Sitzung vom 29. Juni 1910 Wir verargen es einander, wenn mit Reden Ein⸗ druck nach außen hervorgerufen werden ſoll, wenn geſagt wird: was macht das in dieſen oder jenen Wählertreiſen für Eindruck. Um ſo bedenklicher iſt es, wenn nun von ſeiten des Magiſtrats an uns unter dem Geſichtspunkt appeliert wird: was wird es draußen für Eindruck machen! (Sehr richtig!) Meine Herren, dagegen müſſen wir abſolut un⸗ empfindlich ſein. (Sehr richtig!) Wohin ſoll es führen, wenn wir irgendwie Rück⸗ ſicht nehmen, ob dieſe oder jene Bewilligung einen guten oder ſchlechten Eindruck macht! Mag es einen ſchlechten Eindruck machen — wir arbeiten nach beſtem Wiſſen und Gewiſſen, und wenn man uns da draußen nicht verſteht, dann haben wir eben die Aufgabe, die Leute da draußen aufzuklären; ge⸗ lingt es uns nicht, ſo müſſen wir die Konſequenz daraus ziehen. Aber irgend welche Rückſichten auf Anſichten, auf Stimmungen darf es unter keinen Umſtänden geben. Ich hoffe, daß es uns ge⸗ lingen wird, auch unter dieſem Geſichtspunkte mit dem Magiſtrat zuſammenzuarbeiten. (Sehr richtig!) Dieſe Anleihenſind zum großen Teil auf ganz be⸗ ſtimmten Projekten baſiert, zum Teil auf Projekten, die allerdings irgendwo vorhanden ſein ſollen — wir wiſſen nichts davon. Der Herr Oberbürger⸗ meiſter ſagt: wir ſollen den Deputationen keine Schwierigkeiten machen. Meine Herren, fällt uns nicht ein] Aber jeder walte ſeines Amtes. Die Geldbewilligung liegt bei der Stadtverordneten⸗ verſammlung und nicht bei den Deputationen. Wir wollen uns nicht durch die Deputationen feſt⸗ legen laſſen. Das iſt kein erfreulicher Zuſtand, wenn Projekte vielleicht ſchon im Schoße der De⸗ putationen fix und fertig liegen, aber mit Schleiern der Verſchwiegenheit umhüllt werden und wir im voraus, ohne die Projekte zu kennen, durch Bereit⸗ ſtellung der Mittel uns gewiſſermaßen feſtlegen. Dann kommt es eben zu derartigen höchſt uner⸗ freulichen, unliebſamen Situationen, wie wir ſie unlängſt erlebt haben, wo es einfach heißt: Vogel friß oder ſtirb! Gegen eine derartige Politik haben wir als Stadtverordnete alle Urſache entſchieden Verwahrung einzulegen. (Sehr richtig!) Es geht nicht an, daß wir in der Stadtverordneten⸗ verſammlung durch irgendwelche Projekte feſt⸗ gelegt werden, die in der Deputation ſchweben. Ich ſtelle deshalb ausdrücklich hier feſt: wir ſind im Prinzip für die Untergrundbahn, wir ſind im Prinzip für die Badeanſtalt, wir ſind im Prinzip ebenſo für den Durchbruch an der Kaiſer⸗Frie⸗ drich⸗Straße. Wollte uns der Magiſtrat heute ſchon zur Entſcheidung bringen, daß wir beſtimmte Summen dafür bewilligen, dann müßte er uns die entſprechenden Projekte bereits vorgelegt haben. Wenigſtens in den Grundzügen, daß wir wüßten, wofür wir die Ausgaben bewilligen. Ich verkenne nicht, daß die Arbeitslaſt des Magiſtrats in der letzten Zeit ganz außerordentlich geweſen iſt. Man konnte ſchließlich dieſe verſchiedenen Millionen herausnehmen und einer ſpäteren Anleihe vor⸗ behalten. Ich verſtehe nicht, daß uns von dem Magiſtrat entgegengehalten wird: wie denkt ihr das euch denn, wollt ihr heute 35 Millionen aufnehmen und in einigen Jahren mit einer Anleihe von 10 Millionen wieder kommen? Ja, warum denn nicht? 