Sitzung vom 22. Juni 1910 es uns fern liegt und fern gelegen hat, irgendwelche Hintergedanken zu haben. Wir wollen ganz ehrlich und offen mit Ihnen die Differenz, die zutage ge⸗ treten iſt, ausfechten, wollen mit Ihnen zuſammen den Streitpunkt beſprechen. Ich wiederhole noch einmal: ſelbſt die Möglichkeit, Ihre Anſicht durch⸗ zuführen, iſt durch unſeren Beſchluß gegeben. Stadtv. Meyer: Ich möchte mich zunächſt da⸗ gegen verwahren, daß der Herr Oberbürgermeiſter meint, die ſtaatsrechtlichen Ausführungen, die er hier machte, wären den meinigen entgegengeſetzt. Selbſtverſtändlich iſt mir bekannt, daß die Auße⸗ rungen einzelner Stadtverordneten nicht die Auße⸗ rungen der Stadtverordnetenverſammlung ſind. Ich habe nur behauptet — und ich glaube das auch bewieſen zu haben —, daß die Stadtverordneten⸗ verſammlung dieſe Außerungen gebilligt hat. Herrn Kollegen Hirſch gegenüber bemerke ich, daß ich weder geſagt habe noch habe ſagen wollen, daß ich im Namen der ſozialdemokratiſchen Fraktion ſpreche. Dieſer Ehrgeiz liegt mir fern und wird mir immer fern liegen, Herr Kollege Hirſch. Ich habe lediglich geſagt, daß die Herren von der ſozialdemo⸗ kratiſchen Fraktion, die mit uns im Ausſchuſſe ge⸗ arbeitet haben, in dieſer Frage mit uns völlig übereingeſtimmt haben. Ich nehme an, daß die Herren das Herrn Kollegen Hirſch mitteilen werden, und daß er dann einſehen wird, daß ſeine Bemer⸗ kung gänzlich überflüſſig geweſen iſt. Stadtv. Hirſch: Ob Bemerkungen von mir überflüſſig ſind oder nicht, darüber hat Herr Kollege Meyer kein Recht ein Urteil zu fällen. Im übrigen möchte ich feſtſtellen, daß Herr Kollege Meyer tat⸗ ſächlich wiederholt hier im Namen meiner Frak⸗ tion geſprochen hat. Sie haben in Ihrer erſten Rede geſagt, Sie ſprächen im Namen Ihrer Frak⸗ tion und auch, wie Sie annähmen, der geſamten Stadtverordnetenverſammlung. Ich habe darauf nichts erwidert, weil ich Ihnen die Freude, auch einmal im Namen meiner Fraktion zu ſprechen, nicht nehmen wollte. (Heiterkeit.) Aber als Sie in einer Ihrer vielen Reden — ich weiß nicht, wie viele es waren — darauf hinwieſen, daß auch die Mitglieder der ſozialdemokratiſchen Fraktion auf Ihrem Standpunkte ſtänden, und nach⸗ dem ich mich durch Umfrage unter meinen Freunden überzeugt hatte, daß niemand mit Ihnen darüber geſprochen hat, hielt ich mich doch für verpflichtet, hier öffentlich zu konſtatieren, daß Sie ſich Rechte herausnehmen, die Ihnen nicht zuſtehen. Vorſteher Kaufmann: Das Wort iſt nicht weiter verlangt. Ich ſtelle feſt, daß die Stadtver⸗ ordnetenverſammlung von der Mitteiung des Magiſtrats Kenntnis genommen hat. (Inzwiſchen iſt Stadtſchulrat Dr Neufert im Saale ſ erſchienen.) Herr Stadtſchulrat Dr Neufert, es gereicht mir zur beſonderen Genugtuung, Ihnen mitzu⸗ teilen, daß die Stadtverordnetenverſammlung Sie auf weitere 12 Jahre zum Stadtſchulrat erwählt hat. Indem ich Ihnen namens der Stadtverord⸗ netenverſammlung von Herzen dazu gratuliere, gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß Sie in den zweiten 