Situng vom 14. September 1910 369 wenn nicht an wiſſenſchaftlicher Logik und Schärfe wiſſenſchaftlichem Rüſtzeug eine derartige Petition höher bewertet zu werden, als dieſe ſtatiſtiſchen Arbeiten. Der Magiſtrat hat ſich die Frage vor⸗ gelegt: ſind wir in der Lage, eine ſolche Arbeit zu liefern — wir, die Stadt Charlottenburg? Wir haben geantwortet: das können wir nicht, das kann ſelbſt die Stadt Berlin nicht, dazu iſt ein viel größerer Überblick notwendig, die geeignetſte Inſtanz für die Bearbeitung dieſes Materials iſt die Zentrale des Deutſchen Städtetages. Der Deutſche Städte⸗ tag ſoll in einer Eingabe, die bereits ausgearbeitet iſt, und in der Herr Dr Gottſtein die Geſichts⸗ punkte, die ich hier kurz ſkizziert habe, auseinander⸗ geſetzt hat, veranlaßt werden, eine Einrichtung zu ſchaffen, die fortdauernd die ganzen Vorgänge auf dem Fleiſchmarkte wiſſenſchaftlich und ſtatiſtiſch bearbeiten und alles, was in der Offentlichkeit an derartigen Arbeiten erſcheint, unter die Lupe nehmen und prüfen ſoll. (Zuruf des Stadtv. Zietſch: Und die momentane Fleiſchteuerung?!) — Darauf komme ich noch. Die momentane Fleiſchteuerung würde auch bei Annahme des An⸗ trages des Herrn Stadtv. Dr Frentzel nicht beſeitigt werden, es müßten denn ſofort die Grenzen ge⸗ öffnet werden. Die Maßregeln, die wir gegen die gegenwärtige Fleiſchteuerung ergreifen wollen, werde ich ſpäter erörtern. — Dieſes zentrale ſtatiſtiſche Amt des deutſchen Städtetages hätte natürlich die Aufgabe, über die Ermittelung des Fleiſchbedarfes und der Fleiſchproduktion hinaus eingehend auch alle diejenigen Fragen wiſſen⸗ ſchaftlich zu prüfen, die von mittelbarer Bedeutung ſind, z. B. die Grenzſperre, ihre hygieniſche Wirkung und die Erfolge, welche erreicht werden könnten, wenn ſie vorübergehend oder zeitweilig, ganz oder teilweiſe aufgehoben würde, ob überhaupt die Auf⸗ hebung der Grenzſperre einen Zweck hätte, ferner welche Benachteiligung des Fleiſchmarktes durch die hohen Eiſenbahnfrachten, durch die hohen Zölle eintreten uſw. uſw. Das ſind allerdings Geſichts⸗ punkte, die in kurſoriſcher Weiſe, wie Herr Dr Frentzel ſie vorgetragen hat, durchaus überzeugend behandelt werden können, die aber einem, ich will nicht ſagen: böswilligen, aber mißtrauiſchen Beobachter gegen⸗ über noch einer weiteren Aufklärung bedürfen, als ſie bisher von uns gegeben werden konnte. Kurz und gut, der Magiſtrat hat gemeint: wenn ſich die Städte wirklich ihrer Eingabe wegen der Grenzſperre uſw. ver⸗ ſprechen wollen, ſo müſſen ſie mit einem anderen Rüſtzeug auftreten, als ſie bisher aufgetreten ſind. Die Petitionen, die wir bisher den zuſtändigen Inſtanzen zugeſchickt haben, ſind ſamt und ſonders in den Papierkorb gewandert, und wenn man ſich ganz ehrlich die Frage vorlegt, haben ſie vielleicht auch kein anderes Schickſal verdient. Denn es fehlte ihnen zu viel, um wirklich wiſſenſchaftlich ernſt genommen zu werden, ſie konnten von den anderen Intereſſenten, die ein beſſeres Material für ihre Sache anführten, über den Haufen gerannt Wir waren nicht genügend gewappnet, und dem wollen wir uns in Zukunft nicht aus⸗ Wir wollen uns eine Situation ſchaffen, werden. ſetzen. daß wir mit einem Material an die Behörden herantreten, deſſen Zuverläſſigkeit jeden Zweifel Deshalb hat der Magiſtrat nicht beſchloſſen, jetzt eine Petition ab⸗ von