430 Sitzung vom g. nicht an, daß ſich auch nur einer der Unterzeichner der Verantwortung entziehen will, die er mit der Verwendung dieſer Statiſtik übernommen hat. 5 (Sehr richtig!) Soviel nur zu dem Vergleich der Schulden. Aber noch unlogiſcher iſt ja der heute von dem Herrn Vorredner wiederholte Vergleich der Vermögen von Charlottenburg und Berlin. Alle diejenigen, die ich über die Aufrufe zu ſprechen Gelegenheit hatte, haben mir übereinſtimmend geſagt: „Die Aufrufe ſind ja ſehr drollig, aber das drolligſte iſt doch die Idee, die Vermögen von Charlottenburg und Berlin zu vergleichen, die Ver⸗ mögen zu vergleichen von einer Stadt, die in 30 Jahren ihre Bürgerzahl um das Zehnfache ver⸗ mehrt hat, und von einer Stadt, die ſeit 100 Jahren eine Weltſtadt iſt (Stadtv. Dr Liepmann: Na, na!) und ein koloſſales Vermögen an Stiftungen allein geſammelt hat.“ Meine Herren, das iſt, wie wir es in unſerer Antwort genannt haben, ein Attentat auf die Unkenntnis und die Urteilsloſigkeit der Bürger. (Bravo!) Nun hat der Herr Vorredner ſich beſonders gegen die Unterſtellung verwahrt, daß die Flug⸗ blätter nicht ernſt genommen werden wollten. Meine Herren, daß das nicht gewollt wurde, glaube ich gern; aber derjenige, der ſie mit Verſtändnis las, konnte ſie meines Erachtens in der Tat nicht ernſt nehmen; es konnte ſie ſchon derjenige nicht ernſt nehmen, der ſich bloß die Mühe gab, die einzelnen Seiten dieſer Flugblätter mit⸗ einander zu vergleichen. Da wird z. B. in dem erſten Aufruf von der Hurraſtimmung geſprochen, in der die letzte Anleihe von 42½ Millionen be⸗ willigt wurde, und auf der zweiten Seite iſt ge⸗ ſagt, daß Herr Stadtv. Dr Frentzel eine „immerhin kritiſch angehauchte Anleiherede“ gehalten hätte. Aber noch viel intereſſanter ſind die Desavouierun⸗ gen, die ſich die Herren unfreiwillig ſelbſt bereiten. So heißt es in dem zweiten Aufruf: Der letzte Etat konnte — trotz aber⸗ maliger Belaſtung des Grundbeſitzes — nur dadurch balanziert werden, daß über 800 000 ℳ aus dem Reſervefonds genommen worden ſind. 7 — Derſelbe Herr Stadtv. Dr Liepmann, der dieſe abfällige Kritik unſerer Finanzlage an erſter Stelle unterſchrieben hat, hat ſich aber bei der Be⸗ ratung des Etats eindringlich dafür eingeſetzt, daß der Reſervefonds noch weiter erſchöpft werden ſollte, und er hat das damit begründet, daß er glaubt, daß der Fonds aus den künftigen Einnahmen nach⸗ gefüllt werden kann! 22 (Hört, hört!) Eein anderer Fall: die Anführung der Be⸗ dürfnisanſtalten — die mit Gewalt in den ganzen Rahmen des Aufrufs hineingezerrt worden iſt; denn was hat es mit der Finanzlage zu tun, wenn in einem Falle ein Koſtenanſchlag er⸗ heblich überſchritten worden iſt“ Da iſt ein großes Lob geſungen für oberirdiſche Bedürfnis⸗ anſtalten. Es heißt da: — Grenzt es nicht an Verſchwendung, mehrere unterirdiſche Bedürfnisanſtalten von fragwürdiger Zweckmäßigkeit und ungeeigneter Platzauswahl zu bauen, die pro Stück mehr als 75 000 ℳ gekoſtet haben, während ober⸗ November 1910 irdiſche in ſchönſter und diskreteſter Aus⸗ führung für zirka 5000 ℳ herzuſtellen wären! Aber wenige Tage bevor dieſes Flugblatt mit der Unterſchrift auch des Herrn Stadtv. Marzahn ver⸗ ſehen in der Offentlichkeit verbreitet wurde, hat Herr Stadtv. Marzahn — in der Stadtverordneten⸗ ſitzung vom 19. Oktober — befürwortet, für den Villenvorort Weſtend eine unterirdiſche Be⸗ dürfnisanſtalt zu bauen, (Heiterkeit) und die Annahme der betreffenden Magiſtrats⸗ vorlage ohne Ausſchußberatung beantragt. (Erneute Heiterkeit.) Meine Herren, ſo ſteht es mit den ſachlichen Argumenten, und aus deren Schwäche erklärt ſich, daß perſönliche Angriffe nicht ver⸗ ſchmäht werden, die der Herr Vorredner aller⸗ dings jetzt gern auswiſchen will. Ich lehne es ab, darauf einzugehen; ich will nur ein für alle Mal feſtſtellen, daß wir durchaus nicht „unter dem Szepter des Herrn Kaufmann“ ſtehen, ja, daß wir noch nicht einmal einen „Wortführer“ haben, wie ihn nach der Verſicherung der Aufrufe die natio⸗ nalliberale Gruppe in Herrn Dr Liepmann beſitzt. Nur der „Kat aſtrophe“ muß ich noch einige Worte widmen. Das möchte den Herren jetzt ſo paſſen, die Prophezeiung der „Kataſtrophe“, die ſie in ihren Flugblättern wiederum dick gedruckt in die Welt geſchrieen haben, von ſich abzuwälzen und an die Rockſchöße einer Zeitung zu hängen, die, weil es ihnen gerade ſo bequem iſt, zum „Organ der freiſinnigen Fraktion in Charlottenburg“ ge⸗ ſtempelt wird. Meine Herren, die „Neue Zeit“ iſt bekanntlich ein durchaus unabhängiges Organ, (Lachen bei den Sozialdemokraten) und dieſe Unabhängigkeit wird ja am deutlichſten bewieſen durch die Angriffe, die aus der „Neuen Zeit“ in den Flugblättern abgedruckt ſind. Denn ſo töricht, Herr Stadtv. Dr Liepmann, ſind wir nicht, daß wir in unſer Organ Angriffe auf die Stadtverordnetenmehrheit hineinſchreiben. (Sehr richtig! bei den Liberalen.) Aber ganz abgeſehen davon wollen wir doch nicht überſehen: wenn eine Tageszeitung ein ſolches Wort braucht, dann iſt es ein Ausfluß der Stim⸗ mung des Tages, die dem Wechſel unterliegt; wenn aber in derartigen Aufrufen, mitunterzeichnet von drei Stadtverordneten, fett gedruckt das Wort „Kataſtrophe“ paradiert, ſo iſt das etwas ganz an⸗ deres, und es gehört ein beſonderer Mut der Unterzeichner der Aufrufe dazu, nachher zu behaupten: wir haben das Wort ja nicht ge⸗ braucht, wir lehnen die Verantwortung dafür ab. Dieſe lächerliche Prophezeiung bleibt an ihren Rockſchößen hängen, die werden ſie nicht von ſich abſchütteln können. (Stadtv. Dr Liepmann: Herr Stadt⸗ verordnetenvorſteher, da rief jemand „Frechheit“ ſo laut, daß ich es gehört habe! Ich bitte, mich dagegen in Schutz zu nehmen!) Borſteher Kaufmann (unterbrechend): Ich habe nichts davon gehört. Herrn Kollegen Meyer möchte ich bitten, nun zu den Finanzen zurückzukehren, nachdem ich ihm ja vollkommen Freiheit gelaſſen habe, auf allge⸗ meine Dinge ſo weit einzugehen, als Herr Kollege Dr Liepmann es vorher getan hatte.