Sitzung vom 14. September 1910 365 muß, daß ſie ganz ſchön ſind, wenn ich auch hinzu⸗ kann, und auch der Viehhändler hat keine Ware, fügen muß, daß es Maßregeln ſind, die zum Teil gar nicht mehr in erhöhtem Maße ausführbar ſind, weil ſie ſchon ausgeführt ſind. Teilweiſe ſind es lleine Mittel, während wir hier einer ganz großen, auf großer wirtſchaftlicher Baſis beruhenden wirt⸗ ſchaftlichen Entwicklung gegenüberſtehen. Das⸗ jenige, was ſich hier herausgebildet hat, beruht in der Konſtellation unſeres Wirtſchaftslebens; ich möchte Ihnen das mit einigen Worten be⸗ weiſen. Vor mir liegen die Preiszahlen vom Jahre 1891. Wenn Sie dieſe anſehen, finden Sie hohe und niedrige Zahlen miteinander wechſelnd. Aber wenn Sie ſich dieſe Zahlen aufſchreiben und gra⸗ phiſch darſtellen, kommen Sie zu einer Kurve. Dieſe Kurve weiſt Wellenberge auf zurzeit der Teuerung, Wellentäler zurzeit billigen Fleiſches. Aber ſie hat etwas Charakteriſtiſches: ſie zeigt, daß die Wellentäler, je weiter wir fortſchreiten, kleiner werden, und daß vor allen Dingen die tiefſten Punkte dieſer Wellentäler ſich erhöhen gegenüber den früheren. Das iſt eine typiſche Kurve von Preiſen für ein Produkt, das eine gleichmäßige und dauernde, auf mächtigen Ur⸗ ſachen beruhende Preisſteigerung durchmacht; nie⸗ mals geht etwa ſolche Entwicklung in gleichmäßig aufſteigender Linie vor, ſondern Höhen und Tiefen wechſeln miteinander ab. Wir müſſen uns fragen: welches ſind die Gründe, die dieſe dauernd anſteigende Kurve herbeigeführt haben? Und da ſind unſere Gegner, die Agrarier, auch gleich bei der Hand geweſen und haben geglaubt, uns dieſe Gründe liefern zu können; aber dieſe Gründe ſind falſch. Zunächſt meinen ſie als vornehme Herren, alle bürgerliche Hantierung, die mit dem Fleiſche vorgenommen wird, als den ſchuldigen Teil be⸗ trachten zu ſollen, und demgemäß behaupten ſie, der Zwiſchenhandel ſtecke zu große Gewinne ein, und erklären, daß das allein die hohe Preisbildung bedinge. Nichts iſt falſcher als das. Natürlich hat eine derartige Behauptung den verſchiedent⸗ lichſten, namentlich wirtſchaftlichen Korporationen Veranlaſſung gegeben, in die Details hineinzu⸗ ſteigen. Es liegt mir hier eine ſehr intereſſante Arbeit von einem Syndikus unſerer Handelskammer vor, die gelegentlich einer Eingabe verwandt worden iſt, und in der man eimal genau nach⸗ kalkuliert hat, was in Berlin ein Großviehhändler, ein kleiner Händler, was ein Großſchlächter und ein kleiner Schlächter verdienen, und da hat ſich herausgeſtellt, daß der Verdienſt im Ver⸗ hältnis zu dem Riſiko des Geſchäfts als vernünftig angeſehen werden muß. Es iſt auch ohne weiteres klar, daß es ganz unmöglich iſt, daß dieſe Kate⸗ gorien übermäßige, d. h. nicht durch die Natur des Dinges bedingte Gewinſte einſtecken. Warum, meine Herren? Solche Gewinſte kann man nur erzielen, wenn man die natürliche Preisbildung beeinfluſſen kann durch Ringe, Syndikate uſw. Man hat nach dieſen Ringen geforſcht, auch die Regierung hat es getan, und ſeien Sie überzeugt: man hätte etwas gefunden, wenn ſo etwas da geweſen wäre. Aber man hat nichts gefunden. Und warum nicht? Weil ſich derartige Ringe uſw. nicht durchführen laſſen bei einem Produkt wie Fleiſch. Für ſolche Ringe iſt die natürliche Vor⸗ bedingung die Möglichkeit, Ware einſperren