Sitzung vom 8 Juni 1910 Hilfe der Polizei in Anſpruch genommen werden ſoll. Die Magiſtratsvorlage ſpricht aber auch direkt davon, wenn in ſo kraſſen Fällen eine wirtſchaftliche Unmöglichteit zur Beſeitigung ſolcher Mißſtände vorliegt, daß dann mit tunlichſter Nachſicht vor⸗ gegangen werden ſoll. Alſo gerade das, was Herr Kollege Jacobi gegen die Magiſtratsvorlage mit Bezug auf die wirtſchaftliche Unmöglichkeit und die Anwendung von Polizeimaßregeln ausgeführt hat, wird allein durch das Studium der Vorlage wider⸗ legt. Gleichfalls durch das Studium der Vorlage widerlegt wird aber auch die Annahme, daß dieſe Einrichtung ihre Spitze gegen die Hausbeſitzer richtet. Es iſt direkt darauf hingewieſen worden, daß nach den Erfahrungen, die in andern Städten vorliegen, in ſehr kurzer Zeit alle Beteiligten, auch die Hausbeſitzer, erkannt haben, daß dieſe Ein⸗ richtung ihnen ſelbſt zugute kommt. Wenn ferner Herr Kollege Jacobi erwähnt hat, daß die ſoziale Seite keine Berückſichtigung in der Vorlage gefunden hat, ſo iſt mir dieſe Anſicht voll⸗ kommen unverſtändlich bei einer Vorlage, die gerade darauf hinausgeht, ſoziale Mißſtände in einem großen Teile der Bevölkerung zu beſeitigen (Zuruf: Hygieniſche!) — hugieniſche, ſittliche und auch ſoziale Mißſtände zu beſeitigen. Daß durch die Vorlage keine un⸗ nötigen Härten gegen den einen oder andern Teil der Betroffenen beabſichtigt ſind, geht ebenfalls aus dem Studium der Vorlage hervor. Ich möchte meine Ausführungen mit dem Ausdruck der Freude ſchließen, daß alle Redner, mit Ausnahme von Herrn Kollegen Jacobi, ſich im Prinzip warm für die Einrichtung ausgeſprochen haben, und daß ſich nur über Einzelheiten im Aus⸗ ſchuß wird reden laſſen müſſen. Dieſe prinzipielle Einſtimmigteit gegenüber der Vorlage berechtigt zu der Hoffnung, daß etwas Segensreiches für alle Teile der Bürgerſchaft aus den Ausſchußberatungen und aus dieſer Vorlage ſich ergeben wird. (Bravo!) Stadtv. Jacobi (perſönliche Bemerkung): Ich möchte Herrn Kollegen Gebert doch bitten, nicht jedesmal, wenn man nicht der Anſicht der Sozial⸗ demokratie beitritt, ſelbſtſüchtige Abſichten zu⸗ grunde zu legen, wie er es gegenüber dem Kollegen Jolenberg getan hat. (Heiterkeit und Zurufe.) — Bitte ſehr, ich zähle mich auch zu denen, die große m beſitzen und darin keine kleinen Wohnungen haben. Herrn Kollegen Holz möchte ich erwidern, daß ich ſeinen idealen Standpunkt verſtehe. Aber ich kann nicht zugeben, daß ſowohl Mieter wie Haus⸗ beſitzer unter Polizeiaufſicht geſtellt werden, wie es nach dieſer Vorlage tatſächlich der Fall iſt, nur mit dem Unterſchied für die Mieter, daß die Polizei bei ihnen nicht einſchreiten kann, ſondern nur bei den Beſitzern. (Heiterkeit.) Stadtv. Jolenberg (perſönliche Bemerkung): Ich bin dem Kollegen Jacobi außerordentlich dank⸗ bar, daß er ſich in ſo liebevoller Weiſe meiner an⸗ genommen hat. Aber ich habe die Bemerkung des Kollegen Gebert nicht ſo tragiſch genommen und er⸗ achte es eigentlich gar nicht für nötig, darauf zu antworten, 5 277 (Die Verſammlung beſchließt mit großer Mehr⸗ heit die Einſetzung eines Ausſchuſſes von 15 Mit⸗ gliedern.) Vorſteher⸗Stellv. Dr. Hubatſch: Ich möchte auch hier, wie der Herr Vorſteher es bereits vorhin bei einer anderen Gelegenheit tat, angeben, wann die erſte Ausſchußfitzung ſtattfinden ſoll, damit bei der Wichtigkeit der Vorlage etwa einer der vor⸗ geſchlagenen Herren, der vielleicht verhindert iſt, an den Ausſchußberatungen teilzunehmen, jetzt einen andern Herrn empfehlen kann. Die erſte Sitzung ſoll Montag den 13. Iuni um 612 Uhr ſtattfinden, und wenn eine zweite notwendig iſt, dann Freitag den 17. Es ſind in Vorſchlag gebracht die Herren Dr Bauer, Bollmann, Gersdorff, Gredy, Guttmann, Haack, Hirſch, Holz, Jaſtrow, Kaufmann, Dr Lands⸗ berger, Dr Liepmann, Dr Röthig, Stein und Vogel. — Wenn kein Widerſpruch laut wird, ſtelle ich feſt, daß dieſe Herren in den Ausſchuß gewählt ſind. Wir kommen zu Punkt 21. Stadtv. Dr. Borchardt (zur Geſchäftsordnung): Meine Herren, ich ſtelle den Antrag, den Punkt 21 heute von der Tagesordnung abzuſetzen. Meine Herren, es würde ſich bei dieſem Antrage um lange theoretiſche oder lange atademiſche Erörterungen handeln, möchte ich ſagen, Eröctecungen akademiſcher Natur, weil auch die Annahme dieſes Antrages eine praktiſche Folge jetzt nicht haben könnte. Ich kann das natürlich nicht darlegen im Rahmen einer Ge⸗ ſchäftsordnungsdebatte, es liegt aber in der Natur der Sache, daß dieſe Erörterungen lediglich aka⸗ demiſcher Natur wären. Nun iſt die Zeit heute wirklich etwas vorgeſchritten, und abgeſehen von der vorgeſchrittenen Zeit herrſcht auch hier im Saale eine außerordentlich ſtarke Temperatur. Nun bin ich mir ja ſehr wohl bewußt, daß diejenigen Herren, die zu einer akademiſchen Erörterung neigen, ſich auch durch derartige äußere Umſtände, wie ich ſie eben anführte, nicht werden abhalten laſſen, und ich kann Ihnen verraten, daß auch ich perſönlich, der ich mich ſehr gern an dieſen Erörterungen auch beteilige, nicht dadurch würde abhalten laſſen. Praktiſch erſcheint es mir trotzdem, wie ich ſchon ſagte, den Gegenſtand von der Tagesordnung ganz abzuſetzen. Wenn aber die Neigung der Herren zu den akademiſchen Erörterungen gar ſo groß ſein ſollte, ſo daß ſie auf dieſen Antrag nicht eingehen wollen, ſo ſtelle ich den Eventualantrag, wenn der Antrag auf Abſetzung von der Tagesordnung ab⸗ gelehnt wird, dieſen Punkt heute nach der nicht⸗ öffentlichen Sitzung zu verhandeln. Dann ſind wenigſtens alle die Herren, die derartige rein aka⸗ demiſche Erörterungen bei dieſer Temperatut nicht mehr anhören wollen, nicht genötigt, um ein be⸗ ſchlußfähiges Haus beiſammen zu halten, ſie noch an⸗ zuhören, und die 5 oder 6 Herren, welche die Koſten der Debatte tragen wollen, würden dann nach Schluß der nichtöffentlichen Sitzung hier in aller Ruhe noch ein Stündchen oder zwei beiſammen bleiben können. Vorſteher⸗Stellv. Dr. Hubatſch: ZurUnter⸗ ſtützung der Anträge auf Vertagung bedarf es der Unterſtützung von 10 Mitgliedern. Ich bitte die⸗ jenigen Herren, welche den Vertagungsantrag unterſtützen wollen, die Hand zu erheben. (Geſchieht.)