222 Sitzung vom 11. Mai 1910 Vorlage betr. Erteilung der Zuſtimmung an die betr. die Neue Kantſtraße fallen ließen und zwiſchen Hochbahngeſellſchaft zum Baun der Untergrund⸗ bahn nach dem Gleisdreieck, dem Nürnberger Platz und dem Kurfürſtendamm. Druck⸗ ſache 136. Berichterſtatter Stadtv. Dr. Frentzel: Meine Herren, die Vorlage, mit der wir uns heute zu beſchäftigen haben, und die, vorweg bemerkt, nicht Ihre Zuſtimmung zu einem bereits ab⸗ geſchloſſenen Vertrage fordert, ſondern vielmehr nur Ihre Ermächtigung, auf Grundlage beſtimmter Vereinbarungen mit der Hochbahngeſellſchaft weiter zu verhandeln, ſchließt ſich eng an dasjenige an, was wir am 3. reſp. am 3. und 4. November hier in dieſem Saale beſchloſſen haben, in jener Nacht⸗ ſitzung, die vielleicht noch allen denjenigen von Ihnen gegenwärtig iſt, die ſich an ihr beteiligt haben. Meine Herren, auch dieſe Beſchlüſſe, welche wir am 3. November faßten, waren nicht ein Ding an ſich, ein losgelöſter Gegenſtand, ſondern ſie waren vielmehr das letzte Glied einer ſehr langen Kette von Verhandlungen und von Behandlungen ſtrittiger Fragen, von Kämpfen aller Art, die ſich zwiſchen dem Magiſtrat und verſchiedenen anderen Inſtanzen in eben dieſer Hochbahnfrage abgeſpielt haben, Verhandlungen und Kämpfen, die in ihrem markanteſten Ergebniſſe und in ihren hervor⸗ ſtechendſten Poſitionen Ihnen durch verſchiedene Vorlagen und Verhandlungen ebenfalls hier in dieſer unſerer Plenarverſammlung bekannt ge⸗ worden ſind. Das geſchah zunächſt in der erſten Vorlage vom 17. reſp. 24. März vorigen Jahres, die alſo bereits auf mehr als ein Jahr zurückblickt, in der zum erſten Mal der Magiſtrat dieſer Verſammlung, aber auch der großen Offentlichkeit und allen Intereſſenten von ſeinen damals ziemlich weit⸗ ausſchauenden Verkehrsprojekten Kunde gab, von jener Bahn, die — das wiſſen Sie ja noch alle — über den Kurfürſtendamm gehen und über die Neue Kantſtraße an unſeren Terrains ihr Ende finden ſollte. Dieſer Plan fand in dieſer Ver⸗ ſammlung nach eingehender Beratung im Aus⸗ ſchuß eine ſehr warme Aufnahme, und er wurde ebenſo beifällig von unſerer Bürgerſchaft und von allen denjenigen begrüßt, die durch irgendwelche Umſtände näher mit dieſem Plan verquickt und mit ihm bekannt waren. Eine ganz andere Beurteilung und eine ganz andere Stimmung löſte jedoch ſein Bekanntwerden in weiteren Kreiſen aus. Hier war nichts von Zu⸗ ſtimmung zu ſpüren, ſondern im Gegenteil die ärgſte Oppoſition, und die ſtärkſte Feindſchaft wurde dem, was wir wollten, entgegengeſetzt. Es opponierte zunächſt die Hochbahngeſellſchaft haupt⸗ ſächlich wegen der Strecke Neue Kantſtraße, die ſie als eine Gefährdung ihrer Weſtendſtrecke anſah. Es opponierte Wilmersdorf, welches eine Gefähr⸗ dung ſeiner eigenen Pläne fürchtete. Und endlich hielt der hochmögende Herr Eiſenbahnminiſter ſeine ſchützenden Hände über dieſen beiden Parteien und legte unſere Verhandlung damit ziemlich lahm. Trotz aller Verſuche, dieſe Gegnerſchaft weg⸗ zuſchaffen, mußten wir, um nicht in einem zer⸗ mürbenden und aufreibenden Kampf die Zeit des Handelns zu verſäumen, uns bereit erklären, Kon⸗ zeſſionen zu machen, und das geſchah in der Vorlage vom 22. September, der ſogenannten Uhland⸗ ſtraßenvorlage, in der wir unſere weiteren Pläne Wilmersdorf, das auf ſeiner Nürnberger Straße ſtehen blieb, und unſerem alten Standpunkt, der die Leibnizſtraße als Durchfahrt benutzen wollte, einen Mittelweg anzubahnen verſuchten, nämlich die Durchfahrt durch die Uhlandſtraße, auf welchem Wege wir hofften nunmehr auch unſere Kur⸗ fürſtendammpläne unter einen ſicheren Hut gebracht zu haben. Obwohl dieſer Vorſchlag dem Miniſterium entſprungen und zuerſt von dem Herrn Miniſter ſelbſt geäußert war, fand er doch weder in Wilmers⸗ dorf, noch bei den vorgeſetzten Behörden ſchließlich Anklang. Wir mußten weiter zurückgehen und zu dem kommen, was wir am 3. November hier beſchloſſen haben, nämlich, was ich in kurzen Worten dahin charakteriſiere, daß wir Wilmersdorf die Aus⸗ führung ſeiner Pläne vollkommen überließen und für uns nur verlangten, daß man auch uns die Ver⸗ bindung nach dem Kurfürſtendamm wenigſtens mit einer direkten Strecke freigab, die nach dem Oſten führen ſollte. Es war Ihnen in jener Ausſchußſitzung hier von ſehr maßgebender Seite geſagt worden, daß, wenn wir in dieſer Beziehung eine ſchnelle Entſchluß⸗ fähigkeit bekunden würden, wir uns zum Herrn der Situation machen würden, und dieſer Umſtand iſt auch eingetroffen, wenigſtens ſoweit die König⸗ lichen Behörden in Betracht kommen. Von dieſem Moment an hat man, was man bisher nicht getan hatte, wirklich an den Ernſt unſerer Pläne geglaubt, und man hat unſer Projekt in den wärmſten Worten den Wilmersdorfern und auch der Hoch⸗ bahngeſellſchaft zur Annahme empfohlen. Trotz alledem hat man in Wilmersdorf ſelber gegen unſere Verhandlungen vom 3. November doch einen gewiſſen Einſpruch erhoben. Man hat am 18. November eine außerordentliche Stadt⸗ verordnetenverſammlung berufen und hat ſich mit dieſer über unſere Pläne unterhalten. Vier Punkte hat man angeführt, aus welchem unſer Projekt den Wilmersdorfern unannehmbar wäre. Erſtens hat man geſagt: durch das Charlotten⸗ burger Projekt fällt für die Wilmersdorfer die direkte Oſtverbindung fort. Auf dieſen Punkt komme ich noch ſpäter zu ſprechen. Zweitens hat man geſagt: es wird durch das Fallenlaſſen dieſer zwei von Wilmersdorf ge⸗ planten Gleispaare unmöglich werden, eventuell die Wilmersdorfer Bahn direkt mit der Schöne⸗ berger Bahn in Verbindung zu bringen. Dieſer Vorwurf nimmt ſich im Munde von Wilmersdorf einigermaßen eigentümlich aus, wenn man bedenkt, daß dieſes vorher ein Projekt vorgelegt hatte, daß die Auflöſung des Gleisdreiecks durch die Nettel⸗ beckſtraße vornehmen wollte und ſomit Schöneberg vollkommen abſchloß und jede Verbindung der Schöneberger und Wilmersdorfer Pläne unmöglich machte. Der dritte Einwurf, den man erhob, war, daß unſere Kurfürſtendammlinie vielleicht ſich ſo kräftig und mächtig auswachſen könne, daß ſie ſpäter auch den direkten (⸗Verkehr für ſich in An⸗ ſpruch nehmen könne und dafür bei den Behörden Gegenliebe finden würde. Auch dies iſt zwar ein Kompliment für uns in Charlottenburg und für die Richtigkeit unſerer Vorausſage; es ſteht aber in direktem Widerſpruch zu weiteren Ausführungen von Wilmersdorf, die behaupten, daß der Wilmersdorfer Linie als der wirtſchaftlich wertvolleren unter allen Umſtänden der Vorrang gebühre.