Sitzung vom 23. November 1910 ſchaft wieder aufgenommen werden. Dieſen Ein⸗ druck machte ſchon die Begrüßungsrede, und dieſer Eindruck verſtärkte ſich, als wir durch die Kolonie geführt wurden. — Ich will noch bewerken, daß bei der Aufnahme die Konfeſſion keinerlei Rolle ſpielt. Ob evangeliſch, ob katholiſch, ob jüdiſch, iſt ganz egal, es wird niemand gezwungen, den kirch⸗ lichen Andachten beizuwohnen, alles iſt freier Wille. Diejenigen, die dieſen Andachten, die täglich vor⸗ genommen werden, nicht beiwohnen, werden genau ebenſo behandelt wie die anderen, die es tun. Wir wurden nun etwa 2 Stunden durch die Obſt⸗ und Gemüſeplantagen hindurchgeführt, wir beſichtigten die Bewäſſerungsanlage, den Wind⸗ motor, das Sammelbaſſin, die Hühnerzucht, be⸗ ſuchten die Häuſer, die Stübchen, die Küche, die Spiel⸗ und Badeplätze — wir ſtaunten, daß es überhaupt möglich iſt, mit dieſen Arbeitskräften aus dieſer Sandöde, dieſem Sumpfland ein ſo fruchtbares Obſt⸗ und Gemüſeland hervorzurufen. Der Verein hat ca. 200 Morgen ödes Land bereits in Obſt⸗ und Gemüſeland verwandelt und etwa 20 000 Obſtbäume gepflanzt. An Erträgen ſind außer den Kartoffeln, dem Obſt und Gemüſe, das für die Kolonie ſelbſt gebraucht wurde, im Jahre 1909 2380 ℳ, bis Ende Oktober dieſes Jahres etwa 8000 ℳ erzielt worden. Die Erträge werden durch die weiteren Anlagen, die dort gemacht werden, ſteigen, und die Leiter der Kolonie hoffen, daß dieſe ſich in wenigen Jahren ſelbſt erhalten wird. Aber die Hauptſache iſt immer — das wieder⸗ hole ich —, daß den Koloniſten dort das Bewußt⸗ ſein gegeben wird, daß ſie mitſchaffen und nützen, und daß ihr Selbſtgefühl geweckt und gehoben wird. Ich bin überzeugt, daß ſelbſt diejenigen Teilnehmer an der Beſichtigung, die bei den früheren Be⸗ ratungen davon geſprochen haben, daß die Gelder, die für dieſe Kolonie bewilligt würden, vergeudet oder zum Fenſter hinausgeworfen wären, anderer Anſicht geworden ſind; denn wir waren alle faſt ausnahmslos von einer gewiſſen Begeiſterung für die Beſtrebungen, die dort gepflegt werden, erfüllt. Nun wurde der Einwand erhoben, daß dort eine Ausnutzung der Arbeitskräfte ſtattfinde, daß den Koloniſten dort viel zu wenig bezahlt wird. Ich gebe hiergegen zu bedenken, daß diejenigen, die dort hinkommen, höchſtens mit / oder d Ar⸗ beitskraft eingeſchätzt werden können, daß ſie unterernährt, durch Trunk und alle möglichen Laſter geſchwächt ſind, daß ſie einer ganz beſonderen Ver⸗ pflegung bedürfen, die ihnen auch dort zuteil wird, daß alſo eigentlich mit der Aufnahme und mit der Verpflegung die Arbeitsleiſtung ſchon in aus⸗ reichender Weiſe bezahlt wird. Dennoch bekommen die Leute noch einen kleinen Lohn, ſie bekommen, je nachdem, was ſie leiſten, noch 15 bis 50 Pf. täglich. Außer der Verpflegung und dem, was ſie dort an Naturalien bekommen, brauchen ſie aber abſolut nichts für ſich — vielleicht mit Ausnahme von Tabak —, und ſo kommt es, daß jeder, der entlaſſen wird, noch einen kleinen