Sitzung vom 3. Mai 1910 207 beſitzerprivileg nicht nur veraltet iſt, ſondern daß angehörten. — Sie werden mir zugeben, meine es auch gemeingefährlich iſt, daß es zum Schaden der Geſamtheit ausſchlägt und ausſchlagen muß. Das iſt ——. erklärlich: wenn man einer beſtimmten Klaſſe Sondervorrechte einräumt, ſo liegt es eben in der Natur der Sache, daß dieſe beſtimmte Klaſſe zunächſt ihre eigenen Klaſſenintereſſen wahrt. Wir haben auch ſonſt keinen Stand, der etwa ſolche Vorrechte in irgendeinem Geſetze genießt wie gerade der Stand der Hausbeſitzer. Das mag ja zurzeit, wo die Städteordnung erlaſſen worden iſt, berechtigt geweſen ſein. Damals waren ganz andere Zuſtände, damals hatten wir noch einen ſeßhaften Hausbeſitzerſtand, während heute davon in kaum einer Gemeinde mehr, auch in Charlotten⸗ burg nicht, die Rede ſein kann. Im Jahre 1904 iſt Ihnen vom Magiſtrat eine Statiſtik über den Be⸗ ſitzwechſel in Charlottenburg zugegangen. Daraus geht hervor, daß innerhalb eines Zeitraumes von ungefähr ſechs Jahren etwa die Hälfte aller Grund⸗ ſtücke in Charlottenburg ihren Beſitzer gewechſelt haben. Sie ſehen alſo, daß der Hausbeſitz heute genau ſo ein Geſchäft geworden iſt wie jedes andere Geſchäft, möchte ich ſagen. Genau mit dem⸗ ſelben Recht, wie man dem Hausbeſitzer ein Vor⸗ recht einräumt, genau ſo gut könnten irgendwelche anderen Klaſſen der Bevölkerung ein Vorrecht ver⸗ langen. Aber man denkt gar nicht daran, anderen Schichten ein ſolches Vorrecht einzuräumen. Wir wollen das natürlich auch nicht. Deswegen ſollten auch die Hausbeſitzer nicht auf ein ſolches Recht, das in nichts begründet iſt, pochen. Aber, meine Herren, ganz abgeſehen von den materiellen Er⸗ wägungen, die gegen die Beibehaltung des Haus⸗ beſitzerprivilegs ſprechen, ſprechen dagegen auch Erwägungen rechtlicher Natur. Ich erinnere Sie an die zahlloſen Entſcheidungen, die auf dieſem Ge⸗ biete von dem Oberverwaltungsgericht getroffen worden ſind. Dieſe Entſcheidungen beweiſen klipp und klar, daß auch der höchſte Gerichtshof ſich heute mit den veralteten Beſtimmungen über das Haus⸗ beſitzerprivileg gar nicht mehr abfinden kann. Wir ſelbſt haben ja in der Charlottenburger Stadtver⸗ ordnetenverſammlung eine Reihe von Fällen erlebt, wo wir infolge dieſer Beſtimmungen der Städte⸗ ordnung mit dem Oberverwaltungsgericht in Kon⸗ flikt geraten ſind. Allen ſolchen Erſcheinungen würde man natürlich mit dem Augenblick aus dem Wege gehen, wo man das Hausbeſitzerprivileg beſeitigte. Auch im Intereſſe der verſchiedenen Parteien in dieſem Saale wäre es ſehr erwünſcht, wenn mit dieſem Vorrecht aufgeräumt würde. Es iſt ja ein offenes Geheimnis, daß alle Parteien unter dem Hausbeſitzerprivileg ſehr zu leiden haben, daß ſie dadurch in der Auswahl geeigneter Kandidaten ſehr beſchränkt ſind. Uns geht es genau ſo, wie es Ihnen geht. Zu welcher Korruption das unter Umſtänden führt, können Sie daraus erſehen, daß es mir ſchon mehr als einmal paſſiert iſt, daß, wenn Wahlen ausgeſchrieben waren, irgendwelche Herren, die mit unſerer Partei abſolut nichts zu tun haben, denen aber daran lag, Stadtverordnete zu werden, zu uns gekommen ſind und geſagt haben: können Sie uns nicht als Hausbeſitzer irgendwo aufſtellen, Sie haben ja doch keinen Hausbeſitzer als Kandidaten. (Zurufe.) — Ich will nicht ſagen, welchen Parteien