Sitzung vom 8. Juni 1910 es nicht ein mangelndes Intereſſe an der neuen Einrichtung bedeutet, ſondern ein Nachlaſſen des Widerſtandes gegen eine Sache, die ſo lange ſchon in dieſem Kreiſe erörtert und endlich ſpruchreif ge⸗ worden iſt; das leere Haus zeugt von einem durchaus berechtigten Vertrauen zu den ſehr ein⸗ gehenden und tiefgründigen Vorarbeiten, die ſchon feit Jahr und Tag zu dieſer Frage der Einrichtung des Wohnungsamts ſtattgefunden haben Wir dürfen wohl der Hoffnung Ausdruck geben: was lange dauert, wird gut. Ich empfehle ebenſo wie der Herr Vorredner, die Vorlage im großen und ganzen zu akzeptieren; immerhin werden kleine Bedenken, der Wichtig⸗ keit der Vorlage entſprechend, doch noch einer Prüfung in einem Ausſchuß bedürfen. Dieſe Prüfung wird ſich meines Erachtens namentlich auf zwei Punkte zu erſtrecken haben. In der Vorlage iſt ein⸗ mal die Abgrenzung der Funktionen der Wohnungs⸗ aufſeher von denen der Wohnungspfleger nicht ganz klar geſtellt. Den Wohnungsaufſehern, die nach der Begründung der Magiſtratsvorlage als „Gehilfen mit geringer techniſcher Vorbildung“ gedacht ſind, iſt es unter Umſtänden überlaſſen, die Abhilfemaßnahmen, die der Wohnungspfleger für notwendig hält, gleich zu veranlaſſen oder aus⸗ zuführen oder ihre Durchführung zu kontrollieren; es ſoll ihnen aber auch die Mitwirlung bei der Aufſicht über das höchſt wichtige — und zwar hygieniſch wie ſittlich gleich wichtige — Schlafſtellen⸗ weſen übertragen ſein. Wir müſſen ſehen, ob wir nicht dieſe Aufgaben der Aufſeher im Ausſchuß feſter umgrenzen können. Ferner bedarf eine Bemerkung in der Vorlage der weiteren Aufklärung, die ſich auf das Frauen⸗ thema bezieht. Dem Dezernenten ſoll die Möglich⸗ teit gegeben werden, diejenigen Fälle, wo Miß⸗ ſtände durch die Pfleger feſtgeſtellt ſind, durch Frauen aus den Ausſchüſſen begutachten und beſſern zu laſſen. Nun ſind aber die Ausſchüſſe in der Organiſation ſo gedacht, daß ſie im ganzen ſehr wenig zu tun haben werden — um ſo weniger zu tun haben werden und um ſo ſeltener zuſammen⸗ zutreten brauchen, als es den Wohnungspflegern bei einem freundlichen und richtigen Verhalten möglich ſein wird, die Mißſtände abzuſtellen; denn die Ausſchüſſe haben nur in den Fällen in Funktion zu treten, in denen die Wohnungspfleger durch bloßes Zureden oder durch Raterteilung die ſchlimmſten Schäden nicht abzuſtellen vermögen. Nach zahlreichen Erfahrungen an anderen Orten gelingt dies in den aller me i ſt en Fällen. Ich kann wiederholen, daß die Vorlage ſonſt in der Tat wenig Verbeſſerungen erfordern wird; ſie iſt, wie ich ſchon ſagte, ſehr ſorgfältig durch⸗ beraten. Noch ein Wort zur Heranziehung der Frauen. Es iſt wahr: eine neue Einrichtung gleich mit einer andern, zwar nicht neuen, aber doch nur ausnahms⸗ weiſen Einrichtung zu kombinieren, mag manchen ſtutzig machen, mag auch Schwierigkeiten machen. Aber wir haben bereits an verſchiedenen Orten ſowohl Gewerbe⸗ wie Wohnungsinſpektorinnen, deren hervorragende Leiſtungen ihnen einen über Deutſchland hinausragenden Ruf geſichert haben. Der Beweis iſt bereits geliefert, daß die Frau auf dieſem Gebiet in der Tat Wirkſames zu leiſten ver⸗ mag und alles dasjenige, was man mit der Ein⸗ richtung erſtrebt, beſtens durchführen kann. Ich nenne z. B. Fräulein Dr Baum, die gegenwärtig 273 bei der Säuglingsfürſorge im