Laufe der Jahre — hören Sie bloß, meine Herren! 176 Sitzung vom 13. April 1910 Vorlage gemacht wird, wonach wir dieſen Leuten ſtehenden Ein⸗ und Zweizimmerwohnungen im 500 000 ℳ zu 3½% und , des Wertes Gelder aus der Sparkaſſe gewähren ſollen. (Zuruf.) Der Magiſtrat ſchreibt in ſeiner Vorlage weiter — darauf muß ich noch zurückkommen —, nachdem er vorweg bemerkt, daß ein Bedürfnis dafür vorhanden iſt, die 100 ſtädtiſchen Beamten und Arbeiter der Gasanſtalt II unterzubringen, folgendes: Ein ſprechendes Beiſpiel für das Vorhanden⸗ ſein eines ſolchen Bedürfniſſes ſind die Wohnungsverhältniſſe der Arbeiter unſerer Gasanſtalt I1I. Dieſe Arbeiter können in der Nähe ihrer Arbeitsſtätte bis jetzt keine Woh⸗ nungen finden, weil man erſt anfängt, die Gegend zu erſchließen. Es werden auch noch Jahr und Tag vergehen, bis in unmittelbarer Nähe der Gasanſtalt I1I1 gute Wohnungen zu haben ſein werden. Dieſe Arbeiter ſind alſo, zumal in der unwirtlichen Jahreszeit, bei der Art ihrer Beſchäftigung auf dem Wege von der Arbeitsſtelle nach der entfernten Wohnung erheblichen geſundheitlichen Ge⸗ fahren ausgeſetzt. FfI Ich habe mir die Gegend der Gasanſtalt I1 an⸗ geſehen. Hunderte von Wohnungen ſind da zu finden. In der Tauroggener Straße, Mündener Straße, Osnabrücker Straße ſteht eine Unmenge Wohnungen leer. Es iſt mir in der Fraktion, wo ich ſelbſtverſtändlich die Sache vorgebracht habe, geſagt worden: Nennen Sie uns doch einige Wohnungen ſpeziell in der dortigen Gegend. Ich bin ſtundenlang herumgewandert und habe mir das Material zuſammengeſtellt. Mit trauriger Miene habe ich feſtſtellen müſſen, daß dieſe armen Leute — anders kann ich mich nicht ausdrücken — die ungeheuern Hausabgaben zahlen müſſen, was ja nicht zu ändern iſt, trotzdem ſie die Wohnungen leer haben. Da ſagt nun der Magiſtrat, daß es keine Wohnungen in der Gegend gibt. Hat der Magiſtrat keine Fühlung mit dieſer Gegend, die jetzt ganz neu bebaut worden iſt, weiß er denn nicht, daß dort Wohnungen von 2 und 3 Zimmern leer ſtehen? Ich verſtehe eine ſolche Begründung nicht. Ich möchte wirklich wiſſen, wer dieſe Vorlage gefertigt hat. Meine Herren, ich komme nun zu der Frage, ob ein Bedürfnis vorliegt und ob es überhaupt zweckmäßig iſt, weitere Wohnungen bauen zu laſſen, ob die Genoſſenſchaft in Schwierigkeiten ſich befindet, daß man ſie unterſtützen muß. Das iſt gar nicht der Fall. Die Leute ſchreiben in ihrem Geſchäftsbericht folgendes: Erwähnt ſei noch, daß uns von einem der bedeutendſten Berliner Bankinſtitute ein ſehr großer Kredit zu günſtigſten Bedingungen eingeräumt worden iſt, von dem wir aber bisher noch nicht Gebrauch gemacht haben. Trotzdem kommen ſie zum Magiſtrat und bitten um ein Darlehen von 500 000 ℳ zu 3½ % bis zu %o des Wertes! Liegt denn wirklich ein Bedürfnis vor? Hat der Magiſtrat nicht in die ſtatiſtiſchen Monats⸗ und Jahresberichte Einſicht genommen, wo feſtgeſtellt iſt, daß 3862 Wohnungen leer ſtehen? — worin weiter feſtgeſtellt iſt, daß von dieſen 1552 Ein⸗ und Zweizimmerwohnungen und 554 Dreizimmer⸗ wohnungen ſind, daß der Prozentſatz der leer⸗ — von 1,25 auf 3,6, auf 4,40 und 