432 Sitzung vom 9. didaten würden im Falle ihrer Wahl dafür ein⸗ treten, daß der kleine Steuerzahler ent⸗ laſtet wird durch weitere Herauf⸗ ſetzung der Steuerfreiheit von 900 ℳ auf 1200 ℳ. Meine Herren, das ſchreiben die Liberalen in einem Flugblatt, obwohl ſie doch wiſſen müſſen, daß das nach dem Kommunalabgabengeſetz gar nicht zuläſſig iſt. (Zurufe bei den Liberalen: Wann war das?) — Ach ſo, Sie haben ſich erſt ſeit 2 Jahren ge⸗ beſſert. Gut, wenn Sie das zugeſtehen wollen. (Heiterkeit.) Aber ich zweifle daran, daß die Beſſerung eine vollkommene iſt. In einem Ihrer nächſten Flug⸗ blätter haben Sie noch, ich möchte ſagen, das Blaue vom Himmel herunter den Wählern er⸗ zählt. Auch dieſes Flugbiatt trägt die Unterſchriften von liberalen Stadtverordneten; ich will aber nicht weiter darauf eingehen, weil Sie ja behaupten, haß Sie von jetzt ab in Flugblättern nur die Wahr⸗ deit ſagen wollen. Vielleicht ſprechen wir uns ſpäter noch darüber. Nun, meine Herren, das Flugblatt, das heute zur Debatte ſteht, iſt ſo töricht, daß ich eigentlich nicht geglaubt hätte, daß irgendein vernünftiger Menſch darauf hineinfällt. Und die Verfaſſer des Flugblattes haben das wohl auch ſelber an⸗ genommen; denn ſie waren ſo vorſichtig, es nur den Wählern erſter und zweiter Klaſſe zuzuſchicken. (Große Heiterkeit.) Allerdings ſagen ſie in ihrem zweiten Flugblatt: „Wir haben ſoviel Hochachtung vor den Wählern der erſten und zweiten Klaſſe, um ihnen nicht Gedankenkun ſt ſt üſcke vorzumachen.“ Aber, Herr Kollege Liepmann, das war doch nur ironiſch gemeint. (Heiterkeit.) Im übrigen glaube ich ja, Herr Kollege Liepmann, daß Sie als verantwortlicher Redakteur der Flug⸗ blätter arg reingelegt ſind. Sie haben ſelbſt zu⸗ gegeben: das hat ein guter Freiſinniger geſchrieben, und Sie haben nur unterzeichnet. (Stadtv. Dr Liepmann: Nein!) — Ja, iſt Ihnen denn niemals der Gedanke ge⸗ kommen, daß ein guter freiſinniger Mann Ihnen da ein Kuckucksei ins Neſt gelegt hat, daß dies nichts war als ein Wahlmanöver? (Große Heiterkeit.) Nun verlangt Herr Kollege Liepmann noch, wir ſollten das Flugblatt ernſt nehmen. Ja, das Flugblatt konnten wir beim beſten Willen nicht ernſt nehmen. Ob wir den verantwortlichen Re⸗ dakteur ernſt nehmen ſollen — das muß jeder mit ſich ausmachen. Ich war geneigt, ihn ernſt zu nehmen, in der Erwartung, daß er poſitive Vor⸗ ſchläge machen würde. Aber, Herr Kollege Liep⸗ mann, was haben Sie geſagt? Sie haben geſagt: Sie werden keine Vorſchläge machen, denn durch den einen ſtoßen Sie dieſen und durch den anderen ſtoßen Sie jenen Wähler ab. Aber es gibt noch einen anderen Weg, und den könnten Sie von Ihren freiſinnigen Freunden lernen: er beſteht darin, daß man verſchiedene Vorſchläge macht durch den einen Vorſchlag gewinnt man die eine, durch den anderen die andere Gruppe. Wenn Sie dieſen Weg einſchlagen, dann werden Sie bald der Führer der Stadtverordnetenverſammlung ſein. (Heiterkeit.) November 1910 Vielleicht laſſen Sie ſich das Rezept von den