Sitzung vom 11. Mai 1910 235 aufzuerlegen, aus den Gründen, die eingehend nungsmäßig der gegenwärtigen Sachlage und der genug hier bereits dargelegt worden ſind. Wenn nun Herr Kollege Borchardt und auch Herr Kollege Stadthagen ſich beſonders gegen die Bindung für die Zukunft wenden, die in dem Orts⸗ ſtatut vorgeſehen iſt, dann darf ich darauf auf⸗ merkſam machen, daß eine ſolche Bindung dem Weſen des Ortsſtatuts entſpricht; jedes Ortsſtatut bringt eine Bindung mit ſich. Sollte die Bindung ſich ſpäter durch Verhältniſſe, die wir heute nicht vorausſehen, die aber nicht wahrſcheinlich ſind — nämlich dadurch, daß die Einwohnerzahl unſerer Stadt derart ſteigt, daß die Höchſtzahl des Orts⸗ ſtatuts in keinem richtigen Verhältnis mehr zu ihr ſteht — ich ſage: ſollte ſich dieſe Bindung als un⸗ zweckmäßig erweiſen, dann wird es ſehr gut möglich ſein, das Ortsſtatut zu ändern, und die Einigung mit dem Magiſtrat wird dann um ſo leichter ſein, als es ſich dabei — und darauf legen meine Freunde ganz beſonders Gewicht — in keiner Weiſe um eine Frage der Macht der Stadt⸗ verordnetenverſammlung oder gar um eine politiſche Frage handelt. Meine Herren, der Einfluß der Stadtverord⸗ netenverſammlung iſt — es iſt beinahe banal, es auszuſprechen — nicht an die Zahl der Stadt⸗ verordneten gebunden. Auf der anderen Seite kommt es ſelbſtverſtändlich auch für die Bürger⸗ ſchaft keineswegs darauf an, wie viel Stadt⸗ verordnete ſie zu wählen hat, ſondern es kommt nur darauf an, daß ſie auf Grund einer gerechten Wahl⸗ kreiseinteilung wählt, einer Wahlkreiseinteilung, welche die Benachteiligung des einen gegen den anderen ausſchließt. Ich kann nicht einſehen — vielleicht iſt mein juriſtiſcher Verſtand daran ſchuld, daß ich den Ausführungen des Herrn Kollegen Borchardt da nicht folgen kann — ich kann nicht einſehen, daß irgendein Zuſammenhang zwiſchen der Wahlkreiseinteilung und der Zahl der Stadt⸗ verordneten ſein ſoll, und ich finde, daß gerade die Erfahrungen in Charlottenburg beweiſen, daß die Anderung der Wahlkreiseinteilung ganz unabhängig davon vorgenommen werden kann und vor⸗ genommen wird, ob damit eine Veränderung der Zahl der Stadtverordneten verbunden iſt oder nicht. Wenn das aber der Fall iſt, wenn, wie geſagt, irgendwelche allgemeinen Fragen hier nicht in Betracht kommen, dann haben meine Freunde nicht den geringſten Grund, einer Regelung nicht zuzu⸗ ſtimmen, deren Zweckmäßigkeit auch von beiden Herren Vorrednern nicht widerlegt worden iſt. Stadtv. Dr. Landsberger: Meine Herren, ich habe das Bedürfnis, für mich perſönlich zu er⸗ klären, daß ich zwar zu denen gehöre, die eine orts⸗ ſtatutariſche Regelung für wünſchenswert, ja ſogar für geboten halten mit Rückſicht auf die zwei Gründe, die mir dabei ausſchlaggebend zu ſein ſcheinen: erſtens, daß der gegenwärtige Zuſtand vielleicht anfechtbar iſt, oder wenigſtens hier und da an⸗ anfechtbar erſcheinen könnte und beſtritten wird, und dann deswegen, weil der Vorſchlag, der im erſten Teile des Ausſchußantrages gemacht iſt, der gegenwärtigen Sachlage vollkommen entſpricht. Wenn diejenigen Recht haben, die meinen, daß in der Städteordnung erſt bei einer Ziffer von voll⸗ endeten 50 000 die Vermehrung um 6 Stadt⸗ verordnete gemeint