Sitzung vom 9. November 1910 gewieſen, daß alle dieſe Vergleiche nur einen ganz bedingten Wert haben. Es heißt da: Die eine Stadt rechnet zu den Armen⸗ ausgaben auch die Verwaltungskoſten oder die Beiträge an Wohltätigkeitsvereine, die andere nicht; die eine Stadt ſtellt in den Etat der Armenpflege auch Koſten für Säuglingsfürſorge ein, die andere nicht; die eine Stadt hat in Form alter Stiftungen Waiſenhäuſer und Hoſpitäler, die ihren Etat nicht belaſten, während die andere für gleich⸗ artige Anſtalten aus allgemeinen Mitteln erhebliche Summen aufzubringen ge⸗ zwungen iſt; die eine Stadt berechnet die Koſten der Verpflegung Armenkranker in ſtädtiſchen Anſtalten überhaupt nicht, die andere zu einem verhältnismäßig geringen Einheitsſatz für den Verpflegungstag, die dritte (ſo Charlottenburg) nach den wirklichen (in Charlottenburg 4,7 ℳ? für den Ver⸗ pflegungstag betragenden) Selbſtkoſten der ſtädtiſchen Krankenhäuſer; die eine Stadt verpflegt ihre Siechen in eigenen modernen koſtſpieligen Anſtalten, die andere benutzt dazu vorhandene Privatanſtalten mit niedrigen Pflegeſätzen; die eine Stadt bringt ihre armen Geiſteskranken für einen mini⸗ malen Satz in von der Provinz errichteten Anſtalten unter, die andere beſitzt eigene Irrenanſtalten, die weſentlich höhere Aus⸗ gaben erfordern. Ja, Herr Kollege Zander, wenn Sie ſich das durchgeleſen hätten, dann hätten Sie wenigſtens den Verfaſſern des Flugblattes geſagt — (Stadtv. Zander: Hören Sie mal, was wollen Sie von mir! — Heiterkeit) — alſo: Herr Kollege Liepmann, wenn Sie das durchgeleſen hätten, hätten Sie den Verfaſſer des Flugblattes gebeten, wenigſtens dieſen Paſſus ſtreichen zu dürfen; denn er trifft nicht zu. Und warum haben Sie vermieden, anzugeben, wieviel Armenlaſten andere Gemeinden pro Kopf der Bevölkerung haben? (Stadtv. Dr Liepmann: Weil es im Tageblatt nicht drin ſteht! — Große Heiterkeit. — Zuruf: Seine einzige Quelle!) — Leſen Sie doch die „Neue Zeit“! — Berlin hat 6,44 ℳ pro Kopf der Bevölkerung, alſo erheblich mehr als Charlottenburg, und dabei ſind in Berlin noch nicht einmal die Koſten für Verpflegung Armenkranker in ſtädtiſchen Krankenhäuſern ein⸗ gerechnet; wenn Sie die hinzurechnen, werden ſich die Koſten auf 9 bis 10 ℳ ſtellen. Einige andere Großſtädte haben auch höhere Ausgaben als Charlottenburg, ſo Leipzig 7,22 ℳ — Char⸗ lottenburg immer nur 5,88 ℳ —, Frankfurt a. M. 6,62 ℳ, Kiel 6,23 ℳ, Danzig 7,27 ℳd. Alſo Sie ſehen, daß die Koſten in Charlottenburg, ſoweit die Armenverwaltung in Betracht kommt, durch⸗ aus nicht höher ſind als in ähnlichen Großſtädten. Aber dann, Herr Kollege Liepmann, vergeſſen Sie eins ganz: daß Sie und Ihre Freunde ja eigentlich Schuld daran ſind, daß die Armenlaſten ſo gewaltig wachſen. Meine Herren, wer iſt es denn, der es verhindert, daß die Urſachen der Verarmung vermindert werden? Das ſind gerade Sie und Ihre Freunde! Ich erinnere an die Beſtrebungen der von Ihnen pouſſierten Haus⸗ und Grundbeſitzervereine. Ja, Herr Kollege Liepmann, iſt Ihnen denn nicht bekannt, daß 433 alle Maßnahmen zur