208 ſelbſt Reformen vom Landtag gefordert hat, die in einigen Punkten ſich mit dem decken, was wir fordern. Im Jahre 1876 hatte die preußiſche Re⸗ gierung dem Landtag einen Geſetzentwurf unter⸗ breitet, der den Erſatz der öffentlichen Stimmabgabe durch die geheime forderte und außerdem das Hausbeſitzerprivileg beſeitigen wollte. Seitdem iſt nchts geſchehen. Der Geſetzentwurf iſt nicht verabſchiedet worden. Heute denkt die Regierung gar nicht mehr daran, von ſelbſt irgendwelche Reformen vorzuſchlagen. Deswegen muß es unſere Aufgabe, die Aufgabe ſämtlicher Kommunen ſein, der Regierung d a 5 Ge wiſſen z u ſchärfen und dafür zu ſorgen, daß ſie ſich endlich einmal ihrer Pflicht bewußt wir d. Wenn die Gemeinden Großes leiſten, wenn ſie ihren Aufgaben namentlich auf ſozialem Gebiete gerecht werden ſollen, dann iſt es notwendig, ein Wahlſyſtem zu ſchaffen, das allen Kreiſen der Bevölkerung die Teilnahme an den Geſchäften der Stadtverordnetenverſammlung er⸗ mögl cht. Heute iſt das nicht der Fall, heute ſind enige Schichten der Bevölkerung gänzlich vom Wahlrecht ausgeſchloſſen, andere ſind zu einer hoffnungsloſen Minderheit verdammt. Das iſt ein Zuſtand, der auf die Dauer nicht haltbar iſt. Ich habe mich gefreut, daß jetzt die Liberalen gegen das Landtagswahlſyſtem Sturm laufen. Sie ſind ja durch unſere Agitation dazu gedrängt worden. (Lachen bei den Liberalen. — Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) — Wir wollen uns doch darüber hier nicht weiter unterhalten. Das wiſſen Sie ganz genau, daß Ihre Freunde jahrzehntelang geſchlafen haben und noch heute auf dem Ohre liegen würden, wenn ihnen nicht von unſerer Seite ein Anſtoß verſetzt worden wäre. Doch darüber will ich jetzt nicht ſprechen. Es handelt ſich hier um das Gemeindewahlrecht, und da meine ich: genau ſo, wie Sie im Staate jetzt endlich für die Beſeitigung des Dreiklaſſenwahl⸗ ſyſtems kämpfen, ſollten Sie ſich aufraffen, um mit den Arbeiterklaſſen zuſammen gegen das Dreiklaſſen⸗ wahlſyſtem in den Kommunen Sturm zu laufen. Gewiß wird Ihnen das ſchwer werden, ich gebe das ohne weiteres zu. Die Folge davon würde ja ſein, daß Sie aus der bevorrechtigten Stellung, die Sie heute einnehmen — allerdings ohne jeden Grund einnehmen, ohne daß Sie dazu ein Recht haben, abgeſehen von dem Recht, das ſich auf den Geld⸗ ſack ſtützt, das ich nicht anerkenne — die Folge davon würde natürlich ſein, daß Sie aus Ihrer Domäne verdrängt werden. Aber das kann jemand, der prinzipiell auf dem Boden des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts ſteht, nicht abhalten, auch für dieſe Forderung zu kämpfen. Selbſt wenn ich ſehe, daß ich perſönlich oder daß meine Partei davon Schaden hat, ſelbſt dann bin ich gezwungen, in der Offentlichkeit für eine programmatiſche Forderung einzutreten, damit mir nicht geſagt werden kann, daß ich zwar auf dem Papier ſehr ſchöne programmatiſche Forderungen habe, aber in dem Augenblick, wo es ſich darum handelt, die Forderungen in die Praxis umzu⸗ ſetzen, verſage. (Zuruf bei den Liberalen.) — Ich weiß nicht, was der Zuruf: „Gewerbe⸗ gericht“ ſoll. Wenn Sie über die Berliner Ver⸗ hältniſſe