12 Jahren eben ſo Großes und Nützliches zu ſchaffen in der Lage ſein werden, wie wir in 287 den erſten 12 Jahren von Ihnen errichtet zu ſehen die Freude und das Glück gehabt haben. (Bravo!) Stadtſchulrat Dr. Neufert: Ich danke für die freundlichen Worte und hoffe, daß mir auch in dieſen 12 Jahren die Kraft gegeben iſt, einen Teil der Erwartungen, die auf mich geſetzt werden, zu erfüllen. Ich bitte dabei um die freundliche Nach⸗ ſicht und Unterſtützung der Verſammlung. (Bravo!) Wir kommen Vorſteher Kaufmann: zu Punkt 8 der Tagesordnung: Mitteilung betr. Verhängung der Schaufenſter an Sonn⸗ und Feiertagen. — Druckſache 194. Berichterſtatter Stadtv. Bollmann: Meine Herren, der Magiſtrat macht der Stadtverord⸗ netenverſammlung davon Mitteilung, daß durch Verordnung des Herrn Polizeipräſidenten vom 17. Mai 1910 für den Landespolizeibezirk Berlin der Abſatz 1 des § 6 der Polizeiverordnung vom 27. März 1903 inſofern geändert worden iſt, als die Schaufenſter und die Schaukäſten an Sonn⸗ und Feiertagen nur während des Haupt⸗ gottesdienſtes, alſo für Charlottenburg in den Stunden von 10 bis 12 Uhr verhängt zu ſein brauchen. Die Stadtverordnetenverſammlung hat ſich vor faſt genau 3 Jahren, am 5. Juni 1907, zum erſtenmal mit dieſer Angelegenheit beſchäftigt, nachdem die Berliner Handelskammer und auch die liberale Kreisſynode Friedrichswerder II1 ihr vorangegangen waren. Die Ablehnung dieſes Antrages iſt dann durch den Herrn Oberpräfidenten am 14. Oktober 1907 erfolgt, nicht wegen tirchlicher Intereſſen, ſondern weil der damalige Herr Oberpräſident eine Gefährdung der Sonntagsruhe für die Angeſtellten in den Handels⸗ geſchäften befürchtete. Die Stadtverordnetenver⸗ ſammlung hat ſich danach weiter mit der Frage befaßt und beſchloſſen, beim Miniſter des Innern vorſtellig zu werden und Beſchwerde einzulegen. Der Magiſtrat iſt damals leider dieſem Beſchluſſe nich t beigetreten. Schließlich hat die Stadtverord⸗ netenverſammlung im November 1909 aufs neue die Angelegenheit erörtert, ebenſo die Berliner Handelskammer und die Synode Friedrichs⸗ werder 1I1. Dieſe wiederholte Stellung⸗ nahme hat zweifellos dazu beigetragen, daß end⸗ lich in die alte Verordnung Breſche gelegt worden und alſo ein Erfolg zu verzeichnen iſt. Die Einſchränkung des früheren Verbots iſt im Intereſſe unſerer Gewerbetreibenden jeden⸗ falls nur zu begrüßen. Das ſogenannte Kirchen⸗ regiment, das ſich ja bei jeder paſſenden und un⸗ paſſenden Gelegenheit einzumiſchen pflegt und ſich dadurch noch weniger beliebt macht, als es chon bei vielen iſt, hat die Gelegenheit nicht vor⸗ über gehen laſſen, hiergegen zeitig Einſpruch zu erheben, und zwar iſt das von der höchſten kirch⸗ lichen Inſtanz, dem Evangeliſchen Oberkirchenrat, geſchehen. Meine Herren, was ich hier über kirchliche Dinge ſage — das möchte ich ausdrücklich bemerken —, ſteht nicht in den Akten, ſondern ich habe das auf Grund genauer Informationen. — Trotzdem die voll e Aufhebung des Verbots in den weſtlichen und nördlichen Provinzen Preußens ſowie