364 Sitzung vom 14. mich nun wieder auf den Standpunkt des Arbeiters ſelber ſtelle, ſo werden dieſe höheren Löhne das Produkt deutſchen Erwerbsfleißes da in den Hinter⸗ grund treten laſſen, wo es in Wettbewerb mit dem Produkt anderer glücklicherer Länder tritt, in denen man keine hohen Zölle und keine Teuerung der Fleiſchpreiſe kennt, und dadurch geht dem deutſchen Arbeiter ein gut Teil Arbeitsgelegenheit verloren, die nunmehr in andere Länder wandert. So kommt es, daß ſich zu den teuren Lebens⸗ mittelpreiſen womöglich auch noch Arbeitsnot ge⸗ ſellt, eine Vergeſellſchaftung, die wohl das Schlimmſte darſtellt, was wir uns denken können. Ebenſowenig, wie über dieſe Fragen ein Zweifel eigentlich nicht mehr herrſchen ſollte, ſollte die Frage aufgeworfen werden können: beſteht denn heute eigentlich eine Fleiſchnot? Es iſt allerdings richtig: es wird nur ſehr ſchüchtern, aber doch immer noch — z. B. in beſtimmten agrariſchen Blättern, die ich bei dieſer Gelegenheit durchgeſehen habe — das Vorhandenſein einer Fleiſchnot beſtritten, jedenfalls als in dem Grade vorhanden beſtritten, wie es von den Freunden der Aufhebung der Sperre behauptet wird. Es wird unter Hinweis auf die Viehſtatiſtit aus⸗ geführt — und vielleicht mit Recht —, daß die Anzahl des Viehes in Deutſchland nicht zurück⸗ gegangen iſt. Solche Statiſtiken ſind an und für ſich ſehr ſchwer zu kontrollieren; aber angenommen, ſie ſind richtig, ſo beſagen ſie nichts. Wir reden nicht von einer Viehnot, ſondern von einer Fleiſch⸗ not, und Vieh und Fleiſch wiſſen Grade nicht identiſch. In dieſen Zahlen, die angeführt werden, iſt natürlich alles Mögliche enthalten, was den Schlachthof nicht zu ſehen be⸗ kommt: Wollſchafe, die um der Wolle willen gehalten werden, Kühe, die als Milchkühe und Muttervieh gehalten werden, Zugochſen, die in der Provinz, z. B. in den Zuckerrübengegenden, vielfach um der Zugkraft willen gehalten werden und erſt ſehr viel ſpäter den Weg auf die Fleiſch⸗ bank finden, und endlich — und das iſt das meiſte — alles ſogenannte unreife Vieh, das eben noch nicht zur Schlachtung reif iſt und für die Fleiſch⸗ verſorgung noch nicht in Betracht kommt. Wir wollen dieſen Zahlen die einfachſte und klarſte Beweisführung entgegenhalten, nämlich die Preiſe, und da liegen mir hier eine ganze Reihe von Zahlen vor, mit denen allen ich Sie nicht behelligen werde; denn das iſt nicht nötig; ich glaube, mann kann mit einigen wenigen die Situation beleuchten. Ich habe die Fleiſcherzeitung vom 3. September vor mir, die letzten regulären Zahlen, die vom Berliner Viehmarkt da ſind — nachher iſt er geſperrt worden, das wiſſen Sie ja —, und da finden wir Notierungen für Prima⸗Rindfleiſch von 90 ℳ für 50 Kg oder 90 Pf. für das Pfund. Das iſt ein enormer Preis, der bisher überhaupt noch nie notiert worden iſt. Aber ich will mich nicht an dieſe Primapreiſe halten, ſondern nur an die Sekundapreiſe, die im weſentlichen für die breiten Schichten der Bevölkerung maßgebend ſind, und da finden wir für Rindfleiſch 81 ℳ, für Hammel⸗ fleiſch 76 ℳ, für Schweinefleiſch 68 “. Ich will dieſe Preiſe lediglich einmal mit den Preiſen vergleichen, die im Jahre 1896 notiert ſind. Das Jahr 1896 iſt nämlich — ich habe hier die Zu⸗ ſammenſtellungen bis zum Jahre 1894 zurück ſind bis zu einem ge⸗ h vor mir — das letzte ſogenannte billige oder September 1910 normale Jahr; von da ab finden wir die auf⸗ und abgehende Steigerung. Damals lauteten dieſelben Zahlen für Sekundaware: 56 gegen 81, 51 gegen 76, 43 gegen 68. Das heißt alſo: es iſt für Ochſen eine Steigerung um 45%, für Hammel um 53% und für Schweine ſogar um 60%? ein⸗ getreten. 