Sitzung vom 14. März 1910 1. Zur Verſetzung der alten Waldſchule für Gemeindeſchulkinder von dem Gelände der Boden⸗Aktiengeſellſchaft Neu⸗Weſtend nach dem Grunewald (Eichkamp) und den dazu nötigen Neubauten werden die Koſten in Höhe von 55 000 ℳ bewilligt. Die Mittel ſind als einmalige Ausgabe in den Etat für 1910 Ord. Kapitel vII — Hoch⸗ bau — einzuſtellen.) Vorſteher Kaufmann: Wir kommen nun zu⸗ rück zu Punkt 2 der Tagesordnung: Anfrage der Stadtv. Holz und Gen. betr. Hilfe⸗ leiſtung bei unfällen. — Druckſache 58. Frageſteller Stadtv. Holz: Meine Herren, ob⸗ wohl es ſich bei dieſer Frage, welche ſich mit der Feuerwehr befaßt, um eine wirklich brennende Frage handelt, (Heiterkeit) ſo mußte ſie ſich doch eine kühle Behandlung ge⸗ fallen laſſen. Allerdings liegt es wohl an unſerer Geſchäftslage und daran, daß anſcheinend eine frühere Beantwortung nicht möglich war. Ich möchte daran erinnern, daß der Unfall, um den es ſich bei der Anfrage handelt, ſich bereits am 8. Januar d. I. zugetragen hat, daß die offi⸗ zielle Anfrage meiner Freunde das Datum vom 19. Januar trägt, der erſten Stadtverordneten⸗ ſitzung nach dem Unfall. Inzwiſchen haben wir ſchon zwei Stadtverordnetenverſammlungen ge⸗ habt; der Magiſtrat hatte alſo Zeit, den Tatbeſtand vollſtändig aufzuklären, und ich hoffe, daß dieſe lange Zeit genügt haben wird, um ihn zu bewegen, heute eine Antwort zu erteilen, die uns nach allen Richtungen befriedigt und vor allem die Gewähr bietet, daß derartige Zufälle ſich niemals mehr ereignen werden. Meine Herren, Sie werden aus dem Inhalte der Anfrage entnehmen und wohl auch ſchon ſonſt erfahren haben, daß am 8. Januar d. I. im Hauſe Lietzenburger Straße 51 ein Unfall dadurch paſ⸗ ſierte, daß dem Portier, als er einen Fahrgaſt nach oben fahren wollte, Arme und Beine eingeklemmt wurden und er aus dieſer Lage nicht befreit werden konnte, daß infolge der Hilferufe eine Anzahl Per⸗ ſonen, die auf der Straße vorbeigingen, in das Haus kamen und ſich nicht anders zu helfen wußten, als ſich nach der nächſten Feuerwache, Ranke⸗ ſtraße 10/11, zu begeben, um von dort Hilfe zu er⸗ langen. Dort wurde dieſen Perſonen die Aus⸗ kunft, daß die Feuerwache nicht zuſtändig ſei; es handele ſich um ein Haus auf Wilmersdorfer Ge⸗ biet, darum könne die Charlottenburger Feuerwehr nicht einſchreiten, man müßte ſich nach Wilmersdorf wenden. Mein (Gewährsmann, ein Herr von 70 Jahren, deſſen Namen ich jederzeit nennen könnte, iſt zweimal von der Lietzenburger Straße nach der Feuerwehr gegangen und wurde dort ohne weiteres abſchlägig beſchieden. Als er das zweite Mal energiſch mit dem wachthabenden Feld⸗ webel parlamentierte, kam eine Dame hinzu, die in großer Aufregung noch einmal um Hilfe bat: als auch das abgelehnt wurde, begab ſie ſich ans Telephon und rief — ich weiß nicht, ob nach dem Magiſtrat oder nach der Stelle des Branddirektors. Sofort, nachdem dieſe Dame angerufen hatte — ſie nannte ſich Frau Stadtrat N. N. — ſetzte, wie 109 durch einen Zauberſtab in Bewegung geſetzt, der Betrieb ein; es wurden Befehle gegeben, daß ſofort angeſpannt werden ſolle, und die Feuerwehr fuhr nach Ablauf einer halben Stunde etwa — für