Sitzung vom 14. September 1910 allgemeine aus der Bürgerſchaft uns entgegen⸗ allerdings ſchallende Klagen bewogen, uns ſehr eingehend mit dieſer Frage zu beſchäftigen und zu unterſuchen, ob es kein Mittel gäbe, dieſe Mißſtände, die von allen Seiten empfunden worden ſind, zu beſeitigen oder wenigſtens zu mildern. Es iſt damals eine gemiſchte Deputation eingeſetzt worden, die längere Zeit beraten und ſich insbeſondere mit der Frage deſchäftigt hat, ob es möglich wäre, daß der Magi⸗ ſtrat — oder unſere Stadt — ſelber aktiv vorgehen und Mittel ergreifen könnte, um unſeren Bürgern billiges Fleiſch zuzuführen. Man iſt damals zu einem richtigen Schluß nicht gekommen, ſondern iſt dabei ſtehen geblieben, eine Petition an den Reichskanzler abzuſenden. Meine Herren, ſo wie uns iſt es aber ſehr 363 für eine ſtädtiſche Aufgabe, für eine kommunale Pflicht, die wirtſchaftliche Lage aller Bürger und insbeſondere der minderbemittelten dauernd im Auge zu behalten, und ich halte es für eine weitere kommunale Pflicht, auf die Belaſtungen hinzuweiſen, die die wirtſchaftliche Lage der Bürger dauernd aufs ernſthafteſte er⸗ ſchüttern könnte. Um auf dieſe Pflicht hinzu⸗ weiſen, haben meine Freunde und ich dieſen Antrag eingebracht, den ich zur Annahme empfehle. Sie haben ihn nicht eingebracht, wie vielfach be⸗ hauptet wird, aus Luſt an Senſation, auch nicht wegen des politiſchen Beigeſchmacks, der von dieſer Behandlung der Fragen nicht zu trennen iſt, ſondern lediglich aus Pflichtgefühl gegen die Bürger⸗ ſchaft, das uns ſagt, daß hier etwas geſchehen vielen anderen Städten, ja, ich möchte ſagen, muß allen großen Städten in Deutſchland gegangen: nicht nur iſt dieſes Thema von der Tagesordnung der Stadtverordnetenverſammlung der Stadt Ber⸗ lin niemals dauernd verſchwunden, auch in unſeren übrigen Nachbarſtädten hat man ſich darüber ein⸗ gehend unterhalten, und ebenſo wie in dieſen Städten iſt eigentlich in allen deutſchen Städten dieſes Thema behandelt worden. Nicht nur die Städte ſind ſo vorgegangen, auch andere wirt⸗ ſchaftliche Korporationen haben es für ihre Pflicht gehalten, ſich mit dieſer Frage zu beſchäftigen. Verſchiedene Handelskammern haben Veröffent⸗ lichungen gemacht, der Deutſche Handelstag hat ſich im Jahre 1901 bereits mit der Angelegenheit beſchäſtigt, und der erſte Deutſche Städtetag, deſſen Verhandlungen mir vorliegen, vom 27. No⸗ vember 1905 hatte ſeine erſte Tagung ausſchließ⸗ lich dieſem Thema gewidmet, und last not least haben auch die Räume unſeres Abgeordneten⸗ hauſes in dem gleichen Jahre widergehallt von den vielſeitigen Klagen, die von allen Seiten Vertreter des preußiſchen Landes dem Miniſterium entgegenhielten, Klagen, die, wie Sie ſich viel⸗ leicht noch entſinnen werden, von ſeiten des da⸗ mals amtierenden Landwirtſchaftsminiſters Herrn von Podbielski eine mehr chevalereske als ſachliche, eine dem Ernſt des Gegenſtandes wenig ent⸗ ſprechende ironiſche Abweiſung erfuhren, eine Ab⸗ weiſung, die, wenn wir uns jetzt die Zuſtände, die ſich herausgebildet haben, in ihrer Verſchärfung anſehen, heute als doppelt wenig angebracht angeſehen werden muß. Wenn ſich ſo viele Inſtanzen mit dieſer ernſten Frage ſo dauernd und eingehend beſchäftigen mußten, ſo liegt das zunächſt daran, daß