informiert ſind, werden Sie wiſſen, daß Sitzung vom 3. Mai 1910 gerade wir in Berlin dafür geſorgt haben, daß zum Gewerbegericht Verhältniswahlen eingeführt ſind. Man muß nicht immer mit alten Mätzchen kommen, die ſchon tauſendmal widerlegt ſind; (Heiterkeit) man muß auch mal etwas Neues leiſten. (Zuruf: Bitte!) Ich ſage alſo: wenn Sie ſich nicht dem Vorwurf ausſetzen wollen, daß es Ihnen mit Ihren pro⸗ grammatiſchen Forderungen nicht Ernſt iſt, dann ſind Sie gezwungen, mit uns dafür zu ſorgen, daß endlich einmal etwas zur Beſeitigung des Dreiklaſſenwahlſyſtems geſchieht. Sechs Jahre lang haben wir nichts von dem Schickſal unſeres Antrages gehört. — Es handelt ſich ja eigentlich nicht um unſeren Antrag, ſondern um den Be⸗ ſchluß der Stadtverordnetenverſammlung, der aus einem Antrage Otto hervorgegangen iſt, und da müßten doch gerade die Väter des Antrages alles Intereſſe daran haben, zu erfahren, was aus ihrem Kinde geworden iſt. Sie haben ſich bisher um das Kind nicht gekümmert, und ich glaube, wir haben Ihnen einen großen Dienſt dadurch erwieſen, daß wir Ihnen Gelegenheit gegeben haben, zu zeigen, daß Sie wirklich als Väter an Ihrem Kinde handeln wollen. Ich möchte Sie alſo bitten, meine Herren, wenn es nachher zur Beſprechung der Inter⸗ pellation kommt, mit uns gemeinſam dafür einzu⸗ treten, daß der Magiſtrat endlich das tut, was ihm im Jahre 1904 von der Stadtverordnetenver⸗ ſammlung aufgetragen worden iſt, und ferner mit uns dafür zu ſorgen, daß die Bewegung zur Be⸗ ſeitigung des Dreiklaſſenwahlſyſtems und zur Be⸗ ſeitigung des Hausbeſitzerprivilegs endlich einmal in Fluß kommt. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Vorſteher Kaufmann: Ich habe dem Herrn Kollegen Hirſch zur Begründung der Anfrage den weiteſten Spielraum in ſeinen Ausführungen gelaſſen. Ich bitte aber, wenn eine Beſprechung beſchloſſen ſein wird, in der weiteren Behandlung der Sache nicht das Dreiklaſſenwahlſyſtem und ſeine Abänderung hier zu erörtern; denn das ſteht nicht zur Tagesordnung. Es iſt eine Anfrage erfolgt, was der Magiſtrat in Ausführung des Beſchluſſes der Stadtverordnetenverſammlung vom 7. Sep⸗ tember 1904 getan habe. Alſo die ganze Frage des Dreiklaſſenwahlſyſtems iſt heute nicht aufzurollen. Ich würde wenigſtens dieſe Frage als nicht auf der Tagesordnung ſtehend und als nicht zur Behandlung berechtigt erachten. Bei anderer Gelegenheit wird ſie wahrſcheinlich demnächſt beſprochen werden können. Heute handelt es ſich lediglich um die Beantwortung einer Anfrage und die daran ſich knüpfende Be⸗ ſprechung. Ich mache jetzt ſchon darauf aufmerkſam, da Herr Kollege Hirſch damit geſchloſſen hat, wir ſollten gemeinſchaftlich alle Schritte tun, daß der Magiſtrat in dieſer Frage etwas unternehme, daß ſich Anträge an eine Anfrage überhaupt nicht an⸗ knüpfen laſſen; es könnten nur Meinungs⸗ äußerungen hier fallen. Ich bitte doch die Herren, ſich ſo einzuſchränken, daß wir nicht die ganze Frage hier erörtern, die heute nicht zur Erledigung kommen kann, damit nicht nachher die Ver⸗ handlung wie das Hornberger Schießen ohne weitere daran zu knüpfende Folgerungen ausgeht.