Sitzung vom 9. November 1910 belaſtung nehmen, ſo werden Sie ſehen, daß dieſe Städte zum großen Teil weſentlich höher mit Steuerzuſchlägen belaſtet ſind als Charlottenburg; (Zuruf: 100%!) und Sie werden ferner, meine Herren, vor allen Dingen erkennen, daß auf der anderen Seite, wenn bei Charlottenburg der Anleiheſchuldenbetrag hoch iſt, es als Aquivalent dafür auch eine weſent⸗ lich erhöhte Steuerkraft hat. Vergleichen Sie bitte einmal die folgenden Zahlen: von den ge⸗ nannten Städten — ich laſſe dabei Plauen und Straßburg als nichtpreußiſche Städte vollkommen aus — haben Halle 168, Aachen 150, Poſen 192, Caſſel 130, Kiel 230, Barmen 230, Rixdorf, Berlin, Schöneberg, Wilmersdorf und Charlottenburg, die Städte von Groß⸗Berlin alſo, 100% Zuſchlag. Dieſe Zuſchläge mögen ſich im letzten Jahre ſogar zum teil noch verſtärkt haben. Ich glaube das mit Beſtimmtheit bei einiger deſcr Städte ſagen zu können; denn die Städte ſind, nachdem ſie die Beſoldungserhöhung überall durchgeführt haben, nicht in der Lage geweſen, mit den bisherigen Zu⸗ ſchlägen auszukommen. Wenn Sie aber anderer⸗ ſeits die Gemeindeeinkommenſteuer betrachten auf den Kopf der Bevölkerung, ſo erhalten Sie das Bild, daß mit 28,32 ℳ Charlottenburg an erſter Stelle ſteht, (hört, hört!) dann Wilmersdorf mit 27,03 ℳ kommt, Schöne⸗ berg mit 18,65 ℳ, Berlin mit 19,13 ℳ, Rixdorf mit 6,98 ℳ, Barmen mit 25,12 ℳ, Kiel mit 20,31 ſ, Caſſel mit 16,47 ℳ, Poſen mit 14,36 ℳ, Aachen mit 20,45 ℳ und Halle mit 19,03 ℳ. Meine Herren, wenn man dieſe Zahlen zuſammenſtellt und ſich dann vorhält, was für die Anleihen ge⸗ ſchaffen worden iſt, ferner in welcher Zeit das hat geſchaffen werden müſſen, ferner daß die Stadt Charlottenburg urſprünglich nicht, wie die alten anderen Städte, ein großes Grundvermögen, ein großes Stammvermögen gehabt hat, und wenn man gegenüber dem Geleiſteten andererſeits die Steuertraft betrachtet und die Zuſchläge, ſo glaube ich, daß man ohne weiteres zu dem Reſultat kommen wird, daß doch die Finanzlage der Stadt nicht ſo ſchlecht ſein kann, wie man auf den erſten Blick annehmen müßte, wenn man hört: Char⸗ lottenburg hat gegenüber dieſen anderen Städten einen Schuldenbetrag auf den Kopf der Bevöl⸗ kerung von 462 ℳ! Meine Herren, ich ſagte Ihnen vorhin: ich werde Ihnen ein treffendes Beiſpiel dafür nennen, wie falſch es iſt, eine ſolche Zahl herauszureißen aus einer Finanzſtatiſtik. Es iſt leider nur ein Bei⸗ ſpiel aus dem Jahre 1906; eine neuere Statiſtik habe ich in der Kürze der Zeit, ſeit die Inter⸗ pellation angemeldet wurde, nicht bekommen fönnen. Das iſt die Stadt Frankfurt a. M. Meine Herren, wenn Charlottenburg ſchon 462 ℳ Schulden auf den Kopf der Bevölkerung jetzt hat, ſo hatte die Stadt Frankfurt a. M. auf den Kopf der Bevöl⸗ kerung am 31. März 1906 531,42 ℳ. — und wer von Ihnen wird behaupten können und wollen, daß eine Stadt wie Frankfurt a. M., dieſe alte, ehrwürdige Stadt, die weit über die Grenzen des Deutſchen Reiches hinaus mit ihrer Koammunal⸗ verwaltung einen, vielleicht den bedeutendſten Ruf hat, ſchlecht in der Anleihewirtſchaft geſtellt iſt, und daß ihre Finanzverwaltung auf ſchlechten Füßen ſteht! (Zuruf: Kataſtrophe!) 