Sitzung vom 3. Mai 1910 Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: Herren, an die Spitze meiner Ausführungen in Beantwortung der von der Stadtverordneten⸗ verſammlung an den Magiſtrat geſtellten Anfrage möchte ich einige Worte ſetzen, die ſich durchaus auf dem Boden der Ausführungen des Herrn Stadtverordnetenvorſtehers befinden. Die Anfrage, die heute auf der Tagesordnung ſteht, lautet: Iſt der Magiſtrat bereit, der Stadtver⸗ ordnetenverſammlung Auskunft darüber zu erteilen, was er zur Ausführung des Beſchluſſes der Stadtverordneten vom 7. September 1904 betr. ein gemeinſames Vorgehen mit anderen Kommunalvertretungen zwecks Abänderung des Gemeindewahlrechts getan hat? Der Beſchluß der Stadtverordneten lautet folgendermaßen — ich möchte ihn auch von meinem Standpunkt einmal vorleſen unter Betonung der⸗ jenigen Worte, die das Weſen dieſes Beſchluſſes ausmachen —: Der Magiſtrat wird erſucht, — nicht beauftragt, die Stadtverordnetenver⸗ ſammlung kann den Magiſtrat nicht beauftragen — mit den Vertretungen anderer Kommunen in Verbindung zu treten, um gemeinſam mit anderen Kommunen geeignete Schritte bei den geſetzgebenden Faktoren zu unter⸗ nehmen behufs Abänderung des Gemeinde⸗ wahlrechts bezüglich der öffentlichen Ab⸗ ſtimmung, des Dreiklaſſenwahlſyſtems ſowie des Privilegs der Hausbeſitzer in ſeiner jetzigen Ausdehnung. Meine Herren, ich werde mich an die Be⸗ antwortung der Anfrage, die ſich auf dieſen Be⸗ ſchluß bezieht, halten. Der Herr Stadtv. Hirſch hat das nicht getan; (Stadtv. Otto: Sehr richtig!) er hat ſeine Anfrage ſo begründet, als wenn der von ſeiner Fraktion geſtellte An⸗ trag zum Beſchluß erhoben worden wäre. Dieſer Antrag ſteht aber nicht auf der Tagesordnung. Die Aufgabe iſt nicht für mich, hierauf zu ant⸗ worten, ſondern nur die Frage zu beantworten, die ſich auf den Beſchluß der Stadtver⸗ or dnetenverſammlung bezieht. Meine Herren, der Beſchluß der Stadtver⸗ ordnetenverſammlung, der den Magiſtrat erſucht, eine derartige Verbindung mit anderen Kommunen zu ſuchen, gibt keine Direktiven, ſagt nicht, was die poſitive Anſicht der Stadtverordnetenver⸗ ſammlung bezüglich der Abänderung iſt, ſondern gibt eine Anregung, dem Gedanken einer Reform in den drei angedeuteten Richtungen näherzu⸗ treten, ihn zu erörtern, ihn zu prüfen. Inſofern hat der Herr Stadtv. Hirſch recht, daß die Stadt⸗ verordnetenverſammlung ſelbſt in dem Beſchluß nicht poſitive Beſtimmungen fordert, ſondern daß ſie nur die Anregung gibt, nach gewiſſen Richtungen hin den Gedanken zu erwägen, und zwar gemeinſam mit anderen Kommunen. In Verfolg dieſes Beſchluſſes, meine Herren, haben wir zunächſt ein umfangreiches ſtatiſtiſches Material aufgeſtellt, welches in der Hauptſache an die Ausführungen anknüpfte, die in der Stadtver⸗ ordnetenverſammlung bei Gelegenheit der Beratung dieſes Beſchluſſes gemacht worden ſind. Ich habe mich dann auf Grund der von der Stadtverord⸗ netenverſammlung gegebenen Anregungen mit Vertretern anderer Kommunen über die hier vor⸗ 209 Mei ie liegende Frage in Verbindung geſetzt, und ich habe dabei folgende Erfahrung gemacht, die mich nicht überraſcht hat und die auch Sie nicht