alle ihre Bemühungen, eine Beſſerung herbeizuführen, re⸗ ſultatlos blieben, aber auch daran, daß das, was wir bis heute beklagt haben und heute beklagen, nicht ein vorübergehender, nicht ein ſporadiſcher Zuſtand iſt, ſondern ſich zu einem Dauerzuſtande herausgebildet hat, hervorgerufen durch deutlich erkennbare wirtſchaftliche Momente in unſerer ganzen wirtſchaftlichen Konſtellation, dem nur abgeholfen werden kann durch eine Anderung des Syſtems. Wenn dem aber ſo iſt, wenn wir vor der Ge⸗ fahr eines Dauerzuſtandes ſtehen, iſt es unſere Pflicht, auch erneut wieder an die Arbeit heran⸗ zugehen. Ich halte es allerdings für die Pflicht der ſtädtiſchen Behörden, die Mittel, die wir zur Beſſerung dieſer Lage kennen, denen zu nennen, die ſie anwenden könnten und anwenden ſollten, die ſie aber nicht anwenden wollen. Ich halte es haltung bedingen. verlangt wieder höhere Löhne, und wenn ich uß. Es iſt allerdings nicht zu leugnen, daß ſchon ein Mangel an Fleiſch, dieſem wichtigſten Nahrungs⸗ mittel ſämtlicher Bevölkerungsklaſſen, einen ſehr bedrohlichen Übelſtand darſtellt. Es iſt weiter nicht zu leugnen, daß ein derartiger Zuſtand, wie er jetzt wieder mit erneuter Verſchärfung in die Erſcheinung tritt, direkt als eine Not zu bezeichnen iſt, ja als eine ſchwere, das ganze Volk bedrohende Gefahr. Man ſollte glauben, daß es gar nicht mehr nötig iſt, derartige Dinge noch auszuſprechen, weil ihre Wahrheit bereits von ſo vielen Seiten betont und nachgewieſen worden iſt, und nur der Umſtand, daß es bei uns in Preußen noch immer Leute gibt, die dieſe ſchwere Gefahr auf die leichte Achſel nehmen, und die glauben, dieſe Beſchwerden als einen „Rummel“ bezeichnen zu dürfen, nötigt mich, noch einmal auf die Gründe hinzuweiſen, die dieſe Zuſtände und dieſe Not als eine Gefahr erſcheinen laſſen. Es iſt ohne weiteres klar zu erkennen, daß, wenn das Fleiſch, das zur Ernährung der Be⸗ völkerung nötig iſt, nicht da iſt oder nur zu ſolchen Preiſen, daß es nicht beſchafft werden kann, der heranwachſenden Jugend die Bauſteine fehlen, die ſie zur Entwicklung ihres Organismus nötig hat, 4.0 (bravo!) und wenn ſie dieſe Bauſteine nicht hat, ſo iſt ſie eben, herangewachſen, nicht das, was ſie zur dauernden Erhaltung der Kraft der Bevölkerung ſein ſollte. So geht nicht nur ihr ein Teil der Arbeitskraft verloren, ſondern man kann eigentlich ſagen: es geht unſerm ganzen Vaterlande ein Quantum von Arbeitskraft verloren, das vor⸗ handen ſein könnte, wenn die richtigen Maß⸗ regeln ergriffen werden würden. Deswegen iſt es ſehr richtig, was von einem hervorragenden Manne ausgeſprochen worden iſt: dies iſt nicht nur eine Frage der Landwirtſchaft, ſondern eine Frage der Produktion überhaupt. Aber ebenſo wie der Jugend das nötige Aufbaumaterial fehlt, fehlt den Erwachſenen, na⸗ mentlich den induſtriellen Arbeitern bei der Eigen⸗ art ihrer Tätigkeit dasjenige, was ſie für den Erſatz des bei der Natur ihrer Arbeit notwendigen Verſchleißes an Kraft nötig haben; ſie amortiſieren viel zu früh ihre Kräfte, und dadurch wird der Nation ein großer Teil von Kapital — denn Arbeitskraft ſtellt Kapital dar — entzogen. Ebenſo iſt ohne weiteres klar, daß höhere pane e an und für ſich eine teurere Lebens⸗ Die teurere Lebenshaltung