Sitzung vom 14. März 1910 Beim Waſſerwerksetat für 1909 wird die Ausgabepoſition für Kohlen — Abſchnitt 4 Nr. 1 des Ordinariums — aus laufenden Mitteln der Waſſerwerke um 16 000 ℳ ver⸗ ſtärkt.) Punkt 6 der Tagesordnung: Antrag der Stadtv. Dr. Stadthagen und Gen. betr. Waiſenpflege. — Druckſache 69. Antragſteller Stadtv. Dr. Stadthagen: Meine Herren, nach den recht aufgeregten Debatten der vorigen Sitzung, die ſich auf die Waiſenpflegerinnen bezogen, hoffe ich, daß dieſer Antrag zur Beruhi⸗ gung namentlich auch der Waiſenpflegerinnen bei⸗ tragen wird. Der Antrag liegt in der Richtung eines Antrags, den ich mit meinen Freunden ſchon im Jahre 1907 geſtellt habe, und der am 30. Oktober die Zuſtimmung der Verwaltung fand. Man kann geteilter Anſicht ſein, wie weit die Frauen zur Verwaltung in der Kommune, im Staat, im Reich heranzuziehen ſind; aber ich glaube, darüber, daß die Frauen geeignet ſind, gerade in der Waiſenpflege hervorragend tätig zu ſein, dürfte eine Differenz zwiſchen den verſchiedenen Rich⸗ tungen kaum beſtehen. Nun hat man ſich bei dieſer Angelegenheit zu fragen, wie die Rechtslage liegt. Sie iſt folgende. Nach dem § 77 des Ausführungsgeſetzes zum BGB. § 2 können „zur Unterſtützung des Gemeinde⸗ waiſenrats Frauen, die hierzu bereit ſind, als Waiſen⸗ pflegerinnen widerruflich beſtellt werden“. Meine Herren, das iſt in Charlottenburg ſeit langer Zeit geſchehen. Charlottenburg iſt noch weiter gegangen. Wie Sie aus einem Vortrage erſehen, den der Waiſenrat Oberſt Galli gehalten hat, hat die Stadt Charlottenburg auch das Hinder⸗ nis, die Frauen zu Waiſenräten direkt zu ernennen, dadurch beſeitigt, daß er die Waiſenpflegerinnen mehrfach zu Stellvertreterinnen zweier (2) Waiſen⸗ räte verordnet hat. Wenn die Frauen den Waiſen⸗ rat vertreten können, dann können ſie wohl auch voll und ganz die Pflichten des Waiſenrats aus⸗ üben, und es liegt kein Grund vor, ſie von dieſem Rechte auszuſchließen. Man muß ſich natürlich be⸗ wußt ſein, daß nicht jede Frau geeignet iſt, Waiſen⸗ rat zu ſein, wie auch nicht jeder Mann dazu geeignet iſt; ſie kann eine gute Waiſenpflegerin ſein, aber braucht nicht ein guter Waiſenrat zu ſein. Es wird ja aber auch keiner der Unterſchreiber des Antrages wollen, daß jede Waiſenpflegerin Waiſenrat wird, ſondern daß die Auswahl getroffen wird. Daß es bei dieſer Geſchäftslage ausgeſchloſſen iſt, daß Frauen zum Waiſenrate gewählt werden, ergibt ſich daraus, daß beim Artikel 77 im preußiſchen Abgeordnetenhauſe am 27. Juni 1899 von dem Abgeordneten Dr Wiemer direkt der Antrag geſtellt wurde, die Frauen auch zu Waiſenräten zuzulaſſen. Dieſer Antrag wurde damals abgelehnt. Aber ich mache darauf aufmerkſam, daß der damalige Juſtiz⸗ miniſter v. Schönſtedt erklärt hat: Ich meine, wir müſſen, wenn wir die erſten Schritte tun, die Frauen auch in das öffent⸗ liche Leben einzuführen, doch dabei nicht gar zu raſch vorgehen und erſt weitere Erfah⸗ rungen auf dieſem Gebiete ſammeln. Sie ſehen daraus: auch der Miniſter hat ſich durch⸗ aus nicht abſolut ablehnend verhalten, ſondern nur die Sammlung von weiteren Erfahrungen ge⸗ wünſcht. 