Sitzung vom 22. Juni 1910 Als ich dieſen Zuruf feſtnageln wollte, entging ich nur mit Mühe und Not einem Ordnungsruf. I bin aber der Meinung, meine Herren, daß meinem Freunde Jaſtrow beſondere mildernde Umſtände zuzubilligen ſind. (Heiterkeit.) Der Stadtverordnetenverſammlung waren ja nur ſoviel Tage vergönnt, um die Vorlage kennen zu lernen, wie der Magiſtrat Jahre gebraucht hat, um ſie fertigzuſtellen. (Heiterkeit.) Die Sache wurde mit einer Eile hier betrieben, die ganz unglaublich war. Als ich meine Freunde warnte und ſagte, die Eile wäre nicht nötig, nutzte das nichts, die Herren hörten nicht auf mich, ſon⸗ dern es hieß: friß Vogel oder ſtirb! Und wir haben nun das gefreſſen. Ich habe aber noch einen zweiten Milderungs⸗ grund für meinen Freund Jaſtrow. (Heiterkeit.) Ich bin nämlich im Zweifel, ob der Magiſtrat gewußt hat, was in ſeiner Vorlage ſtand. Nachdem der Zuruf meines Freundes Jaſtrow gefallen war, wurde ich doch ſtutzig und ſagte mir: Herr Gott, du haſt am Ende doch Unſinn geſprochen. Ich ging an den Magiſtratstiſch und fragte, indem ich das Beiſpiel wiederholte: wie iſt das? ſind das 25% Verdienſt nach unſerer Wertzuwachsſteuerordnung oder 8/%H2 Die Herren dachten nach, ſahen die Tabelle nach, warteten einen Augenblick, und dann wurde mir, wie aus der Piſtole geſchoſſen, feſt und beſtimmt geantwortet: 8¼% Verdienſt. Alſo der Magiſtrat hat nicht gewußt, wie die Wertzuwachs⸗ ſteuerordnung, die er uns vorgelegt hat, zu behan⸗ deln iſt, welche Konſequenzen ſie hat. Wie mir weiter zu Ohren gekommen iſt — ich weiß nicht, ob es ſtimmt —, iſt dem Magiſtrat erſt nachdem wir die Wertzuwachsſteuerordnung angenommen hatten und nachdem ſie vom Bezirksausſchuß beſtätigt wor⸗ den war, ein Licht aufgegangen, und er hat geſagt: Herr Gott, das ſtimmt ja, was der geſagt hat, die Sache iſt doch furchtbar bedenklich. Meine Herren, aus dieſen Gründen kann ich meinem Freunde Jaſtrow den Zuruf „Unſinn“ gar nicht ſo übelnehmen. Er hatte eben nicht die Zeit, die Sache zu ſtudieren, und wußte nicht, was drin ſteht. (Heiterkeit.) Er hat es mir ſpäter auch zugegeben: ich wußte nicht, was drin ſteht. (Erneute Heiterkeit und Widerſpruch des Stadtv. Jaſtrow.) — Das haben Sie mir neulich zugegeben. (Heiterkeit.) Nun, meine Herren, zu dem Antrage Brode ſelbſt! Ich habe alle Achtung vor der Sachkenntnis unſeres Magiſtrats, ich ſchätze ſie nach jeder Richtung hin. Aber in ſolchen Fragen, die den Verkehr ſo außerordentlich beeinfluſſen, die vielleicht ausſchlag⸗ gebend ſind für das Beſtehen oder den Untergang eines ganzen großen Gewerbes, des Baugewerbes, bin ich mir doch zweifelhaft. Die Sache iſt außer⸗ ordentlich gefährlich, meine Herren! Wenn ich die Bemerkung einſchalten darf: den Effekt, den un⸗ ſere Wertzuwachsſteuer hat, werden Sie an den Eingängen ſehen. Ich glaube, daß außerordentlich wenig, ich möchte ſogar behaupten, daß noch nicht ein Pfennig auf Grund dieſer Steuerordnung ein⸗ gegangen iſt, daß demnach der Verkehr durch dieſe Steuerordnung außerordentlich gehemmt worden 291 iſt. — Alſo ich ſage, meine Herren, ich ſchätze die ch] Sachkenntnis des Magiſtrats; aber in ſolchen Fragen ſcheinen mir doch die berufenen Handelsvertretungen ein beſſeres Urteil zu haben; mir wenigſtens ſind ſie maßgebender. Was ſagen nun die Alteſten der Kaufmannſchaft von Berlin über dasjenige, was der Antrag Brode beſeitigen will? In der Petition, die man an die Reichswertzuwachsſteuerkommiſſion gerichtet hat, ſagen die Alteſten folgendes: Durch den Abzug der Auf⸗ wendungen für Bauten uſw. vom Veräußerungspreiſe wer⸗ den die Prozentſätze der er⸗ zielten Gewinne nicht mehr nach den Normen der allge⸗ meinen Geſchäftsgebräuche be⸗ rechnet, ſondern künſtlich höher fe ſtgeſetzt. An einem praktiſchen Bei⸗ ſpiele erläutert würde dieſe Art der Gewinn⸗ berechnung für das Baugewerbe zu folgen⸗ dem Reſultat führen — und nun kommt die Berechnung. Sie ergibt einen Gewinn von 28% auf den Erwerbspreis von 150 000 ℳ. — Dieſer Berechnungsmodus bringt die Gewinne, welche nach der Höhe der Prozentſätze zur Steuer herangezogen werden, künſtlich in eine höhere Steuer⸗ ſt uf e; er entſpricht weder den üblichen Gebräuchen noch der BiI1igreit 4. Das ſagt die berufene Vertretung des Handels⸗ ſtandes, das ſagen die Alteſten der Kaufmannſchaft von Berlin! Ich bin alſo der Meinung, daß wir unter allen Umſtänden die Anderung, die der Antrag Brode wünſcht, vornehmen und beſchließen ſollen. Ich bin ferner der Meinung, daß der Magiſtrat die Aufgabe hat, dieſe Anderung mit derſelben Beſchleunigung durchzuſetzen, wie er die Inkraftſetzung der Wert⸗ zuwachsſteuerordnung beſchleunigt hat, die einen oder zwei Tage nach unſerer Beſchlußfaſſung be⸗ reits erfolgt war. Aus dieſem Vorgange, der immerhin peinlich iſt, weil wir eine Steuerordnung, die wir kaum be⸗ ſchloſſen haben, jetzt ſo ſchnell ändern müſſen, kann man, glaube ich, folgendes lernen: man kann daraus lernen, daß dieſe Art der ſchnellen Arbeit, die uns gar nichts genützt hat, für die Folge zu vermeiden iſt; (ſehr richtig!) ferner kann man daraus lernen, daß man die kleinen Geiſter, zu denen ich mich im Gegenſatz zum Kollegen Jaſt ro w zähle, (Heiterkeit.) nicht verachten ſoll. (Bravo!) Stadtrat und Kämmerer Scholtz: Meine Herren, ich nehme dankend davon Kenntnis, daß der Herr Vorredner alle Achtung vor der Sach⸗ kenntnis des Magiſtrats hat. (Stadtv. Jolenberg: Jawohl!) Er kann ſich darauf verlaſſen, daß dieſe Sach⸗ kenntnis, die er ſo allgemein hingeſtellt hat, auch in dieſem ſpeziellen Falle ganz genau vorhanden iſt. Die Sachkenntnis, die ſich, wie er ſagte, auf jahre⸗ langen Beratungen im Magiſtrat aufbaut, iſt aber