428 Sitzung vom 9. werden, durch Erhöhung der Steuern zu erzielen als immer wieder durch neue Anleihen. (Hört, hört! — Stadtv. Dr Crüger: Die Steuern erhöhen!) Wenn Sie die Steuerſchraube anſetzen, dann fühlen alle Steuerzahler das; dann wiſſen ſie wenigſtens, was eine Stadtgemeinde, die immer voran ſein will, die immer an erſter Stelle ſein will, koſtet! Meine Herren, ich will zugeben, daß gerade jemand, der raſch und leicht reich geworden iſt, das Geld oft mit vollen Händen ausgibt, und daß er gern auch ſeinen Reichtum zur Schau trägt. Wir möchten aber nicht, daß Charlottenburg ſich in der Rolle eines ſolchen Emporkömmlings zeigt. Wir wollen langſam vorwärts ſchreiten, wir wollen das Tempo nicht ſo raſch haben (Zurufe: Rückwärts!) und wollen uns nach der Decke ſtrecken; wir wollen weniger raſch vordringen und nur das Notwendige tun. Daß das Anſehen Charlottenburgs durch unſere Flugblätter geſchädigt werden könnte, meine Herren, das iſt ja gar nicht möglich. (Große Heiterteit.) Ihr Anſehen, meine Herren von der Mehrheit, als Bewilliger — das kann allerdings darunter leiden. (Heiterkeit.) Daß Charlottenburg aber in ſeinem Kredit darunter leiden könnte, iſt nicht wahr; denn die Banken, die die Anleihenübernehmen, wiſſen,daß Charlottenburg eine ſehr reiche Stadt iſt. (Hört, hört! Große Heiterkeit und Zurufe.) Vorſteher Kaufmann: Ich bitte die Herren um Ruhe, damit der Stenograph auch verſtehen kann; es wäre ſchade, wenn er irgend ein Wort nicht widergäbe. (Sehr richtig! und Heiterkeit.) Stadtv. Dr. Liepmann (fortfahrend): Die Stadt Charlottenburg iſt reich. Sie iſt zwar nicht reich durch ihr Vermögen, (Stadtv. Hirſch: Aber an Intelligenz! — Heiterkeit) ſie iſt aber reich durch ihre Steuerzahler, und dieſen Reichtum wollen wir uns erhalten. Setzen wir aber die Steuerſchraube an, ſo bedingt, wie der Herr Kämmerer ja ſchon ausgerechnet hat, die Mehreinnahme von je 400 000 ℳʒ Einkommen⸗ ſteuer ſchon eine fünfprozentige Erhöhung der Eintkommenſteuer. Wenn wir alſo jährlich auf eine Erhöhung unſerer Ausgabe von 2 Millionen zu rechnen haben, dann müſſen Sie ſchon den Ein⸗ kommenſteuerzuſchlag um 25% erhöhen, um auf dieſe Einnahme zu kommen; dann werden wir aber nicht weiter den Zuzug haben, auf den Sie hoffen, ſondern einen ſtarken Abzug, und dann werden auf die Schultern derjenigen, die in Char⸗ lottenburg bleiben müſſen — das ſind die Grund⸗ beſitzer und Gewerbetreibenden —, (Zuruf: Und Stadtverordneten! — Heiterkeit) die Laſten allein gelegt werden müſſen. Nun, meine Herren, iſt noch den Flugblättern vorgeworfen worden, daß ſie perſönliche Angriffe enthielten. Aber Sie, Herr Vorſteher, wollen mir darüber wohl nicht das Wort geben. (Zurufe: Doch! Bitte!) Vorſteher Kaufmann (unterbrechend): Ich möchte bitten, daß wir uns hier auf die Finanzlage November 1910 beſchränken. Die Anfrage iſt nach den Finanzen geſtellt. Es würde ſich ſonſt eine Wahldebatte entwickeln. Ich bitte alſo, in dieſer Beziehung meinen Wünſchen Rechnung zu tragen, damit ich nicht genötigt bin, deim einen oder anderen Redner, der auf eine allgemeine Wahlagitationsdebatte ein⸗ geht, das Wort zu entziehen. Stadtv. Dr. Liepmann (fortfahrend): Dann darf ich alſo nur erwähnen, daß als ein perſönlicher Angriff mir angerechnet wird, daß ich unſeren Herrn Vorſteher in dem Flugblatt mit „dieſer Herr Kauf⸗ mann“ bezeichnet habe. Ich kann darin keine Be⸗ leidigung finden. Dieſer Satz ſollte bezug nehmen auf den vorhergehenden Satz, in welchem ſteht, daß der Herr Stadtverordnetenvorſteher Kaufmann die Mehrheit der Stadtverordnetenverſammlung vertritt. Ich möchte nur wünſchen, daß die Mehrheit mir zur Verfügung ſtände. (Bravo! und Zurufe. Stadtv. Dr Crüger: Ka⸗ taſtrophe!) — Das wollen wir mal abwarten. Meine Herren, ich habe mich hier des längeren auslaſſen müſſen. Nicht aber möchte ich die Situation verſchieben laſſen, als ob ich mich oder wir uns als die Angeklagten betrachten. Meine Herren, wir ſind die Ankläger! 4 (Bravo!) Wir werden weiter anklagen, wenn wir es für not⸗ wendig halten, und wir werden unſere Anklage bei den einzelnen Fällen belegen. Meine Herren, wir ſind nicht, wie Sie dargeſtellt haben, eine kleine eigenbrödleriſche Gruppe; wir haben gezeigt, daß wir einen großen Teil der Wählerſchaft vertreten, daß wir eine ſehr große Minderheit in ſehr vielen Bezirken hinter uns haben. (Zurufe: Täuſchung!) Aber wenn Sie nicht unſere Ratſchläge annehmen, wenn Sie nicht unſerer Kritit eine Berechtigung einräumen und danach Umkehr halten, dann wird dieſe Minderheit bald zur Mehrheit werden. (Na, na!) — Ja, meine Herren, dann wird ſie zur Mehrheit werden! Jedenfalls aber, wenn wir auch nur eine kleine Gruppe bleiben, „Rufe: Hoffentlich!) und ſelbſt wenn wir die Hoffnung auf Gewinnung größeren Einfluſſes ſich nicht erfüllen ſehen, werden wir uns nicht das Recht der ſelbſtändigen Kritik beſchränken laſſen. Wir glauben damit ebenſo, wie der Herr Kämmerer es tut, nur zum Wohle der Stadt Charlottenburg zu handeln. Stadtv. Meyer: Meine Herren, wir haben, als wir die Interpellation einbrachten, keineswegs die Abſicht gehabt, damit eine Beſprechung der Wahlbewegung zu entfachen; einmal deshalb nicht, weil das ja nach der Wahl gar teinen Sinn hätte, vor allem aber auch nicht, weil wir den Wunſch haben, den Gegenſatz nicht unnütz zu verſchärfen, der zu unſerem lebhaften Bedauern durch das Sondervorgehen des nationalliberalen Ortsver⸗ bandes in den Liberalismus hier getragen worden iſt. Nach den Ausführungen des Herrn Vorredners muß ich jedoch auf einige Einzelheiten der Wahl⸗ bewegung eingehen, wobei ich bemüht ſein werde, nur diejenigen Darlegungen zu machen, zu denen mir der Herr Vorredner durch ſeine Ausführungen unmittelbar Anlaß gegeben hat. 7