Sitzung vom 9. November 1910 Da habe ich mich zunächſt gegen die Beurteilung zu wenden, die der Herr Vorredner der Haltung der Parteien im Wahlkampf hat zu Teil werden laſſen. Ich gebe zu, daß er perſönlich in der Wählerver⸗ ſammlung eine ſo vornehme Haltung gewahrt hat, wie ſie im Wahlkampf zwiſchen anſtändigen Parteien ohne weiteres angemeſſen iſt. Aber ich gebe nicht zu, daß dieſe vornehme Haltung von dem Ortsverband weiter gewahrt worden iſt. Ich be⸗ ſtreite dies namentlich hinſichtlich der Aufrufe, die den Anlaß zu unſerer heutigen Diskuſſion geben. Denn um zu verwirren und um uns an der Auf⸗ klärung vor den Wahlen zu verhindern, hat man ſie erſt knapp vor der Wahl verbreitet: am Freitag Abend, der dem Donnerstag voranging, an welchem die Wahlen anfingen, iſt der erſte Aufruf erſchienen. (Stadtv. Dr Liepmann: 10 Tage vorher!) Nein, nicht 10 Tage, ſondern knapp eine Woche vor⸗ her, Herr Kollege Liepmann, nämlich kurz vor der Verſammlung des Grundbeſitzervereins, zu deren Beeinfluſſung ſie ja mitgeſchrieben worden ſind. Wir haben hierauf ſofort ein Gegenflugblatt entworfen, in dem wir wenigſtens die gröbſten Un⸗ richtigkeiten richtig ſtellten. Geſchäftsordnungsdebatte zu erkennen gegeben hat, daß er ſelbſt heute noch nicht ſo weit das Material kennen gelernt hat, um für dieſe Diskuſſion „vor⸗ bereitet“ zu ſein, (Stadtv. Dr Liepmann: Habe ich nicht geſagt!) obwohl wir es auch für notwendig hielten, die Herren, deren Namen unter dieſes Flugblatt zu ſetzen waren, ausdrücklich um ihre Erlaubnis zu bitten, haben wir bereits am nächſten Dienstag unſere Richtigſtellung abgeſandt. Seitens des Ortsverbandes iſt nunmehr am Donnerstag ein neuer Aufruf mit neuem — falſchem — Material herausgegeben worden, am ſelben Tage, an dem die Wahlen anfingen! Das wollte ich zur Beur⸗ teilung der „vornehmen Haltung“ feſtſtellen. Was nun den Inhalt dieſer Aufrufe anlangt, ſo hat bereits der Herr Kämmerer an ſo vielen Tat⸗ ſachen nachgewieſen, welche Fülle an unrichtigen und unrichtig gruppierten Zahlen ſie enthalten, daß ich mich kurz faſſen kann. Ich möchte vor allen Dingen dem Herrn Vorredner gegenüber nochmals konſtatieren, daß es falſch iſt, was auf der erſten Seite des erſten Aufrufes in fetteſtem Druck als Fundament der ganzen Darſtellung dient, daß falſch iſt die marktſchreieriſche Herausrufung: 183½ Millionen Anleiheſchulden! (Bravo! — Zuruf.) Es wird mir dazwiſchen gerufen: Schulden! leiheſchulden die Rede, und es wird damit aber andere der Gedanke erweckt, daß außer den Anleiheſchulden noch andere Schulden vorhanden ſind. In Wahr⸗ heit ſind die anderen Schulden in dem Schulden⸗ betrage enthalten, der in jenem Flugblatt lediglich als Summe der Anleiheſchulden angegeben iſt. Wenn die Verfaſſer dieſes Flugblattes aber die Ge⸗ ſamtſumme aller Schulden berückſichtigen wollten, dann hätten ſie auch ordnungsmäßig angeben müſſen, welche Aktiva den Geſamtſchulden ent⸗ gegenſ ſbeng und wenn ſie das nicht wußten, dann hätten ſie den Weg gehen müſſen, den der Herr Kämmerer gewieſen hat: dann hätten ſie ſich er⸗ kundigen müſſen. Aber dieſe Erkundigung haben Obwohl wir hierbei ſehr viel ſorgfältiger vorgingen als