iſt? Deswegen werden auch die⸗ jenigen, die bisher unbedingte Ablehner dieſer Steuer waren, ſich keinenfalls in Widerſpruch mit ihrem früheren Votum ſetzen, wenn ſie heute dem Magiſtratsentwurf zuſtimmen und die Ein⸗ führung der Steuer beſchließen. Die Frage, die Ihnen heute vorliegt, hat Ihnen noch nie vor⸗ gelegen, und infolgedeſſen iſt ihre Stellungnahme ganz unabhängig und frei gegenüber dem, was Sie früher für recht und richtig gehalten haben. Meine Herren, bei der Wichtigkeit der Dinge möchte ich Ihnen den Art. 5 a des Reichsſtempel⸗ geſetzes, welcher dieſe Frage behandelt, vorleſen. Er lautet: Bis zum 1. April 1912 ſoll eine Reichs⸗ abgabe von der unverdienten Wertſteigerung bei Grundſtücken (Zuwachsſteuer) eingeführt werden, welche ſo zu bemeſſen iſt, daß ſie einen Jahresertrag von mindeſtens 20 Mil⸗ lionen Mark erwarten läßt. Über dieſe iſt durch beſonderes Geſetz mit der Maßgabe Beſtimmung zu treffen, daß denjenigen Gemeinden und Gemeindever⸗ bänden, in denen eine Zuwachsſteuer am 1. April 1909 in Geltung war, der bis zu dieſem Zeitpunkt erreichte jährliche Durch⸗ ſchnittsertrag dieſer Abgabe für einen Zeit⸗ raum von mindeſtens fünf Jahren nach dem Inkrafttreten der Reichsabgabe belaſſen wird. Nun, meine Herren, könnte man ſagen: wozu der Lärm? Wenn man ſich wörtlich an das hält, was in dem Reichsgeſetze gedruckt vorliegt, müßte man ſagen: wir kommen ja zu ſpät, denn am 1. April 1909 waren wir nicht ſo weit, wir hatten keine Wertzuwachsſteuer. Demgegenüber möchte ich zweierlei betonen. Zunächſt haben am 1. April 1909 überhaupt nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Städten die Wertzuwachsſteuer eingeführt und in Wirkſamkeit gehabt, ſo daß dieſe Beſtimmung, wenn ſie überhaupt einen Wert haben ſoll, jedenfalls von ſehr großer Bedeutung nicht ſein würde. Des weiteren aber wäre es, wenn in den Kreiſen der Regierenden, in den Kreiſen der Miniſterien wirklich der Wunſch vorläge, alle die Gemeinden von dem Genuß der Steuer aus⸗ zuſchließen, welche an dieſem Stichtage noch nicht die Steuer eingeführt hatten, einfach logiſch und richtig geweſen, nunmehr die Einführung weiterer Wertzuwachsſteuern zu verbieten. Aber was iſt geſchehen? Genau das Gegenteil! Sie alle wiſſen, daß eine große Reihe von Gemeinden noch nach dieſem Geſetz ihre Wertzuwachsſteuer ein⸗ geführt haben, und es wird Ihnen auch bekannt ſein, daß der preußiſche Miniſter des Innern durch Verfügung an die Oberpräſidenten dahin gedrängt hat, daß die Einführung dieſer Steuer in äußerſt ſchneller Weiſe vor ſich geht. Dieſe Verfügungen haben keinen Sinn, wenn man nicht die Abſicht hat, wenigſtens auf ſeiten der preuß ſchen Re⸗ gierung, auch jenen Städten noch die Steuer⸗ erträge oder wenigſtens einen Teil derſelben zu