iſt, dann iſt in der Tat die vom Ausſchuß vorgeſehene Zahl, die vom 1. Januar 1912 ab gültig ſein ſoll, nämlich 78, diejenige, die rech⸗ Einwohnerſchaft entſpricht. Denn wir werden vorausſichtlich nach der Volkszählung von 1910, am Schluß dieſes Jahres, die Ziffer von 300 000 noch nicht erreichen, ſondern nur etwa auf 290 000 Einwohner kommen. Aus dieſen Gründen alſo bin ich ebenfalls für eine ortsſtatutariſche Regelung. Dagegen bin ich nicht für den zweiten Teil des Ausſchußantrages, weil ich eine Bindung für die Zukunft weder für erforderlich noch für berech⸗ tigt halte. Ich ſehe nicht ein, weswegen dieſe Bindung erfolgen ſoll. Wenn Charlottenburg in dem Wachstum weiter beharrt, das es gegenwärtig zeigt, ſo wird früheſtens gegen Ende des zweiten Jahrzehnts dieſes Jahrhunderts unſere Einwoh ier⸗ ſchaft um weitere 80 000 bis 90 000 geſtiegen ſein. Dann alſo erſt würde der Zeitpunkt gekommen ſein, daß eine weitere Steigerung der Zahl der Stadt⸗ verordneten über 90 geboten ſein könnte. Ich halte mich nicht für berechtigt, die zukünftige Stadt⸗ verordnetenverſammlung von 1919 jetzt ſchon durch die Beſtimmung zu binden, daß die Ziffer von 90 keineswegs erhöht werden ſoll. Nun iſt ja eine gewiſſe Kautel durch die Worte „ohne einen anderweiten Gemeindebeſchluß“ ge⸗ ſchaffen. Aber ohne einen „juriſtiſchen“ Verſtand zu haben, ſondern nach dem geſunden Menſchen⸗ verſtande, über den ich allein verfügen kann, muß ich ſagen: es iſt mir zweifelhaft, ob aus jenen Worten das Recht für Stadtverordnetenverſamm⸗ lung und Magiſtrat hergeleitet werden kann, das Ortsſtatut ohne Genehmigung der Aufſichtsbehörde abzuändern — wenn nicht überhaupt ſchon gegen⸗ wärtig bei der Beſtätigung die Aufſichtsbehörde ſagen wird, daß ſie eine ſolche Ausſchaltung ihrer eignen Inſtanz für künftig ablehnen müſſe. Sei dem, wie ihm wolle, man ſollte hier nichts zu ſchaffen verſuchen „dauernder als Erz“; der Zweifel iſt wohl ſehr berechtigt, daß dieſes Ortsſtatut eine ſolche Eigenſchaft verkörpern ſollte. (Die Beratung wird geſchloſſen.) Berichterſtatter Stadtv. Dr. Flatau (Schluß⸗ wort): Wenn die Verwaltungsbehörde bei Vor⸗ legung des neuen Ortsſtatuts unſere Faſſung genehmigt, dann genügt wohl zweifellos ein Ge⸗ meindebeſchluß, um künftighin wieder die Ver⸗ mehrung der Mandate in Gang zu ſetzen. Wenn ſie das Ortsſtatut aber nicht genehmigt, dann wird ſowieſo der Wunſch des Herrn Kollegen Lands⸗ berger und auch der des Herrn Kollegen Dr Borchardt über und über erfüllt. Auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr Borchardt über die Minderwertigkeit der juriſtiſchen Intelligenz einzugehen, möchte ich mir erſparen. Ich überlaſſe ihn dem Schickſal, das ihm vorausſichtlich die Berufsjuriſten unter ſeinen engeren Parteigenoſſen bereiten werden, oder wenigſtens der Aufklärung, die ſie ihm in dieſer Beziehung geben können. Im weſentlichen läuft ja die Gegenüberſtellung des juriſtiſchen und des geſunden Menſchenverſtandes darauf hinaus, daß jemand ſo lange vernünftig iſt, als er das Aſſeſſor⸗ examen noch nicht gemacht hat, daß er ſeinen geſunden Menſchenverſtand verliert, wenn er das Examen beſteht, daß alſo ſeine einzige Rettung iſt, beim Aſſeſſorexamen durchzufallen. (Große Heiterkeit.)