der Ortsverband, deſſen Vorſitzender — der Herr Vorredner — in der Im Flugblatt iſt von ſoviel An⸗ 429 ſie unterlaſſen, weil ſie richtige Zahlen eben nicht brauchen konnten. (Sehr richtig!) Wäre die Erkundigung erfolgt, dann hätten ſie in Erfahrung gebracht, daß unter den anderen Schul⸗ den beiſpielsweiſe das 7½ Millionen⸗Darlehen für die Bismarckſtraße enthalten iſt, während die Höhe des entſprechenden Aktivums noch nicht feſt⸗ ſteht und in unſerem Vermögensbeſtande deshalb nur zu einem Teile berückſichtigt iſt. Derartige Bei⸗ ſpiele laſſen ſich noch mehr anführen. Daß der Herr Vorredner nicht der Verfaſſer der Flugblätter iſt, wie er heute erklärt hat, freut mich umſomehr, als die Bezifferung der Schulden nicht die einzige Stelle iſt, hinſichtlich deren eine politiſche Unehrlichkeit vorliegt, die dem Herrn Vorredner zum Vorwurfe machen zu müſſen mir außerordentlich bedauerlich geweſen wäre. Eine andere, noch ſchlimmere Unehrlichkeit liegt in der Angabe der jährliche Bel aſtung für Zins⸗ zahlung und Schuldentilgung mit 7 ½ Millionen! Der Herr Vorredner hat uns dafür vorhin eine Auseinanderſetzung gegeben, aus der hervorgeht, daß ihm ſogar die Grundlagen der Berechnung unbekannt waren. Ihn trifft alſo der Vorwurf nicht; aber die Verfaſſer des Flugblattes trifft der Vorwurf, daß ſie hierbei mit einer Un⸗ ehrlichkeit vorgegangen ſind, die im politiſchen Leben ihresgleichen ſuchen dürfte. Ein Blick in das amtliche Material beweiſt das. Schlagen Sie bitte den Stadthaushalt auf: da ſind auf Seite 247 und folgenden alle diejenigen Erſtattungen verzeichnet, welche dieſen 7½ Millionen entgegenſtehen als Einnahmen, hervorgebracht durch dieſelben An⸗ lagen, zu deren Gunſten die Anleihen aufge⸗ nommen ſind. (Zuruf: Verſteht er nicht!) Dadurch vermindert ſich die Belaſtung um mehr als zwei Dritteile und wer darum in dieſem Zu⸗ ſammenhang „7½ Millionen!“ in die Welt ruft, be⸗ hauptet etwas Unwahres. Der Herr Vorredner hat dann den Ver⸗ gleich der Schuldenbelaſtung Char⸗ lottenburgs mit derjenigen anderer Städte recht⸗ fertigen wollen. Auf dieſen Vergleich iſt der Herr Kämmerer ſchon eingegangen; ich will nur zur Charakteriſtik darauf hinweiſen, daß der Aufruf hier wieder den falſchen Anſchein zu erwecken ſucht, als ſeien jene zum Vergleich herangezogenen Städte größer als Charlottenburg. Denn es heißt auf der erſten Seite: Die unverhältnismäßige Höhe der Ver⸗ ſchuldungsgrenze läßt ſich erſt ganz würdigen, wenn man ſich die Schuldenlaſt anderer, an Seelenzahl weit größerer Städte vergegenwärtigt. Dann kommt die Statiſtik, und in dieſer Statiſtik ſind 12 fremde Städte angeführt, und unter dieſen 12 Städten iſt außer Berlin auch nicht eine ein⸗ zige, die eine größere Seelenzahl als Charlotten⸗ burg hat. Die Städte mit größerer Seelenzahl ſind vielmehr abſichtlich ausgelaſſen worden, weil man die Zahl von Frankfurt a. M. und andere hat unterdrücken wollen. (Stadtv. Dr Liepmann: Das Berliner Tageblatt hat ſie geliefert!) — Ziehen Sie ſich doch nicht auf Zuſammen⸗ ſtellungen zurück, die in irgend einem Zeitungs⸗ artikel enthalten ſind! Sie haben dieſe Zahlen in Ihren Aufrufen verbreitet; und ich nehme doch