vornherein ausſchließt. zulaſſen, ſondern er wird an den Deutſchen Städte⸗ tag mit dem Antrage herangehen, er möge mit einen Erfolg bearbeiten. Nun komme ich auf die andere Frage, die in dem Antrage des Herrn Dr Borchardt angeregt iſt: wie kann man der gegenwärtigen Fleiſchnot be⸗ gegnen? Auch hier hätte es ja nahe gelegen, an Vorbilder früherer Jahre anzuknüpfen, eine ge⸗ miſchte Deputation einzuſetzen mit der Aufgabe, die möglichen Maßnahmen zu prüfen, die geeignet ſind, der gegenwärtigen Fleiſchnot zu begegnen. Wir halten uns an der Hand der Verhandlungen vom Jahre 1905 überzeugt, daß, wenn Sie eine derartige Deputation einſetzen, ſie keine fruchtbringendere Arbeit liefern wird als vor 5 Jahren. Die Maß⸗ nahmen, die möglich ſind, ſind an den fünf Fingern aufzuzählen, und wenn wir uns damals davon überzeugen konnten, daß ſie in unſerer Stadt un⸗ durchführbar ſind, ſo werden Sie auch jetzt zu dieſer Überzeugung kommen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Das war jedenfalls die Auffaſſung der Ge⸗ ſundheitspflegedeputation und die des Magiſtrats. Wenn Sie den Antrag an den Magiſtrat richten, eine gemiſchte Deputation mit Ihnen zuſammen zu bilden — ich bin feſt überzeugt, der Magiſtrat wird dieſem Antrage zuſtimmen. Wir werden dann ja ſehen, wer von beiden recht hat. Im Intereſſe der Sache würde ich dringend wünſchen, daß Sie recht behalten; aber die früheren Erfahrungen be⸗ rechtigen leider nicht zu dieſer Erwartung. (Erneuter Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Der Magiſtrat hat deshalb einen anderen Weg auch hier gehen wollen. Er hat ſich nämlich vor Augen geführt, daß andere Intereſſentenkreiſe mit anderen Mitteln ſchon etwas erreicht haben, was wir bisher vergeblich zu erreichen geſucht haben. Der Magiſtrat hat ſich geſagt: weshalb ſollen wir das, was z. B. viele Großinduſtriellen für ihre Arbeiter tun, nicht auch für unſere Arbeiter tun können? (Stadtv. Hirſch: Sehr richtig!) Er hat deshalb die zuſtändigen Inſtanzen beauftragt, ſich mit den Direktoren der ſtädtiſchen Werke zu einer Beratung derjenigen Mittel und Wege zu⸗ ſammenzutun, wie wir unſere ſtädtiſchen Arbeiter mit Fleiſch und Fiſchen billig und gut verſorgen können. Nachdem wir dieſe Konferenzen mit den Direktoren gehabt haben werden, werden ſich die Direktoren wahrſcheinlich mit ihren Arbeiteraus⸗ ſchüſſen in Verbindung ſetzen, und wir werden der⸗ artige Aufträge aus den Arbeiterkreiſen ſammeln und verſuchen, ſie ſo gut und ſo billig wie möglich zu effektuieren. Das ſcheint mir ein greifbarer und ſchneller zum Ziele führender Weg zu ſein als der der gemiſchten Deputation. 2 (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Wir haben ja auch auf anderen Gebieten ähnliche Wege eingeſchlagen. Wir haben z. B. erkannt, daß der Bau billiger Wohnungen für alle ihre unbe⸗ mittelten Einwohner durch die Stadt ein Unding iſt. Wir haben deshalb geglaubt, uns darauf be⸗ ſchränken zu ſollen, Baugenoſſenſchaften zu unter⸗ ſtützen, um wenigſtens unſeren Arbeitern beizu⸗ ſpringen. Weshalb ſoll man den Weg der Be⸗ ſchränkung, den man auf anderem Gebiete frucht⸗ bringend hat geſtalten können, nicht bei der Fleiſch⸗ teuerung auch verſuchen? Ich führe Ihnen das alles aus, erſtens mal, um ihnen die Wahl zu laſſen zwiſchen den Mitteln, die der Magiſtrat getroffen hat, und denen, die aus