Sitzung vom 13. April 1910 und mit dem Tropfen ſozialpolitiſchen Ols alle ge⸗ ſalbt ſind — ich hoffe, auch die beiden Herren Vor⸗ redner —, nicht unſere Augen zu verſchließen vor dem Elend, ſondern hineinzugehen und zu ver⸗ ſuchen, da beſſernde Hand anzulegen. Dieſes Wohnungselend beſteht bei uns viel⸗ fach einmal in der Überfüllung der Wohnungen und dann in der mangelhaften Anlage der Woh⸗ nungen, die nicht von geſundheitlichen und hygieni⸗ ſchen Geſichtspunkten diktiert iſt, ſondern lediglich vielfach aus finanziellen Rückſichten. Es liegt ferner in dem ungeheuer böſen Aftervermieten, dem Schlafſtellenweſen. Es fehlt den Wohnungen viel⸗ fach an Licht und Luft, ſowohl rein körperlich ge⸗ dacht, als auch in übertragenem, in ſittlichem Sinne. Es wuchern verderbliche Schlingpflanzen in dieſen Wohnungen, die an der Kraft unſeres Volkes zehren, körperliche und ſittliche Krankheiten. Es iſt eine nationale Pflicht, hier die Augen aufzu⸗ machen und gegen die vorliegenden Mißſtände anzu⸗ kämpfen. — Ich habe von dieſen nur die aller⸗ bedeutendſten genannt. Es ſind noch viele andere: die Teuerung z. B., die die minderbemittelten Be⸗ völkerungsklaſſen dazu zwingt, große Wohnungen zu mieten, um nachher abvermieten zu können uſw. Dieſe Mißſtände ſind es, die ich hauptſächlich als den Grund hinſtelle, die das Bedürfnis ergeben, für Erſtellung geſunder, einwandfreier Wohnungen zu ſorgen. Meine Herren, der Baumarkt hat es bishernichtverſtan den, Wohnungen zu bauen, die einwandfrei ſi n d. Sie entſprechen zwar den baupolizeilichen Verord⸗ nungen, aber ſie entſprechen noch lange nicht den Anforderungen, die wir ſtellen müſſen an die Woh⸗ nungen für die minderbemittelten Bevölkerungs⸗ ſchichten, damit ſich in ihnen ein guter ſittlicher Familienſinn entwickelt. Das iſt auch nicht Sache der Polizei. Ich kann der Polizei daraus keinen Vorwurf machen, wenn die Baupolizeiverord⸗ nungen darauf keine Rückſicht nehmen. Aber unſere Sache iſt es, die wertvolle nationale Kraft, die unſere Städte zieht, uns zu erhalten und nicht in ſchlechten dumpfen Verhältniſſen zugrunde gehen zu laſſen, zumal dieſe mißlichen Verhältniſſe mit Leichtigkeit ohne große Koſten für die Stadt beſeitigt werden können, wie unſere Vorlage den Weg vorzeichnet. Es iſt auch nicht verſtändlich, wenn die Herren ſagen, ſie verſtänden es nicht, daß der Magiſtrat dieſe Vorlage gemacht habe, obgleich ſie ſich doch überlegen müßten, daß wir auf dem Gebiete der Wohnungspolitit bereits mehrfach praktiſch vorge⸗ gangen ſind. Es iſt ja nichts Neues, was wir Ihnen mit dieſer Vorlage bringen, wenn wir darin detonen, daß wir gegen das Wohnungselend auf⸗ treten müſſen. Sie haben dem Bau eines L e⸗ digenheims zugeſtimmt. (Zuruf: Iſt etwas anderes!) — Ja, meine Herren, das iſt etwas anderes als dieſe Vorlage, aber es hängt für den, der ſich mit der Sache näher befaßt, eng zuſammen, es iſt der⸗ ſelbe Grund, auf dem die beiden Zweige erwachſen. Der Grund iſt das Wohnungselend. Wir wollen unſere Wohnungen vor allen Dingen und in erſter Reihe von dem ungeheuer böſen Schlafſtellenweſen befreien. Dem haben Sie zugeſtimmt. Wir haben einen vorſichtigen Schritt gemacht, einen kleinen, vorſichtigen Schritt mit der Errichtung eines Le⸗ digenheims, weil wir uns ſagten: wenn wir die Induſtrie