423 — Meine Herren, ich habe den Ausdruck „Kata⸗ ſtrophe“, der in den Flugblättern gewählt iſt, aus⸗ drücklich nicht erwähnt. Ich habe es auch an der⸗ jenigen Stelle nicht getan, wo der Schluß auf die Kataſtrophe gezogen iſt, wo fälſchlich davon ge⸗ ſprochen worden iſt, daß der Etat belaſtet iſt mit 7 ½ Millionen, d. h. einer Million mehr, als die Einkommenſteuer beträgt. Meine Herren, ich komme dann auf den dritten Punkt, den ich eingangs erwähnte: das ſind die Vorwürfe der unrichtigen Wirtſchaftspolitik, der unökonomiſchen Finanzpolitik, und der Vorwurf, daß, wenn die laufenden Einnahmen im Etat die Ausgaben nicht decken, dann ohne weiteres Schul⸗ den gemacht werden. Meine Herren, das ſind un⸗ gemein ſchwere Vorwürfe, die ſchwerſten, die gegen eine Verwaltung erhoben werden können, und der einzige Grund, weshalb ſie trotzdem für uns leicht wiegen, iſt der, daß für dieſe Vorwürfe keinerlei Beweiſe gebracht ſind, (ſehr richtig!) ja, nicht einmal die Beweiſe angetreten ſind. (Hört, hört!) Meine Herren, worin beſteht die Unwirtſchaft⸗ lichkeit, die hier vorgeworfen iſt? Und was iſt von der Stadtgemeinde geleiſtet worden? Ich habe Ihnen vorhin vorgeführt: aus den aufgenommenen An⸗ leihebeträgen ſind gebaut worden Gaswerke, Elek⸗ trizitätswerk, Waſſerwerke, Kanaliſation, es ſind große Straßenzüge wie die Bismarckſtraße, die es ſo bald nicht wieder in einer Stadt gibt, freigelegt worden, es ſind große, weite Gegenden als Bau⸗ land erſchloſſen worden, es iſt ein Grundſtücks⸗ erwerbsfonds angelegt worden, der unſeren Nach⸗ kommen vielleicht noch einmal Millionen erſparen wird. Meine Herren, alle dieſe Leiſtungen können doch unmöglich gemeint ſein, wenn man von einer unwirtſchaftlichen Politik redet. Wenn Sie dieſe Beträge aber abziehen, dann bleiben von den zi⸗ tierten Ausgaben, wie ich Ihnen vorhin gezeigt habe, 40% Millionen und für das jetzige Jahr etwas über 42 Millionen übrig. Und was iſt dafür ge⸗ ſchaffen worden? Dafür ſind geſchaffen Verwal⸗ tungsgebäude, Krankenhäuſer, höhere Schulen und alle möglichen Inſtitute, die unbedingt eine Stadt haben muß. Oder wollen etwa diejenigen Herren, die dieſes Flugblatt verfaßt haben, behaupten, daß eine moderne Stadt von rund 300 000 Einwohnern ein Krankenhaus nicht gebraucht oder ein Ver⸗ waltungsgebäude nicht gebraucht, oder daß ſie gar keine höheren Schulen gebraucht? Ich möchte an die Debatte vorhin erinnern: ein Verwaltungs⸗ gebäude iſt gebaut worden, und Sie hören heute aus dieſem Saale heraus, daß Beamte irgendwo anders nicht würdig genug untergebracht ſind, und der Magiſtrat wird deswegen interpelliert! Ich kann beim beſten Willen bei allen dieſen Punkten, die ich angeführt habe, auch nicht den allergeringſten finden, worin der Vorwurf einer unökonomiſchen Finanzpolitik erwieſen ſein könnte. Meine Herren, dann iſt aber zum Schluß der weitere ſchwere Vorwurf erhoben worden: ſoweit laufende Ausgaben nicht gedeckt werden können aus den etatsmäßigen Mitteln, hilft eben das Schuldenmachen. Meine Herren, wer ſo etwas ausſprechen, wer ſo etwas ſchreiben kann, der kennt die Verwaltungsbeſtimmungen, die bei uns in Preußen gelten, nicht. (Sehr richtig!)