5,„56% geſtiegen iſt und daß wir jetzt im Durchſchnitt aller Wohnungen auf 4,72% angekommen ſind? — daß wir von allen Großſtädten Deutſchlands augenblicklich an dritter Stelle ſtehen? Iſt es denn möglich, daß unter ſolchen Umſtänden uns eine Vorlage zur Unterſtützung einer Baugenoſſenſchaft gemacht wird! In Groß⸗Berlin ſtehen ca. 40 000 Wohnungen leer, von denen 21 339 Ein⸗ und Zweizimmer⸗ wohnungen ſind. In Wilmersdorf ſtehen 2110 Wohnungen leer. Ich habe hier die Statiſtik von 25 Großſtädten. In ſämtlichen 25 Großſtädten iſt durch eine richtige geſunde Kommunalpolitik dafür geſorgt worden, daß die Zahl der leer⸗ ſtehenden Wohnungen von Jahr zu Jahr zurück⸗ gegangen iſt. Bei uns und in noch einer Stadt — Altona — iſt die Zahl der leerſtehenden Wohnungen geſtiegen, in ſämtlichen andern Städten iſt ſie gefallen, z. B. in Dresden, obgleich wir ja wiſſen, daß dort ſeinerzeit furchtbar gebaut worden iſt und eine Überproduktion an Wohnungen vorhanden war. Man hat durch eine einhaltende Kommunal⸗ politit dafür geſorgt, daß der Baumarkt in ge⸗ wiſſem Sinne eingeſchränkt wurde. 1905 ſind dort 9135 Wohnungen leer geweſen, 1906: 7848, 1907: 5179 und 1909: 2658. Der Prozentſatz der leerſtehenden Wohnungen iſt in Dresden von 7,8 auf 1,92 heruntergegangen. Wenn wir erſt ſoweit ſind, habe ich auch nichts dagegen, der Bau⸗ genoſſenſchaft Baugelder auf Kredit zu geben. In Berlin iſt der Prozentſatz allerdings geſtiegen, das gebe ich zu; gefallen iſt er aber in Breslau, in Düſſeldorf ganz koloſſal, gefallen iſt er auch in Frankfurt a. M., in Caſſel uſw. ich will Ihnen nicht das alles vorleſen. Nun komme ich noch zu einem andern Punkt. Nebenbei bemerkt iſt die Statiſtik der leerſtehenden Wohnungen im November aufgenommen worden. Wir müſſen uns doch ſagen, daß, wenn jetzt eine Enquete gemacht würde, ein erheblich höherer Prozentſatz herauskommen würde. Denn im vorigen Jahre ſind 200 Neubauten entſtanden. Dieſe 300 Neubauten haben trotz der vorhandenen leer⸗ ſtehenden Wohnungen 4435 neue Wohnungen dazu geſchaffen, und unter dieſen 4435 Wohnungen ſind wieder 1949 Ein⸗ und 3weizimmerwohnungen geweſen. Bedenken Sie, meine Herren, ein ſolches Übermaß von kleinen Wohnungen iſt geſchaffen worden! Sie werden ſagen: ja, jetzt wird überhaupt nicht mehr gebaut, jetzt iſt der Bau⸗ markt eingeſchränkt. Ich habe mich darüber orientiert. Ich bin auf der Baupolizei geweſen, habe dort die Bauſachen eingeſehen. Es iſt jetzt wieder eine Erhöhung für das erſte Vierteljahr eingetreten, und zwar ſind ganz ausnehmend große Mietstaſernen dabei. Wir werden alſo bei der übernächſten Enquete, die wohl dann erſt 1911 in Frage käme, wieder mit einer erhöhten Zahl von leerſtehenden Wohnungen rechnen müſſen. Aus alledem muß ich zu dem Schluſſe kommen, daß es mir unverſtändlich iſt, daß uns der Magiſtrat eine derartige Vorlage gemacht hat, die die Ver⸗ treter der Bürgerſchaft gutheißen ſollen. Der beſte Weg, glaube ich, wäre der, daß der Magiſtrat einfach die Vorlage zurückzieht und daß nicht erſt ein Ausſchuß eingeſetzt wird. Ich jedenfalls vlädiere für Ablehnung der ganzen Vorlage. 5 (Bravo!)