vom Lande hierher in unſere 179 Schlafſteller aus den Familien herausbringen wollen, ſo müſſen wir ihnen Gelegenheit geben, andere Wohnungen zu finden, wo ſie nicht ver⸗ derblich wirken. Deshalb haben wir den erſten Schritt mit dem Ledigenheim gemacht, und dieſe Stadtverordnetenverſammlung iſt ſchon ſehr un⸗ geduldig geworden, daß wir nicht auch ſchon den zweiten Schritt gemacht und Ihnen noch nicht die Vorlage bezüglich des Wohnungsamtes gebracht haben. Wir ſind mehrfach in der Stadt⸗ verordnetenverſammlung koramiert worden, wann denn endlich die Vorlage wegen des Wohnungs⸗ amtes erſcheint. Durch das Wohnungsamt wollen wir die Mißſtände des Wohnungsweſens unſerer Stadt aufdecken und uns vor Augen führen, wollen den Hausbeſitzern Gelegenheit geben, die Woh⸗ nungen zu verbeſſern, und den Mietern, eventuell andere Wohnungen zu beziehen. Um dies zu er⸗ möglichen und um die Aufgabe des Wohnungs⸗ amtes möglich zu machen, werden wir vorher aber diejenigen Beſtrebungen unterſtützen müſſen, die auf Errichtung geſunder, hygieni⸗ niſch und ſittlich einwandfreier Wohnungen zielen. Denn nur dann können wir einen aus einer ſchlechten Wohnung hinaus⸗ weiſen, wenn wir ihm ſagen: hier iſt eine gute Wohnung, die kannſt du beziehen, die iſt nicht teurer als die ſchlechte Wohnung, die du jetzt haſt. Alſo dieſe Vorlage iſt ein Glied der Wohnungs⸗ politit, die die Stadtverordnetenverſammlung ſchon längſt beſchritten hat, ſie iſt nichts Neues, meine geehrten Herren, Sie haben ſich nur nicht in die Frage ſo, wie es nötig iſt, vertieft, und nur deshalb iſt ſie Ihnen als etwas Neues und Wunderbares erſchienen. Nun, meine Herren, hat die Stadtverordneten⸗ verſammlung nicht bloß durch den Bau des Ledigen⸗ heims und durch die Forderung eines Wohnungs⸗ amts gezeigt, daß ſie es für nötig erachtet, die Wohnungspolitik zu treiben, die wir in Charlotten⸗ burg in Angriff genommen haben, ſondern ſie hat auch einen weiteren poſitiven Schritt dahin getan, daß ſie, auch ſchon vor ein paar Jahren, eine ge⸗ miſchte Deputation eingeſetzt hat (Zuruf bei den Sozialdemokraten) zur Erſtellung von Wohnungen für die minder⸗ bemittelten Klaſſen der Bevölkerung. Dieſe Depu⸗ tation hat mehrfach beraten. Wir ſind anfangs, d. i. vor 10 Jahren, als wir anfingen, die Frage der Wohnungspolitik anzuſchneiden, in der Depu⸗ tation von dem Gedanken ausgegangen, ob es ſich nicht empfehlen würde, daß die Stadt ſelbſt als Bauherrin, als Bauunternehmerin aufträte. Dieſen Gedanken haben wir nicht für zweckmäßig erachtet aus Gründen, die nicht hierher gehören. Die Deputation iſt ſich vielmehr dahin ſchlüſſig ge⸗ worden, daß der gegebene Weg zur Erſtellung ge⸗ ſunder, einwandfreier Wohnungen der iſt, daß wir die Beſtrebungen, die ſich ſeit längerer Zeit immer mehr und mehr im praktiſchen Leben geltend machen, unterſtützen, nämlich die Beſtrebungen der Arbeiter und Beamten, ſich zu Genoſſenſchaften zuſammenzutun und auf dieſem Wege den Bau der Wohnungen, die unſerm Volte nötig ſind, in die Hand zu nehmen. Es iſt ein ſehr großer Irrtum von Herrn Haack, wenn er meint, daß die Berliner Baugenoſſenſchaften dabei einen abwegigen Weg gegangen ſind. Hier fehlt ihm wieder die Kenntnis. Es gehen ihn, wie ich annehme, nur große Woh⸗ nungen an, und er hat ſich bisher, bis auf ſeinen