die Herren angehört haben, es genügt Ihnen vielleicht der Hinweis darauf, daß ſie unſerer Partei nich t Herren, daß wenn man bei der Auswahl der Stadt⸗ verordnetenkandidaten beſchränkt iſt, darunter na⸗ türlich das Niveau einer jeden Stadtverordneten⸗ verſammlung leiden muß. Man kann eben nicht immer die geeigneten Männer ins Stadtparlament wählen, weil die Betreffenden nicht die Vorbe⸗ dingung des Geſetzes erfüllen. Deswegen ſollten auch Sie von Ihrem Standpunkt aus für die Be⸗ ſeitigung des Hausbeſitzerprivilegs ſein. Natürlich ſollten Sie nicht halbe Arbeit machen, wie es Herr Kollege Otto im Jahre 1904 gewünſcht hat, ſondern Sie ſollten ſich mit uns vereinigen und ganze Arbeit machen. Nun wiſſen wir ja, daß die Mehrheit der Ver⸗ ſammlung auf einem anderen Standpunkt ſteht als wir. Die Mehrheit der Verſammlung, dieſelben Herren, die ſonſt für die ſtaatlichen Wahlen das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht fordern, erklären, daß ſie für die Stadtverordneten⸗ verſammlung dies Wahlrecht nicht haben wollen. Die Gründe dafür ſind ſehr fadenſcheinig. Ich kann die Gründe jedenfalls nicht billigen. Aber ſo weit gehen ja die Herren mit uns zuſammen, daß ſie wenigſtens das gleiche, geheime und direkte Wahl⸗ recht haben wollen, wenn ſie auch das allgemeine Wahlrecht verwerfen. Sie wollen, wie Sie hier früher ausgeführt haben, das Wahlrecht von einer gewiſſen Steuerleiſtung abhängig machen. Es fragt ſich, ob der Magiſtrat wenigſtens in dieſer Beziehung den Wünſchen der Verſammlung entgegenge⸗ kommen iſt. Ich will mit meinem Urteil darüber zurückhalten, bis ich die Antwort des Magiſtrats gehört habe. Vorläufig muß ich aber doch ſagen, ich habe den Eindruck gewonnen, als ob der Ma⸗ giſtrat gerade in dieſer Frage nicht ſo eifrig ge⸗ arbeitet hat, wie er ſonſt in anderen Fragen zu arbeiten pflegt. Ich erinnere mich keiner einzigen Frage, zu deren Beantwortung der Magiſtrat ſo lange Zeit gebraucht hat wie zur Beantwortung dieſer Frage. Das erweckt in mir den Verdacht, als ob dem Magiſtrat gar nichts daran liegt, den Auftrag, den ihm die Stadtverordnetenverſamm⸗ lung gegeben hat, auszuführen. Ich habe den Eindruck, als ob der Auftrag dem Magiſtrat eigentlich ſehr unangenehmiſt und als ob es ihm lieber geweſen wäre, wenn ihm die Stadtverordneten⸗ verſammlung einen ſolchen Auftrag überhaupt nicht erteilt hätte. Sei dem nun, wie ihm wolle, wir werden ja nachher Auskunft vom Magiſtrat be⸗ kommen und können uns dann näher über die Sache ausſprechen. Das eine ſteht aber für mich feſt, daß von den Gemeinden etwas geſchehen muß, um den Anſtoß zur Beſeitigung des heute beſtehenden Dreiklaſſenwahlſyſtems für die Kommunalwahlen zu geben. Darüber werden wir uns ja alle einig ſein, daß freiwillig die Mehrheits⸗ parteien des Landtags und der Regierung auch nicht einen Schritt den Gemeinden entgegen⸗ kommen. Ganz anders, wenn von den Gemeinden gegen das heutige unſinnige Dreiklaſſenwahl⸗ ſyſtem Sturm gelaufen wird, wenn alle Ge⸗ meinden in ganz Preußen ſich rüſten, um ge⸗ meinſam Proteſt zu erheben gegen dies Syſtem. Dann, glaube ich, wird auch die Regierung nicht auf ihrem ſtreng negierenden Standpunkt ver⸗ harren können, ſondern auch zu Konzeſſionen berei! ſein müſſen. Meine Herren, das wird um ſo eher der Fall ſein, als die Regierung in früheren Jahren ja