die Zeit kann ich nicht ganz genau einſtehen — zur Unglücksſtätte. Die Feuerwehr Charlottenburgs kam zugleich mit der von Wilmersdorf an, und es dauerte eine ganze Stunde, bis der arme Mann, der noch heute im Krankenhauſe liegt, aus ſeiner Lage befreit wurde. Vielleicht würde der Mann, der zeitlebens ein Krüppel bleiben wird, wenn die Feuerwehr früher gekommen wäre, ſich in einer beſſeren Situation befunden und die ſo ſchweren Verletzungen nicht davon getragen haben: doch das ſei dahin geſtellt. Die Sachlage iſt die: nach dem, was ich vorgetragen, ſcheinen bei dem Magiſtrat grundſätzliche Bedenken nicht zu beſtehen, daß bei Un⸗ glücksfällen in Nachbargemeinden die Feuerwehr und andere dem öffentlichen Wohl dienenden Inſtitutio⸗ nen einzuſchreiten haben. Dagegen habe ich keinen Zweifel, daß entweder in der Organiſation oder in der Geſchäftsanweiſung der Feuerwehr ſchwere Fehler bzw. Unklarheiten enthalten ſein müſſen, die den betr. Beamten veranlaßt haben, in dieſer nach meinem Dafürhalten unerhörten Art und Weiſe ſich zu verhalten. Meine Herren, der Bericht über die Verwal⸗ tung der Stadtgemeinde für das Jahr 1908 ergibt, daß die Feuerwehr ſehr oft — ich kann die Zahl augenblicklich nicht angeben — zur Errettung von Menſchen und Tieren eingeſchritten iſt. Der Ge⸗ ſchäftsbericht ergibt aber nicht, ob für die Feuer⸗ wehr ein Verbot exiſtiert, wenn in einer Nachbar⸗ gemeinde ſich ein Unfall ereignet, einzuſchreiten. Deshalb iſt es mir unbegreiflich, wieſo der betref⸗ fende Beamte eine derartige Auskunft erteilen konnte. Selbſt wenn eine Unklarheit in der Ge⸗ ſchäftsanweiſung vorhanden wäre — falls über⸗ haupt eine Geſchäftsanleitung beſteht —, oder ſelbſt wenn die Inſtruktion der betreffenden Beamten irgendwie unklar lauten ſollte, ſo müßte man doch von einem alten Beamten verlangen, daß er in ſolcher Situation das Richtige zu finden weiß. Statt deſſen ſtellt er Erwägungen an, lehnt die Hilfe ab und ruft eine derartige Aufregung hervor, daß dies geeignet iſt, Charlottenburg in der öffent⸗ lichen Meinung herabzuſetzen. Der Satz „Charity begins at home“ — mag für den einzelnen einen geſunden Gedanken enthalten, ſicher aber nicht für Staat und Gemeinde; dieſe ſind verpflichtet, ohne jede Rückſicht zu helfen. Wenn der betreffende Be⸗ amte gegen die Dienſtvorſchrift verſtoßen oder ſelbſt — trotz einer Unklarheit der Dienſtvorſchrift — ſo gehandelt haben ſollte, wie ich es vortrug, ſo verdient er einen ganz gehörigen Denkzettel. Ein Mann, der dort hingeſtellt worden iſt, um eine ſtädtiſche Feuerwehr zu vertreten, muß in der Lage ſein, in ſolchen Momenten das Richtige zu finden. Was nützen auch die beſten Inſtruktionen, wenn ſie an dem Bureaukratismus eines Unter⸗ beamten ſcheitern! Abgeſehen aber davon, meine Herren, bin ich der Meinung, es iſt dringend notwendig, daß eine Stadt wie Charlottenburg eine Dienſtanweiſung für die Feuerwehr ſchafft und einführt, die glatt funktioniert, die ſo klar geſtellt iſt, daß jeder Beamte jederzeit in der Lage iſt, ſich ſo zu benehmen, daß derartige Vorfälle ſich nicht ereignen können, daß vor allem immer der richtige Mann auf einen exponierten Platz geſtellt wird.