Liberalen geben. Meine Herren, es iſt geſagt worden — ich weiß nicht, von wem, ich glaube, von Herrn Kollegen Liepmann —, der Magiſtrat hätte ja die falſchen Zahlen in der Preſſe durch den Preſſedienſt be⸗ richtigen können. Ich möchte dagegen ganz ent⸗ ſchieden proteſtieren, daß etwa der Magiſtrat während des Wahlkampfes ſich gegen Behauptungen in Flugblättern wendet. Bisher hat der Magiſtrat in die Wahlkämpfe nicht eingegriffen, (ſehr richtig 1) und ich wünſche nicht, daß es in Charlottenburg Brauch wird, daß der Magiſtrat aktiv eingreift. Wir würden, wenn ein ſolches Vorgehen ſtattfände, alles daran ſetzen, um die Ungültigkeit der Wahlen herbeizuführen. Nun, meine Herren, muß ich allerdings für Herrn Kollegen Liepmann um mildernde Um⸗ ſtände bitten. Herr Liepmann hat uns ja nach⸗ gewieſen, daß er langjähriger Abonnent oder jedenfalls langjähriger Leſer des Organs iſt, von dem er behauptet hat, daß es das Organ der liberalen Fraktion iſt, was aber die Liberalen beſtreiten. In Wirklichkeit gibt das Blatt nur immer zufällig die Anſchauungen wieder, die die Liberalen haben; ab und zu geſtattet es ſich auch Seitenſprünge. In dieſem Blatte ſtand — ich glaube, es war anläßlich der vorigen Wahl —: Die jetzige Leitung der liberalen Fraktion hat in wichtigen Fragen verſagt. Die Fraktion hat in ihrer Mehrheit eine Finanz⸗ politik befolgt, die auch wir nicht billigen, die Anleihewirtſchaft in einem ungerecht⸗ fertigten Maße gefördert uſw. Meine Herren, das iſt ganz dasſelbe, was Herr Kollege Liepmann in ſeinem Flugblatt geſagt hat. Die Behauptungen, die hier aufgeſtellt ſind, ſind tatſächlich nicht neu, und ich werde nachher noch beweiſen, daß wir uns früher in der Stadt⸗ verordnetenverſammlung mit ähnlichen Be⸗ hauptungen auch ſchon beſchäftigt haben. (Stadtv. Zander geht zur Saaltür.) — Herr Kollege Zander, bleiben Sie lieber hier! (Stadtv. Zander: Ich komme gleich wieder! — Heiterkeit.) Was nun das Flugblatt ſelbſt betrifft, ſo hat ja der Kämmerer bereits die Zahlen desſelben zerpflückt. Ich will das, was der Herr Kämmerer ausgeführt hat, nicht wiederholen; nur auf ſehr wenige Punkte möchte ich eingehen. Da wird in dem Flugblatt darauf hingewieſen, daß die Armenlaſten von Charlottenburg ſo ungeheuer angewachſen ſind; es wird ein Vergleich zwiſchen Schöneberg, Rixdorf und Charlottenburg gezogen. Die Zahlen, die in dem Flugblatt ſtehen, ſind an ſich durchaus richtig. Aber man darf doch nicht die bloßen Zahlen nebeneinander reihen, ſondern man muß zunächſt einmal ſehen, wie denn die Etats der einzelnen Gemeinden aufgeſtellt ſind. Meine Herren, ich kann einen Armenetat ſo auf⸗ ſtellen, daß ich eine recht hohe Belaſtung pro Kopf der Bevölterung herausrechne, und ich kann ihn ſo aufſtellen, daß die Belaſtung recht niedrig erſcheint. Wir haben ja in den amtlichen Nach⸗ richten der Armenverwaltung Mitteilungen über die Armenlaſten der deutſchen Städte über 100 000 Einwohner bekommen. In dem be⸗ treffenden Artikel iſt ausdrücklich darauf hin⸗