überraſchen wird: es gab eine Anzahl von Herren, die überhaupt von einer Anderung der Städteordnung in bezug auf das kommunale Wahlrecht nichts wiſſen wollten; andere waren geneigt, einer Reform des kommunalen Wahlrechts nachzugeben, aber es ergab ſich dabei eine Fülle der verſchiedenſten An⸗ ſichten, nach welchen Richtungen man eine Ab⸗ änderung haben will, in welcher Weiſe die Ab⸗ änderung erfolgen ſoll. Das war außerhalb dieſes Saales ebenſo verſchiedenartig, wie es ſich bei den Debatten innerhalb dieſes Saales herausgeſtellt hatte. Unter denjenigen nun, die eine Abänderung des kommunalen Wahlrechts nach irgend einer Richtung hin haben wollten, gab es wieder eine große Anzahl, die ſagten: zurzeit aber halten wir es nicht für zweckmäßig, an eine Anderung unſerer Städteordnung überhaupt heranzugehen, denn es iſt bei der Zuſammenſetzung unſeres Abgeordnetenhauſes nicht zu erwarten, daß eine Anderung der Städteordnung, falls ſie wirklich im Wege der Geſetzgebung vorgenommen werden ſollte, im Sinne der Selbſtverwaltung erfolgen würde, in einem Sinne, wie er uns genehm iſt. (Sehr richtig! bei den Liberalen.) Bei dieſer Sachlage habe ich dann noch Ge⸗ legenheit genommen, mit den Herren im Vorſtande des Brandenburgiſchen Städtetages mehrmals über die Frage zu ſprechen. Auch hier dasſelbe Bild: teilweiſe vollſtändig ablehnend, teilweiſe verſchieden in dem, wie man abändern ſoll, und bei anderen wieder der Ausſpruch: ja, zurzeit können wir überhaupt nichts machen. Wir ſind aber im Vorſtande des Städtetages der Mark Brandenburg, zu dem ich auch zu gehören die Ehre habe, zu dem Entſchluſſe gekommen, und zwar auf Grund einer An⸗ regung, die uns aus Schöneberg gegeben wurde, die Frage der Reform des Kommunalwahlrechts auf die Tagesordnung eines brandenburgiſchen Städtetags zu ſetzen. Wir haben dieſen Beſchluß vor etwa 2 Jahren gefaßt. Auf die nächſte Tages⸗ ordnung hatte der Vorſtand dieſe Frage nicht ge⸗ ſetzt, weil größere, aktuellere Fragen zur Beratung ſtanden. Es iſt jedoch beſchloſſen worden, den Gegenſtand auf die Tagesordnung des diesjährigen Städtetags, der in den erſten Tagen des Juni in Landsberg a. W. ſtattfindet, zu ſetzen. Referent iſt ein Stadtverordneter aus Schöneberg, Herr Rechtsanwalt Gottſchalk. Meine Herren, ich glaube, daß es zweckmäßig iſt, daß der Vorſtand des Brandenburgiſchen Städte⸗ tags dieſe Frage gerade auf die Tagesordnung eines Städtetages geſetzt hat; denn es handelt ſich hier um eine Frage, die nicht allein die großen Städte, wie uns, angeht, ſondern alle Städte im ganzen Lande, alle Städte, ob ſie Groß⸗ oder Klein⸗ oder Mittelſtädte ſind. Die Anſichten über eine Reform⸗ bedürftigkeit der Städteordnung und über die Art, in welcher Weiſe die Reform ausgeführt werden ſoll, werden ganz verſchieden ſein bei uns und in den kleinen und Mittelſtädten. Es handelt ſich hier nicht um ein Gemeindegeſetz, ſondern um ein Geſetz für den ganzen Staat. Wenn wir gerade nach dem Beſchluß der Stadtverordnetenver⸗ ſammlung Beziehungen zu Kommunen ſuchen ſollen, um mit ihnen gemeinſam vorzugehen, gemeinſam bei den Geſetzgebungsfaktoren vor⸗ ſtellig zu werden, dann müſſen wir zunächſt wiſſen,