107 Meine Herren, in den letzten 10 Jahren haben wir mit der Betätigung der Frauen in öffentlichen Amtern ſo viele Erfahrungen geſammelt, daß nun⸗ mehr wohl der Zeitpunkt gekommen iſt, wo wir dort weiter gehen können. Ich möchte dabei noch folgendes bemerken. Der bekannte Kommentator Stranz ſagt bei dieſem Paragraphen des Ausführungsgeſetzes bei Beſpre⸗ chung des Umſtandes, daß der Antrag Wiemer ab⸗ gelehnt wurde: Man hielt es nicht für ratſam, gerade hier mit der Zulaſſung der Frauen zu Kommunal⸗ ämtern den Anfang zu machen, zumal den Frauen auch die erforderliche Autorität fehlen würde. Die Ablehnung iſt lebhaft zu beklagen. Die Frauen ſind damit von einem Felde zurückgedrängt, auf welchem gerade ihre Opferwilligkeit und ihr Verſtändnis für die Waiſenpflege dem öffentlichen Wohle hätte ſegensreich dienen können. Die Frau, welcher man die elterliche Gewalt und die Vormund⸗ ſchaft einräumt, wird auch Autorität genug für das Amt des Waiſenrats aufbringen. Ich möchte noch beſonders betonen, daß die Frage der Vormundſchaft hier in Charlottenburg dadurch eine ganz andere Erledigung gefunden hat gegen früher, daß wir die Generalvormundſchaft einge⸗ führt haben, ſo daß alſo die Bedenken, die manche Kreiſe nach dieſer Richtung hin trugen, auch be⸗ ſeitigt ſind. Meine Herren, ich glaube im übrigen, daß es bei der Stellungnahme, die die preußiſche Regie⸗ rung gerade in der Frauenfrage angenommen hat, die man bis zu einem gewiſſen Grade als entgegen⸗ kommend bezeichnen kann, durchaus nicht ausge⸗ ſchloſſen iſt, daß eine Anderung des Ausführungs⸗ geſetzes vorgenommen reſp. eine kleine Novelle, vielleicht im Anſchluß an andere gerade vorliegende Gegenſtände gemacht wird. Ohne das wird es ja nach den von mir geſchilderten Verhältniſſen kaum abgehen, wenn man eine Novelle machen will, durch die die Frauen als Waiſenräte zugelaſſen ſein dürfen. Ich möchte Sie alſo bitten, möglichſt einſtimmig dem Antrage zuzuſtimmen: Der Magiſtrat wird erſucht, bei der Königlich Preußiſchen Staatsregierung dahin vorſtellig zu werden, daß die geltenden Vorſchriften bezüglich der Nichtzulaſſung von Frauen zum Amte von Waiſenräten im Sinne einer Gleichſtellung der in der Waiſen⸗ verwaltung tätigen Männer und Frauen abgeändert werden. Meine Herren, ich hatte erſt überlegt, ob man nicht dieſen Antrag vielleicht auf dem Städtetage ſtellen ſollte; ich glaube aber, es wird zweckmäßiger ſein, wenn wir hier damit vorgehen, denn wir haben beſondere Erfahrungen auf dieſem Gebiete geſammelt, und bei uns liegt die Sache infolge der Einführung der Generalvormundſchaft anders als an anderen Orten. Ich möchte bitten, dieſem An⸗ trage auch als Anerkenntnis für die außerordentlich opferfreudige Tätigkeit der Frau im Gemeinleben gerade im jetzigen Momente möglichſt einſtimmig zuzuſtimmen. (Bravo!) Stadtv. Zietſch: Für meine Freunde wäre die ſo überaus ausführliche Begründung, die Herr Kollege Dr Stadthagen dem Antrage gegeben hat,