Sitzung vom 22. März 1910 151 Deswegen haben wir auch den Antrag Dzialoszynski unterſchrieben, weil wir hoffen, daß uns durch die Antwort des Magiſtrats darüber Klarheit ver⸗ ſchafft wird, wieweit denn überhaupt die Be⸗ laſtung der Stadt Charlottenburg geht, ſowie was der Stadt an Vorteilen aus den Provinzial⸗ leiſtungen erwächſt. Ich wollte dann noch zu einer andern An⸗ gelegenheit einige Ausführungen machen, in erſter Linie zu dem Beſchluß, der im Etatsausſchuß ge⸗ faßt worden iſt und hier vom Plenum beſtätigt werden ſoll, der die Einrichtung eines Polizei⸗ reviers in dem Stadtteil am Lietzenſee betrifft. Der Herr Referent hat geſagt, dieſer Antrag ſei einſtimmig im Ausſchuß angenommen worden. Ich bin nicht Mitglied des Etatsausſchuſſes, ich weiß nicht, inwiefern hier ein Irrtum des Herrn Referenten vorliegt. Er hat die Einſtimmigkeit der Annahme dieſes Antrags aber beſonders unter⸗ ſtrichen. Einer meiner Freunde, der im Etats⸗ ausſchuß bei dieſer Gelegenheit mitgewirkt hat, beſtreitet ganz entſchieden, daß er für dieſen An⸗ trag geſtimmt hat. (Stadtv. Dzialoszynski: Dann bitte ich um Ent⸗ ſchuldigung!) — Der Irrtum iſt ja nicht erheblicher Natur, aber ihn hervorzuheben, iſt für mich deswegen eine Verpflichtung, weil ich gegen dieſen Antrag ſprechen will, damit nicht der Anſchein erweckt wird, als ſtehen wir hier in einem gegenſätzlichen Stand⸗ punkt zu dem, den unſere Freunde im Etats⸗ ausſchuß eingenommen haben. Der Ruf nach mehr Polizei in Charlottenburg ertönt ja bei jeder Etatsberatung. In dem ver⸗ gangenen Jahre iſt es ſo geweſen, und es ſchien uns ſelbſtverſtändlich, daß dieſer Ruf auch in dieſem Jahre wiederum erhoben wurde. Er wird mit der Unſicherheit auf den Straßen in Charlotten⸗ burg begründet. Der Reſolution, die in der Haupt⸗ ſache eine Berückſichtigung des Viertels am Lietzen⸗ ſee fordert, iſt inſofern eine Berechtigung zuzu⸗ erkennen, als ihre Urheber ſich darauf ſtützen, daß die Gegend um den Lietzenſee nicht die erforder⸗ lichen Garantien der Sicherheit bietet. Ich meine aber, dieſelben Zuſtände, die am Lietzenſee als unerfreuliche hervorgehoben werden, beſtehen auch in anderen Teilen der Stadt, nicht nur in den⸗ jenigen, die erſt ſo wenig der Bebauung erſchloſſen ſind wie das Lietzenſeeviertel. Wir haben in den belebteſten Teilen der Stadt faſt dieſelben Vor⸗ kommniſſe, wie ſie dort zu beklagen ſind. Ich will nur einige Fälle hervorheben. Es iſt geklagt worden und wird heute ſehr viel über die Unſicher⸗ heit geklagt, die am Nonnendamm herrſcht, die ferner in den Straßen im Helmholtzviertel vor⸗ handen iſt. Auch in den belebteren Gegenden Charlottenburgs iſt zeitweiſe eine größere Un⸗ ſicherheit auf den Straßen zu bemerken. Ich er⸗ innere an den ſehr bedauernswerten Vorfall, der ſich vor einiger Zeit abgeſpielt hat und deſſen Opfer ein junger Menſch geworden iſt, der die Hochſchule für Muſik verlaſſen hatte und unmittelbar bei der Hochſchule gegenüber dem Steinplatz von einigen Leuten überfallen und ſo ſchwer geſchlagen worden war, daß er wochen⸗ oder monatelang im Krankenhaus hat zubringen müſſen. Das war nicht mitten in der Nacht, ſondern in den frühen Abendſtunden. (Zuruf des Stadtv. Dr Frentzel) — Das