zu können. Fleiſch iſt keine Ware, die man einſperren die er einſperren kann. Der Einzige, der eventuell Vieh zurückhalten kann vom Markt, weil er auf höhere Preiſe hofft, iſt der Gutsbeſitzer, und es iſt mir geſagt worden, daß es auch heute noch große Gutsbeſitzer gibt, die auf weitere Erhöhung der Schweinepreiſe rechnen und deshalb das ſchlacht⸗ reife Vieh noch nicht zum Viehhof bringen. Aber diejenigen Hände, die angeſchuldigt werden für die höhre Preisbildung, ſind ohne weiteres von jeglicher Schuld freizuſprechen. Der zweite Einwand geht uns eigentlich beſonders an. Es wird behauptet, die Städ te ſeien es mit ihren Schlachthofgebühren und dem, was ſie für ihre Tätigkeit nehmen, die die Preis⸗ ſteigerung verurſachen. Auf dem Deutſchen Städte⸗ tag hat dieſer Einwand eine gebührende Zurück⸗ weiſung gefunden. Vergegenwärtigen Sie ſich, daß der Berliner Viehhof ſelbſt zur Zeit der teuerſten Fleiſchpreiſe das Schweinefleiſch mit nicht mehr als 0,81 Pf. pro Pfund belaſtet hat, und daß der Überſchuß, den die Stadt nicht nach ihrem Willen verwenden kann, ſondern den ſie vortragen und dem Benutzer wieder zugute kommen laſſen muß, nur 0,27 Pf. pro Pfund beträgt. Wie will man dieſen Zahlen gegenüber behaupten, daß die Steigerung von 50 und 60%, die ich genannt habe, irgendwie durch ſtädtiſche Gebühren hervorgerufen werden kann! Aber es iſt noch nicht drei Tage her, da habe ich noch einen derartigen Hetzartikel, der gegen München gerichtet war, in einer hieſigen Tageszeitung geleſen. Nach dieſen Gründen können wir nicht gehen; wir müſſen nach anderen ſuchen. Da ergibt ſich zunächſt, daß unſere ganze Agrarpolitik, die eine Preisſteigerung ſämtlicher Futtergewächſe uſw. hervorgerufen hat, natürlich auch auf die Fleiſch⸗ preiſe einwirken muß, ſolange ſie in dieſer Stärke beſteht. Aber es gibt noch beſondere Gründe, die gerade hier für die Fleiſchnot verantwortlich zu machen ſind; das iſt, daß ſich tatſächlich eine vollkommene Verſchiebung zwiſchen der Höhe der Produktion an Vieh und Fleiſch auf der einen Seite und des Konſums auf der anderen Seite im Laufe der Jahre herausgebildet hat, und die Gründe, die dieſe Verſchiebung bewirkt haben, ſind folgende. Zunächſt hat ſich unter der Wirkung der Getreidezölle und unter der Wirkung der hohen Preiſe für Cerealien der Großgrundbeſitz zum Teil von der Viehzucht zurückgezogen. Der Groß⸗ grundbeſitz, der in der Lage war, bedeutende Kapitalien auf die Verbeſſerung ſeiner Böden aufzuwenden, der mit Maſchinen arbeiten konnte, der in der Lage war, mit künſtlichen Düngemitteln, Kali, Chiliſalpeter, Ammoniak uſw., ſeinen Böden aufzuhelfen, zog vor, Cerealien zu bauen. Des⸗ halb iſt die Viehzucht mehr auf die mittleren und kleineren Bauern übergegangen — ein Vorgang, gegen den wir an und für ſich nichts einzuwenden haben; er hat aber, vom allgemeinen Standpunkt angeſehen, doch ſehr ſeine volkswirtſchaftlichen Be⸗ denken. Denn der kleine Mann iſt infolge ſeiner wirtſchaftlichen Schwäche, infolge ſeines Mangels an großem Betriebskapital, nicht in der Lage, durch Reſerven, ſei es an Geld, ſei es in Ware, die Schwankungen im Ernteausfall auszugleichen. Wenn ſo ein kleiner Bauer nicht genug Futter⸗ mittel geerntet hat und ſeinen Futterbedarf infolge unſerer Wirſchaftspolitik nicht kaufen kann, ſo iſt