339 Muß denn die Stadt Charlottenburg immer mit 40 Millionen auf der Bildfläche erſcheinen? Ich glaube, es würde der ganzen Komunalpolitik keinen Schaden verurſachen, wenn die Kommune ſich einmal daran gewöhnte, nicht bloß mit 40 und 50 Millionen herauszukommen, ſondern wenn ſie auch von Zeit zu Zeit kleinere Millionenanleihen brächte. Ob wir etwa im Finanzminiſterium oder im Miniſterium des Innern irgendwelchen Schwierigteiten bei kleineren Anleihen begegnen ſollten, wenn wir in der Lage ſind, nachzuweiſen, daß wir die Anleihe für ganz beſtimmte Zwecke brauchen, weiß ich nicht Ich weiß auch nicht, weshalb es leichter ſein ſoll, 40 Millionen heute un⸗ terzubringen als 10 Millionen. Soll denn der Kredit von Charlottenburg für 10 Millionen geringer ſein als für 40 Millionen? Ich muß offen geſtehen, ich verſtehe eine derartige Finanzpolitik nicht. Meine Herren, es wurde kürzlich einmal hier im engeren Kreiſe über die Anleihe geſprochen und bei der Gelegenheit von einem der Kollegen her⸗ vorgehoben, es hätte doch eigentlich gar keinen Zweck, jetzt mit 40 oder 42 Millionen herauszu⸗ kommen, denn wir wüßten doch, daß wir in den nächſten 5 oder 10 Jahren noch dies oder jenes gebrauchten, warum wir jetzt nicht gleich mit 60, 70 Millionen herauskommen. Ich muß ſagen, das iſt eigentlich in der Konſequenz die Finanz⸗ politik, die wir heute von den verſchiedenen Seiten haben vertreten hören. Wir nehmen einfach ſofort alles das in den Anleihebedarf hinein, was ir⸗ gendwie in nächſter Zeit gebraucht wird. Nun wird geſagt: das iſt ja gar nicht gefährlich, wir brauchen ja die Anleihe gar nicht, wir legen ſie zunächſt einmal in die Kaſſe hinein, und da bleibt ſie liegen, bis ſie in Anſpruch genommen wird. Meine Herren, es iſt doch ein bekannter Erfahrungs⸗ ſatz, daß, wenn man erſt das Geld liegen hat, dann der Verbrauch des Geldes unendlich viel leichter iſt, als wenn man ſich das Geld erſt beſchaffen muß. (Sehr richtig!) Ich will mich nicht auf den Standpunkt derjenigen Herren ſtellen, die jetzt nur Sparſamkeitspolitik unter allen Umſtänden und für alles treiben wollen und einen gewiſſen Horror vor jeder Anleihe empfinden, die wir aufzunehmen haben. Aber ich möchte doch nicht ohne weiteres in die Finanz⸗ politik einſtimmen, die da ſagt: nur jetzt Anleihen aufnehmen, ums Ausgeben brauchen wir uns nach⸗ her nicht zu ſorgen, die Projekte dafür werden ſich ſchon zur Genüge finden. Es iſt bemerkt worden, daß wir dieſe Politik auch ſchon früher getrieben haben. Es iſt möglich, daß wir bei ein paar Miltionen für ein ganz un⸗ beſtimmtes Projett bereits die Bewilligung vor⸗ genommen haben. Nun, wenn das auch früher geweſen iſt, ſo glaube ich doch, daß wir in einer Zeit wie der jetzigen alle Urſache haben, uns ganz genau jedes Projekt anzuſehen und uns darüber erſt in den Grundzügen klar zu ſein, dann erſt die Anleihe aufnehmen und das Projekt durchzu⸗ führen. (Sehr richtig!) Meine Herren, man könnte bei dieſer Gelegen⸗ heit beinahe die ganze Kommunalfinanzpolitik behandeln. Fürchten Sie nicht, daß ich der Ver⸗ ſuchung verfalle. Ich begnüge mich mit dieſen Be⸗ merkungen. Ich will nur mit aller Entſchiedenheit namens derjenigen politiſchen Freunde, für die