Regierungsbezirk Düſſeldorf führend beſchäftigt iſt und ſrüher lang⸗ jährige Gewerbeinſpektorin in Baden war; ich nenne Frl, Conrad, die in Heſſen, wo die Wohnungs⸗ aufſicht vorbildlich für ganz Deutſchland ſchon ſeit langen Jahren eine ſtaatliche geſetzlich e Inſtitution iſt, mit großem Geſchick und mit großem Erfolg dem Amte als Wohnungsinſpektorin vor⸗ zuſtehen weiß. Es wird deshalb in der Tat eine Aufgabe des Ausſchuſſes ſein, zu prüfen, ob die Ein⸗ richtung bei uns von vornherein mit der Heran⸗ ziehung von Frauen auch außerhalb der Ausſchüſſe verſehen werden kann. Es iſt ja eben, wie ſchon Herr Kollege Hirſch hervorgehoben hat, das Wich⸗ tigſte bei der ganzen Inſtitution, welche Per⸗ ſonen wir für die Ausführung finden. Vielleicht bei keinem Inſtitut, auf keinem ſtädtiſchen Ver⸗ waltungsgebiet kommt es ſo darauf an, wie hier, daß wir den richtigen Griff bei der Beſetzung der Stellen tun, daß wir Perſonen wählen, die mit Verſtand und mit Beſtimmtheit, aber auch mit ſteter Freundlichkeit und vor allem mit dem Herzen dauernd zu der Bevölkerung in Beziehung treten. Deswegen wird es zur Entſcheidung der Frage, ob auch Frauen gleich in die beamteten Stellen ein⸗ geführt werden ſollen, angemeſſen ſein, zu prüfen, was denn für Perſonen überhaupt in Frage kommen. Stadtv. Vogel: Meine Herren, in dem erſten Satze der Vorlage wird darauf hingewieſen, daß zu den Städten, die eine beſonders hervorragende Wohnungspflege und ein Wohnungsamt haben, Eſſen gehört, und daß dort die Wohnungsfürſorge gut funktioniert. Es wird nicht unintereſſant ſein, etwas Näheres darüber zu erfahren, wie dort dieſe Einrichtungen — in der Tat die beſten, die es bis jetzt gibt — entſtanden ſind. Ich habe Gelegenheit gehabt, die Entwicklung kennen zu lernen. Ich kam im Oktober 1866, nach dem Kriege mit Oſterreich, nach Eſſen. Ich blieb ziemlich zwei Jahre dort. Damals nahm die Induſtrie, beſonders die Eiſen⸗ induſtrie, einen außerordentlichen Aufſchwung. Eſſen hatte eine gewaltige Zuwanderung aus den öſtlichen Provinzen, aus Polen, Galizien uſw. Die Zuwanderer überfluteten die Stadt förmlich. Dieſe Leute waren natürlich nicht wähleriſch in den Wohnungen; man nahm ſie auch gern auf. Es fand damals gerade eine Volkszählung ſtatt, und da ich mich ſtets für öffentliche Angelegenheiten intereſſierte, ſo meldete ich mich auf die öffentliche Aufforderung als Zähler. Ich bekam die Segeroth⸗ ſtraße zugeteilt. Dje Zählung erſtreckte ſich nicht nur auf die Perſonen, ſaer auch auf die Wohnungen. Da habe ich einen Einblick in die Verhältniſſe be⸗ kommen. Die Häuſer waren wie Ställe. Andere Leute würden nicht Menſchen da hineinbringen, ſondern Vieh. Es waren Stuben vorhanden, in denen drei, vier Betten ſtanden und darüber ebenfalls noch drei und vier Betten. Am Tage lagen Menſchen darin, die nämlich Nachtſchicht hatten. Es wohnten aber viel mehr in dieſer Stube, etwa ein Dutzend. Mir wurde geſagt: die wechſeln ſich mit den Betten ab, diejenigen, die Tagſchicht haben, ſchlafen des Nachts, die anderen, die Nachſchicht haben, am Tage. Das war nicht bloß in dem einen Hauſe ſo, man konnte die ganze Segerothſtraße durchgehen, über⸗ all fanden ſich dieſe Zuſtände. Es war allgemein üblich, die Leute fanden auch darin nichts. Mit allem andern, mit der Reinlichkeit, mit der Ver⸗ pflegung war es ähnlich beſtellt wie mit den Woh⸗