wiſſen Sie gar nicht, Herr Kollege Frentzel? Das hat in den Zeitungen geſtanden, und Sie können von Glück ſagen, daß Sie ſchon zu Hauſe waren. — Jedenfalls iſt die Gegend am Stein⸗ platz und vor der Hochſchule für Muſik belebter als das Lietzenſeeviertel. Selbſt in der Berliner Straße paſſierten ſchon ähnliche Dinge. Es reicht ſchon einige Zeit zurück, da paſſierte es einem meiner Freunde, daß er mitten in eine Schlägerei hineingekommen war, die ſich auf der Berliner Straße abgeſpielt hatte. Es war in den Nachtſtunden zwiſchen 11 und 12. In der ganzen Berliner Straße war zu dieſer Zeit nur e in Schutz⸗ mann zu ſehen, und als der herbeigerufen und ihm bedeutet wurde, er ſollte den Menſchenknäuel aus⸗ einanderbringen und die Urheber der Schlägerei zur Wache führen, ſagte er: Ich werde mir erſt vom nächſten Polizeirevier Hilfe holen. Er iſt dann nicht mehr geſehen worden, (Heiterkeit) hat aber demjenigen, der ihn beauftragt hatte, die Ruheſtörer feſtzuſtellen, den wohlmeinenden Rat noch gegeben, die Betreffenden, die ſich ge⸗ prügelt hatten, genügend zu beobachten, damit ſie auch gefaßt werden könnten, wenn er zurückkäme. Meine Herren, es iſt nicht nur die Frage aufzuwerfen, ob allein durch die Schutzleute die Sicherheit und die Ordnung auf den Straßen zur Nachtzeit gewährleiſtet werden könnte. Ich er⸗ innere mich eines Falles, den mir neulich ein Freund erzählte. Er kam — noch nicht mal um die Mitternachtſtunde, ſondern früher — in die Gegend der Schul⸗ und Spreeſtraße. In der Schulſtraße ſteht einer der bekannten langen Käſten, in denen der Sand aufbewahrt wird. Kurz bevor er den Kaſten ſelbſt erreichte, ſah er, wie in dieſen Kaſten ein Mann und eine Frau hineinſtiegen und den Deckel zuklappten. (Heiterkeit und Zuruf: Wozu denn?) — Darüber möchte ich mich keinen Gedanken hin⸗ geben, ich werde ihnen zum mindeſtens keinen Ausdruck verleihen:; Vermutungen ſind jedem frei⸗ geſtellt. Das Originelle war nur, daß nicht weit von dieſem Punkt, wo ſich das zutrug, ein Schutz⸗ mann ſtand, traum⸗ und ſinnverloren in die Nacht ſtarrte und jedenfalls gar keine Ahnung davon hatte, welche Deutung hier dem „Recht auf die Straße“ durch die beiden, die in den Kaſten ge⸗ ſtiegen waren, gegeben wurde. (Große Heiterkeit.) Wir ſind der Auffaſſung, daß es durchaus nicht daran liegt, daß zu wenig Schutzleute in Charlottenburg ſind, ſondern meine Freunde haben von jeher den Standpunkt vertreten, daß genügend Schutzleute in Charlottenburg vorhanden ſind. Wir ſehen den Mangel im Syſtem und in der Organiſation der Schutzmannſchaft ſelbſt liegen. Es wäre aber vollkommen verkehrt, der Char⸗ lottenburger Polizeiverwaltung und ihrer Leitung einen beſonderen Vorwurf daraus machen zu wollen, denn die Charlottenburger Polizei unter⸗ ſteht der Direktion des Berliner Polizeipräſidiums. Wenn Sie immer darüber klagen, daß zu wenig Schutzleute da ſind, dann müſſen wir darüber klagen, daß zu viel vorhanden ſind. Es ſcheint darin eine verſchiedene Anſchauung bei Ihnen und bei uns zu beſtehen: Sie bekommen keinen Poli⸗ ziſten zu ſehen, und wir müſſen zu viele ſehen. Wenn Sie über Poliziſtenmangel auf den Straßen klagen, dann möchte ich Sie einmal einladen,