140 Sitzung vom Vorſteher Kaufmann: Ich möchte bemerken, daß dieſer Aſſiſtenzarzt auf Gemeindebeſchluß an⸗ geſtellt iſt. Stadtv. Vogel I1: Meine Herren, der Vor⸗ redner geht von der Anſicht aus, daß die Kinder aus dem Mittelſtande die Hilfe nicht nötig haben, weil die Eltern ſelbſt für ſie ſorgen. Da befindet er ſich in einem großen Irrtum. Ein großer Teil der Eltern aus dem MNittelſtande und auch ſehr wohlhabende Leute haben gar kein Verſtändnis von der Wichtig⸗ keit der Zahnpflege. Sie denken halt: wir haben für uns nicht den Zahnarzt gebraucht und haben uns ſchließlich ein künſtliches Gebiß angeſchafft, wenn unſeren Kindern die Zähne verdorben ſind, dann haben wir Geld genug, ihnen auch ein Gebiß anzuſchaffen. Alſo daß die bemittelten Eltern all⸗ gemein dafür ſorgen, daß die Zähne ihrer Kinder erhalten werden, davon iſt nicht die Rede. Es iſt eben Aufgabe der ſtädtiſchen Fürſorge, dafür zu ſorgen, daß dieſe Kinder, die von ihren Eltern aus Unkenntnis, aus Leichtfertigkeit vernachläſſigt wer⸗ den, nicht zeitlebens geſchädigt werden. Es iſt eine Schädigung in verſchiedener Hinſicht, die die Kinder erleiden, eine Schädigung, die kein Kapital er⸗ ſetzen kann. Die Anſichten, die der Herr Vorredner geäußert hat, haben wir ſchon vor 7, 8 Jahren widerlegt. Damals haben wir eben die Zahnklinik beſchloſſen, wir ſind ſehr zufrieden damit und werden ſie wahr⸗ ſcheinlich auch noch vergrößern. Da ich gerade das Wort habe, will ich auch noch etwas zu der Lieferung von Lernmitteln ſagen. Es geht damit gerade ſo wie mit der Wert⸗ zuwachsſteuer. Erſt hat man ſich dagegen geſträubt und hat geſagt: mögen die anderen Städte ſie einführen, wir führen ſie doch nicht ein, und jetzt hat man ſich mit der Wertzuwachsſteuer ſehr beeilt. Ganz ebenſo iſt es mit der Lieferung von Lern⸗ mitteln an ſämtliche Kinder, gleichgültig ob ſie arm ſind oder aus dem Mittelſtande. Jedes Jahr kommen neue Städte hinzu, die ſie bewilligen: Stuttgart und Feuersbach und Frankfurt und Mainz — ſogar Schöneberg in unſerer Nähe hat zwar nicht für ſämtliche Klaſſen, aber für die drei oberſten Klaſſen die Gewährung freier Lernmittel zunächſt bewilligt. Schöneberg iſt uns auch mit der Wertzuwachsſteuer vorangegangen. Wir haben uns nicht geniert, ihm nachzufolgen, und brauchen uns auch nicht zu genieren, mit der Bewilligung von Lernmitteln ihm zu folgen. Es wird geſagt, ſchon jetzt können Kinder Bücher unentgeltlich geliefert erhalten. Das iſt aber doch etwas anderes. Wenn es geſchieht, dann heißt es gleich: das iſt ein armer Teufel —, die Kinder ſind dann gezeichnet. Das wollen wir eben abſchaffen. Die Lieferung ſoll gleichmäßig an alle erfolgen. Ich denke, man könnte das tun, was auch im Etatsausſchuß vorgeſchlagen worden iſt, und die freien Lernmittel für die Schüler der unterſten Klaſſe der Gemeindeſchulen bewilligen, was etwa 7500 ℳ koſten wird. Ich möchte den Antrag wiederholen, daß für die un⸗ terſte Klaſſe wenigſtens in dieſem Jahre der Betrag von 7500 ℳ für freie Lernmittel bewilligt wird. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) (Die Beratung wird geſchloſſen.) Borſteher Kaufmann: Ich ſtelle feſt, daß ein Antrag auf Bewilligung von 7500 ℳ. zur Gewäh⸗ 22. März 1910 rung von Lernmitteln für die unteren Klaſſen nicht vorliegt und daß Herr Kollege Dr Borchardt na⸗ mens ſeiner Freunde den Antrag zurückgezogen hat. Berichterſtatter Stadtv. Otto (Schlußwort): Der Antrag des Herrn Kollegen Dr Liepmann, 3000 ℳ bei der Schulzahnklinik abzuſetzen, hat dem Etatsausſchuß nicht vorgelegen. Ich kann alſo als Berichterſtatter des Etatsausſchuſſes dazu nichts bemerken, glaube mich aber nicht zu täuſchen, wenn ich hier ausſpreche, daß, falls der Antrag des Herrn Kollegen Dr Liepmann dem Etatsausſchuſſe vor⸗ gelegen hätte, er gegen eine Stimme, nämlich die Stimme des Herrn Antragſtellers, abgelehnt worden wäre. Der Herr Kollege Dr Liepmann hat darauf gerechnet, daß er wegen dieſes Antrages von der Mehrheit dieſer Verſammlung, wie er ſich ausdrückte, heruntergeputzt werden würde. Er hat ſich aus dem Verlaufe der Debatte überzeugen müſſen, daß dieſe ſeine Rechnung falſch war. Ich glaube, er hat einen ganz falſchen Grundfaktor bei dieſer ſeiner Be⸗ rechnung eingeſtellt: er hat, wie mir ſcheint, ge⸗ glaubt, daß große Geſichtspunkte, die ihm per⸗ ſönlich neu ſind, auch für dieſe Verſammlung etwas Neues bedeuten. Das iſt nicht der Fall. Neu iſt für uns nur das Problem, das Herr Kollege Dr Liep⸗ mann heute aufgeworfen hat, Sozialpolitik ohne ſonderliche Geldausgaben zu treiben. Die Mehrheit dieſer Verſammlung wird in Ruhe abwarten, bis es dem Sozialpolitiker Herrn Dr Liepmann gelungen iſt, dieſes große Geheimnis zu löſen. (Heiterkeit und Bravo!) (Der Antrag des Stadtv. Dr Liepmann wird abgelehnt. Kapitel 111, Bürgermädchenſchule, Gemeinde⸗ und Hilfsſchulen, wird in Einnahme und Ausgabe nach dem Voranſchlage des Magiſtrats mit den vom Berichterſtatter vorgetragenen An⸗ derungen feſtgeſtellt.) Vorſteher Kaufmann: Kapitel Iy. Fortbildungsſchulen. Berichterſtatter Stadtv. Meyer: Meine Herren, der Etatsausſchuß hat darin übereinge⸗ ſtimmt, die erheblichen Fortſchritte unſerer Char⸗ lottenburger Fortbildungsſchule dankbar anzu⸗ erkennen. Trotzdem hat er eine Anregung des Innungsausſchuſſes einer genauen Prüfung unter⸗ zogen, die Zahl der Handwerksmeiſter in der De⸗ putation zu erhöhen. Man war auf allen Seiten der Meinung, daß in der Tat die Mitwirkung der Handwerksmeiſter in der Fortbildungsſchuldepu⸗ tation außerordentlich wünſchenswert und wichtig iſt. Aber da gegenwärtig ſich drei Handwerksmeiſter in der Deputation befinden — einer davon iſt erſt kürzlich hineingewählt worden —, da ferner es der Deputation jederzeit möglich iſt, andere Hand⸗ werksmeiſter zu ihren Beratungen zuzuziehen, iſt man der Anſicht geweſen, daß ein dringendes Be⸗ dürfnis, die Zahl zu verſtärken und damit die Mit⸗ gliederzahl gerade dieſer Deputation über die übliche Höchſtzahl von 15 zu erhöhen, zurzeit nicht beſteht. Eine andere Anregung, welche aus der Mitte des Ausſchuſſes gegeben worden iſt, ging dahin, darauf zu wirken, daß Strafverfügungen wegen Unterlaſſung des Beſuchs der Fortbildungsſchule in möglichſt vorſichtiger Weiſe erlaſſen werden und