Betrag erhält, den er ſich erſpart hat, ſo daß er nicht mit ganz leeren Händen wieder hinausgeſtellt wird. Ferner wurde geſagt, daß durch eine derartige Beihilfe, die wir dieſem Verein geben, andere Wohltätigkeitsinſtitute vielleicht zu kurz kommen würden. Das iſt nicht der Fall. Soweit ich den Etatsberatungen und den ſonſtigen Beratungen hier beigewohnt habe, habe ich nie gefunden, daß bei den Verhandlungen über die Zuwendung von 463 Beträgen an Wohltätigkeitsinſtitute oder humani⸗ täre Anſtalten abgewogen wird: da wir dem einen Inſtitut oder Verein ſo und ſo viel gegeben haben, können wir dem andern nicht ſo viel geben. Wir haben noch immer die Beträge, mit denen wir dieſe Vereine unterſtützt haben, danach bemeſſen, was die betreffenden Vereine leiſten und was ſie für dieſe Leiſtungen nötig haben. Ich bitte daher, aus praktiſchen finanziellen. Rückſichten, die ich zuerſt erwähnt habe, ſowie aus humanitären und ethiſchen Gründen die Vorlage anzunehmen. (Bravo!) Stadtv. Zander: Meine Herren, auch ich bin der Überzeugung, daß die Bodelſchwinghſche Ein⸗ richtung eine ſegensreiche und gute Einrichtung iſt. Anders ſtehe ich aber zu der Bewilligung dieſer 10 000 ℳ. Ich ſage mir: das Hemd iſt mir näher als der Rock. Wir haben in Charlottenburg ſoviel Not und Elend, und wenn für unſere lokalen Wohltätigkeitseinrichtungen etwas bewilligt werden ſoll, heißt es gewöhnlich: dazu iſt kein Geld da —, ſo daß ich mir ſage: es iſt doch richtiger, wenn wir derartige Inſtitute dem Staate überlaſſen und dafür eintreten, daß der Staat dafür Gelder ver⸗ wendet, damit nicht die Städte ihre Gelder nach außen hingeben und für ſich ſelbſt nichts übrig haben. Ich würde mich aber bereit finden laſſen, eine kleine Summe zu bewilligen, wenn es durchaus und durchum nicht anders geht, und würde deshalb bitten, für die Sache einen Ausſchuß einzuſetzen. Vorſteher Kaufmann: Das Wort wird nicht weiter verlangt; ich ſchließe die Beſprechung. Ich bitte diejenigen, die der Magiſtratsvorlage gemäß dem Verein Hoffnungstal eine einmalige Beihilfe von 10 000 ℳ, die aus dem Dis⸗ poſitionsfonds zu entnehmen iſt, gewähren wollen, die Hand zu erheben. (Geſchieht.) Das iſt die Mehrheit. (Stadtv. Hirſch: Es war doch Kommiſſionsberatung beantragt!) — Ich bitte um Entſchuldigung, meine Herren, ich hatte das überhört. Ich werde nachträglich über dieſen Antrag abſtimmen laſſen, und bitte die Herren, die die Vorlage an einen Ausſchuß ver⸗ weiſen wollen, die Hand zu erheben. (Geſchieht.) Das iſt die Minderheit. Da die Annahme des An⸗ trags bereits beſchloſſen worden iſt, akzeptieren Sie wohl jetzt den Beſchluß von vorhin — oder ſoll ich noch einmal abſtimmen laſſen? (Wird verneint.) Der Antrag des Magiſtrats iſt alſo angenommen, und damit iſt dieſer Gegenſtand erledigt. Wir kommen zu Punkt 14 der Tagesordnung: Vorlage betr. Erweiterung des Rathanſes. Druckſache 318. 4 Bevor der Herr Berichterſtatter das Wort nimmt, noch eine Mitteilung: ich bitte die Herren