276 ſchönen Gedanken widerlegen will, man doch mit triftigen Gründen aus den Akten und der Sachlage heraus operieren muß. Deswegen, meine Herren, bitte ich Sie, nehmen Sie die Vorlage alle ſo auf, wie es hier, abgeſehen von Herrn Kollegen Jacobi, geſchehen iſt, und wir gehen mit Freude im Aus⸗ ſchuß an die Arbeit! Hoffentlich wird bald etwas Gutes herauskommen. (Bravo!) Stadtv. Gebert: Meine Herren, ich muß konſtatieren, daß mich die Ausführungen des Herrn Kollegen Jacobi äußerſt eigentümlich berührt haben. Wenn wir uns die wunderſchöne Feſtſtellung vor Augen führen, die die Ortskrankenkaſſe der Kauf⸗ leute Groß⸗Berlins gemacht hat, worin die geſundheitsſchädlichen Wohnungen in photogra⸗ phiſchen Aufnahmen dargeſtellt ſind, ſo wird man einen tiefen Einblick in das Elend bekommen, in dem ſich die Perſonen befinden, die in ſolchen Wohnungen leben müſſen. Wer Gelegenheit nimmt, einmal in ſolchen Mietskaſernen von Char⸗ lottenburg treppauf treppab zu gehen und die Wohnungen ſich anzuſehen, der muß ſich vor den Kopf ſchlagen und verwundert fragen: wie iſt es nur möglich, daß ſolche Wohnungen vermietet werden! Ich habe hier in allernächſter Nähe der Berliner Straße ein wunderſchönes Haus im Auge, es iſt in der Wallſtraße Nr. 100 gelegen, der Volks⸗ mund nennt es die „rote Kaſerne“. Wenn Sie ſich dort einmal in den Hinterhof bemühen und die einzelnen Wohnungen inſpizieren würden, dann würden Sie feſtſtellen, daß in dieſen Wohnungen nicht nur eine Familie, ſondern 3 und 4 Familien hauſen. Sie werden mir zugeben, daß in einer dreizimmrigen Wohnung nicht 4 Familien wohnen tönnen, noch dazu Familien, die 3 und 4 Kinder beſitzen. Die Vorlage, die uns der Magiſtrat ge⸗ bracht hat, wird, wenn ſie angenommen wird, mit dieſen Übelſtänden nicht nur aufräumen, ſondern ſie wird auch Vorſorge treffen, daß für die Zukunft derartige Wohnungen als Maſſen⸗ quartiere nicht mehr vermietet werden können. Wir brauchen gar nicht an alte Häuſer zu denken. Ich habe mir neulich in der Roſinenſtraße Nr. 2 zinen Neubau angeſehen. Es iſt ein Hintergebäude, in dem ſich 20 Wohnungen befinden. Der Hof, der dieſes neu erbaute Hinterhaus von dem Vorder⸗ haus trennt, hat eine der Baupolizeiordnung ent⸗ ſprechende Breite von 6 bis 7 m. Das Hinterhaus iſt vier Stock hoch. Sieht man ſich die Wohnungen in den oberen Etagen an, ſo fragt man ſich, wie es möglich iſt, hier überhaupt hineinziehen zu können. Man weiß nicht, wo man die Mobilien laſſen ſoll, und etwas wird doch wohl ein jeder mitbringen. Man ſchlägt die Hände über den Kopf zuſammen und fragt ſich: wie iſt es möglich, daß ein derartiger Neubau aufgeführt werden kann! In dem Plakat, das am Vorderhauſe angebracht iſt, heißt es: Hier werden Wohnungen mit 1 und 2 Stuben, auch mit Badeeinrichtung vermietet. Vergegen⸗ wärtigt man ſich die Situation, dann kann man nur zu der Annahme kommen, daß der Beſitzer dieſes Hauſes allein Wert darauf legt, ſo viel wie möglich aus ſeinem Grundſtück zu verdienen. Wir müſſen doch aber ſagen, daß der Mieter nicht lediglich zum Vergnügen