2 Aber nun müſſen Sie dieſe Zahlen auch noch wieder kritiſch betrachten. Es haben mir Ver⸗ treter von großen Fleiſchfirmen, ſowohl Schlächter als Viehhändler, erzählt, daß dieſe Zahlen ſich nicht mehr auf die Ware beziehen, die früher geliefert worden iſt, ſondern die Ware iſt ſchlechter ge⸗ worden; man bekommt nicht mehr ſo gutes Fleiſch für ſein Geld wie früher. Und wenn man die Preiſe berückſichtigt, müſſen wir auch den Mangel an Auftrieb berück⸗ ſichtigen. An dem Stichtage, dieſem Sonnabend, hat der Auftrieb von Rindern betragen 3400 und von Schweinen 9800. Im Durchſchnitt der letzten Jahre von 1905 bis 1909 haben dieſe Zahlen betragen 4100 für Rinder und ca. 11 000 für Schweine — und zwar immer an dem erſten Septembermarkt; ich muß dieſen Tag natürlich wählen, um möglichſt gleichartige Saiſonverhält⸗ niſſe zu ſchaffen, weil man ſonſt zu falſchen Schlüſſen kommt. Das heißt alſo: an dem gleichen Sep⸗ tembermarkt iſt der Auftrieb an Rindern um ca. 20% und an Schweinen um ca. 10% ver⸗ mindert. Auch dieſe Zahlen dürfen Sie nicht ohne weiteres vergleichen; denn ſeit jener Zeit at ſich die Bevölkerung, die von dem Berliner Viehhof lebt, vergrößert. Es müßten alſo die Zahien ſich vergrößert haben; ſtatt deſſen ſind ſie zurückgegangen. Es bedarf, glaube ich, einer weiteren Statiſtit nicht. Deswegen wundert es mich, daß in einer kürzlichen Auslaſſung, die von der Regierung ausgegangen iſt, wieder und erneut das Beſtehen einer eigentlichen Fleiſchnot wenigſtens in bedeuten⸗ dem Umfange beſtritten worden iſt. Man hält ſich da lediglich an eine einzige Zahl, an die Zahl für Schweinefleiſch, von der ich zugeben muß, daß ſie ſchon einmal ebenſo hoch geweſen iſt, näm⸗ lich auch zu einer Zeit der Fleiſchteuerung. Im übrigen beweiſt dies gar nichts; es beweiſt höchſtens das Eine: daß Schweinefleiſch heute auf einem Niveau der Preisbildung angekommen iſt, daß es höher nicht mehr getrieben werden kann, wenn es überhaupt gekauft werden ſoll. Im heutigen Berliner Tageblatt finden Sie eine Notiz über den Konſumrückgang. Das iſt das ausfallende Fleiſch, das ſind die mangelnden Bauſteine, von denen ich geſprochen habe, das iſt der mangelnde Erſatz der Kraft, unter dem die Arbeiter und andere Bevölkerungsſchichten leiden. So ganz wohl muß der Regierung auch nicht bei ihrer Auslaſſung geweſen ſein. Denn ſonſt wäre es nicht zu verſtehen, wie der Landwirt⸗ ſchaftsminiſter in einem Schreiben an die Vor⸗ ſitzenden der Landwirtſchaftskammern ſich auf einen andern Standpunkt ſtellt. In dieſem Er⸗ laß, den er allerdings ſehr geheim hält, und den in ſeine Hände zu bekommen dem Vorſitzenden der Berliner Fleiſcherinnung nicht gelungen iſt, empfiehlt er Mittel, die der Erhöhung der Fleiſch⸗ aufzucht dienlich ſind; beſonders empfiehlt er ſtärkere Berückſichtigung des Weidenanbaues und rät, beſondere Sorgfalt auf die Viehzucht zu ver⸗ wenden — alles Dinge, von denen ich mir ſagen