Beſſerung der Wohnungs⸗ verhältniſſe gerade von jener Seite durchkreuzt werden, und iſt Ihnen ferner nicht bekannt, daß infolgedeſſen die Wohnungsmieten in Char⸗ lottenburg ſo geſtiegen ſind, daß wir nach den amtlichen Nachrichten pro Jahr ſchon ungefähr 100 ℳ mehr an Wohnungsmiete für laufend unter⸗ ſtützte Arme zu zahlen haben als unſere Nachbar⸗ ſtädte, als vielleicht Rixdorf? Rechnen Sie dieſe Summe ab, dann werden Sie zugeben, daß die Ausgaben für Arme bei uns verhältnismäßig ſogar noch geringer ſind als in anderen Gemeinden. Wenn Sie da Wandel ſchaffen wollen — vielleicht haben Sie auch dieſen poſitiven Vorſchlag nicht gemacht, um niemand vor den Kopf zu ſtoßen —, (Heiterkeit) dann wäre es angebracht, daß Sie dafür ſorgten, daß Maßnahmen ergriffen werden, die verhindern, daß ſoviel Leute der Armenverwaltung zur Laſt fallen. Aber ſtatt deſſen kommen Sie und machen ſogar Front gegen das Wohnungsamt, die einzige vernünftige Einrichtung, die ſeit langer Zeit in Charlottenburg getroffen iſt! Herr Kollege Liepmann behauptet in dem Flugblatt weiter, daß die Anleihen nicht zu wer⸗ benden Zwecken aufgenommen werden, ſondern zu 60 % zu unproduktiven Zwecken. Es fragt ſich nur, was man unter unproduktiven Zwecken verſteht. Der Begriff iſt nicht beſtimmt definierbar. Wenn es nach Herrn Kollegen Liepmann geht, gibt es überhaupt keine produktiven Ausgaben; ich glaube, Sie würden die Ausgaben für das Schulweſen auch noch nicht einmal zu den Aus⸗ gaben für produktive Zwecke rechnen. Sie ſprechen in dem Flugblatt von den Ausgaben für Be⸗ dürfnisanſtalten; in gewiſſem Sinne ſind auch die produktiv. Ganz unproduktiv iſt nichts auf der Welt, und man ſoll nicht mit ſolchen Flug⸗ blättern kommen, die alles, was die ſtädtiſche Verwaltung tut, in Grund und Boden verdammen. Wenn wir Ihnen auf dieſem Weg folgen würden, Herr Kollege Liepmann, dann würde wahrſcheinlich Charlottenburg bald überhaupt keine Einwohner zählen; denn die Stadt würde ſo ungeſund werden — Sie wollen ja nicht einmal dieſe notwendigen Einrichtungen haben — (Heiterkeit) die Stadt würde ſo ungeſund werden, daß alle Einwohner froh wären, wenn ſie erſt die gaſtlichen Tore Charlottenburgs hinter ſich hätten. Dann wird in dem Flugblatt weiter von einem fortwährenden Anziehen der Steuerſchraube ge⸗ redet. Ja, wo wird denn die Steuerſchraube fortwährend angezogen? Können Sie das wirklich mit gutem Gewiſſen ſagen, daß wir in Char⸗ lottenburg die Steuerſchraube fortwährend an⸗ ziehen? Vor vielen Jahren — ich glaube, vor 7 Jahren — iſt der Zuſchlag zur Einkommenſteuer um 3% erhöht, und weiter hat die Grundſteuer eine ganz geringe Erhöhung erfahren, eine Er⸗ höhung, die in gar keinem Verhältnis zu dem ſteht, was den Grundbeſitzern durch die Auf⸗ wendungen der Stadt zugefloſſen iſt. Da kann man ernſthaft nicht von einem Anziehen der Steuerſchraube ſprechen, ſelbſt dann nicht, wenn man behauptet, daß eventuell höhere Steuer⸗ zuſchläge notwendig werden — ich glaube Sie doch in dieſer Beziehung, Herr Kollege Liepmann, durchaus richtig verſtanden zu haben.