und für den Geldſäckel des Hauswirts da iſt. (Zuruf.) Sitzung vom 8. Juni 1910 — Ja, Herr Kollege Jolenberg, es iſt nun einmal ſo. Vielleicht ſind Sie auch ein Hausbeſitzer, der darauf ſieht, recht viele Wohnungen und recht viele Mieter zu haben. (Stadtv. Jolenberg: Nur Achtzimmerwohnungen!) — Nun, wenn Achtzimmerwohnungen da ſind — gute Einahme! Meine Herren, was das Wohnungsamt be⸗ ſtrifft, ſo ſtehe ich auf dem Standpunkt, daß dieſe Einrichtung mit allem Möglichen ausgerüſtet ſein muß, d. h. die Befugniſſe müſſen ziemlich weit gehen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das Wohnungsamt muß ganz energiſch auftreten können. Das halte ich für dringend erforderlich; ſonſt wird das Wohnungsamt nachher wieder illuſoriſch, es hat keinen Wert und bricht in ſich zu⸗ ſammen. Aus dieſem Grunde ſchon muß das Wohnungsamt ſo, wie es der Magiſtrat vorgeſehen hat, ausgeſtaltet werden. Der Magiſtrat wird ſich von dieſem Standpunkt auch hoffentlich nicht ab⸗ bringen laſſen. Die Befürchtung, daß die ganze Einrichtung polizeimäßig ausgerüſtet werden ſoll, trifft meines Erachtens nicht zu; denn die Vorlage hat ja das Polizeireglement gewiſſermaßen ab⸗ geſchwächt. Für uns Sozialdemokraten bedeutet die Vorlage eine Genugtuung. Unſer Freund, Kollege Hirſch, hat ja ſchon ausgeführt, daß es längſt das Beſtreben und der Wunſch der Sozildemokraten in dieſem Hauſe war, daß endlich die Wohnungs⸗ frage geregelt werde. Wenn man ſich ein bißchen umſieht, wird man oft feſtſtellen, daß vorn zwar die Faſſaden äußerſt vornehm ausſehen, dahinter aber graues Elend ſteckt. Möge die Vorlage be⸗ wirken, daß endlich die Häuſer vorn und hinten gleich ausſehen! (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Vorſteher⸗Stellv. Dr. Hubatſch: Es iſt der Schluß der Debatte beantragt worden. Sechs Herren haben den Antrag unterſchrieben zehn müſſen ihn ſtellen. Es fehlt noch die Unterſtützung von einigen Herren. Ich bitte diejenigen Herren, die ſich dem Schlußantrag anſchließen wollen, die Hand zu erheben. (Geſchieht.) Das genügt vollſtändig. Nun bitte ich diejenigen Herren, die Hand zu erheben, welche den Schluß der Debatte wünſchen. (Geſchieht.) Das iſt die Mehrheit. Berichterſtatter Stadtv. Dr. Röthig (Schluß⸗ wort): Meine Herren, in meinem Schlußwort möchte ich zunächſt darauf hinweiſen, daß die Wohnungsaufſicht bei allen Wohnungen auch auf die Räume der Dienſtboten, Arbeiter, Lehr⸗ linge, Handlungs⸗ und Gewerbegehilfen ausgedehnt werden ſoll, die beim Arbeitgeber wohnen. Herrn Jacobi gegenüber möchte ich bemerken, daß ſich eine Reihe von Ausſtellungen, die er gemacht hat, durch ein genaues Studium der Akten und auch durch die Kenntnis der Vorlage widerlegen. Ich habe bereits in meinem Referate hervorgehoben, daß keine unnötige polizeiliche Drangſalierung der Bürgerſchaft durch dieſe Vorlage beabſichtigt iſt, daß vielmehr nur dann, wenn eine Beſeitigung der Mißſtände, die entgegen den Vorſchriften der Polizei⸗ verordnung vorhanden ſind, auf freiwilligem Wege durch die Betroffenen nicht zu erreichen iſt, die