Sitzung vom 7. Dezember 1910 471 dem das Oberverwaltungsgericht geſprochen hat, und ſteht gewiſſermaßen auf dem Standpunkt, daß beſtand die Möglichkeit, daß die Wähler nicht zur Wahl kamen, weil ſie vergeblich die ihnen zuge⸗ ſagte ſchriftliche Einladung erwarteten, in dem unſrigen dieſelbe Möglichkeit, weil ſie ſich auf die falſchen Ausweiskarten verließen; in beiden Fällen ergibt ſich die Möglichkeit einer objektiven Irre⸗ führung der Wähler, die das Oberverwaltungsge⸗ richt in dem erſteren für unweſentlich erachtet mit der auch auf den zweiten anwendbaren Begrün⸗ dung, daß eben die Ausweiskarten keine Ein⸗ ladungen ſind, ſondern lediglich dem Wähler einen Ausweis geben; hiernach kommt es nur darauf an, daß die Berufung in Ordnung iſt, während es dem Wähler überlaſſen iſt, nachher etwaige Widerſprüche anderweiter Verlautbarungen gegen die Berufung ſelbſt zu prüfen. Die Mehrheit des Ausſchuſſes iſt ferner der UÜberzeugung geweſen, daß das Reſultat dieſer theoretiſchen Erwägung auch praktiſch nicht unge⸗ recht iſt, wenn man den vorliegenden Fall ins Auge faßt. Ihrer Meinung nach haben die Wähler wohl Beſcheid gewußt über den Termin der Wahl, nicht nur durch die amtliche ordnungsmäßige Be⸗ kanntmachung der Neuen Zeit, ſondern auch durch die vielfachen redaktionellen Nachrichten der Zei⸗ tungen, durch die den Wählern zahlreich zuge⸗ ſchickten Flugblätter, vor allen Dingen aber auch durch die amtlichen Plakate, die bis zum Wahltage an den Litfaßſäulen geſtanden haben. Zum min⸗ deſten waren dadurch die Wähler in der Lage, ſich über die tatſächlichen Verhältniſſe zu orientieren, wenn ſie die angemeſſene Sorgfalt beobachteten. Somit, meine Herren, empfiehlt der Ausſchuß, auch die Wahl im 5. Bezirk der III. Wählerabteilung und mithin alle ſtattgehabten Erſatzwahlen für gültig zu erklären. Stadtv. Hirſch: Meine Herren, wie der Herr Referent ausgeführt hat, iſt der von mir bereits geſtellte Antrag im Ausſchuß mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Trotzdem habe ich ihn wieder eingebracht, weil ich den Beſchluß des Ausſchuſſes für einen höchſt ungerechten und unhaltbaren erachte. Meine Herren, geſtatten Sie zunächſt ein Wort über die Bedeutung der Einladungen. § 23 der Städteordnung überläßt dem Magiſtrat, ob er die Wähler mittels ſchriftlicher Einladung oder durch ortsübliche Bekanntmachung zu der Wahl einladen will. Es iſt alſo, vorausgeſetzt, daß kein Gemeinde⸗ beſchluß vorliegt, in das Belieben des Magiſtrats geſtellt, wie er die Wähler einladet. Er kann es tun, wie er will, er kann es ſo tun wie bisher durch Bekanntmachung in den Lokalblättern und an den Anſchlagſäulen; er kann auch, wenn es ihm paßt, und wir nicht einen direkten Beſchluß in Gemein⸗ ſchaft mit ihm herbeiführen, für die nächſten Jahre eine andere Form wählen; er kann auch ſämtliche Wähler ſchriftlich mindeſtens 14 Tage vor der Wahl einladen. Das iſt alſo vollkommen in das Beliebeu des Magiſtrats geſtellt. Aber, meine Herren, was man vorausſetzen muß und was man vom Magiſtrat verlangen kann, das iſt, daß er, wenn er die Wähler einlädt, ſie rich t i g einlädt, ſelbſt wenn es ſich nur um angebliche Ausweiskarten handelt. Der Magiſtrat mißt, wie aus ſeiner ſchriftlich bei den Akten liegenden Antwort hervorgeht, der Einladung durch die Karten nur untergeordnete Bedeutung bei; er hält das für etwas Überflüſſiges, es eine Gefälligkeit iſt, die er den Wählern erweiſt, um ſie daran zu erinnern, daß ſie an dem und dem Tage zu wählen haben. Meine Herren, ich glaube, wir alle würden uns bedanken für eine ſolche Ge⸗ fälligkeit des Magiſtrats, die dahin führt, daß ein großer Teil der Wähler gar nicht den Tag weiß, wann er zu wählen hat. Es iſt nach meiner Meinung ganz unmöglich, ſelbſt wenn ſich die große Mehr⸗ heit des Ausſchuſſes auf dieſen Standpunkt ſtellt, daß ſich die Mehrheit der Stadtverordnetenver⸗ ſammlung auf denſelben Standpunkt ſtellt. Denn die logiſche Folge des von dem Herrn Referenten vertretenen Standpunktes wäre ja die, daß, wenn der Magiſtrat ſämtlichen Wählern von Char⸗ lottenburg falſche ſogenannte Ausweiskarten zugehen läßt, ſo daß kein einziger Wähler wüßte, wann denn nun eigentlich gewählt wird, und daß alle Wähler zu ganz falſchem Termin zur Wahl kämen, weil ſie durch die falſchen Ausweiskarten des Magiſtrats von einem falſchen Termin in Kenntnis geſetzt ſind, daß ſelbſt dann die Wahl für gültig würde erklärt werden müſſen. — Es freut mich, daß Herr Kollege Frentzel mir zuſtimmt. Sie ſtehen auf dem Standpunkt: der Magiſtrat kann machen, was er will, wenn nicht andere Verſtöße vorliegen, dann iſt die Wahl gültig. Meine Herren, eine eigen⸗ artige Logik! Vor dem geſunden Menſchenverſtand kann dieſe Logik unmöglich beſtehen. Das hieße einfach, dem Magiſtrat einen Freibrief ausſtellen, daß er alle möglichen Fehler machen kann; es würde heißen: dir wird verziehen — vorausgeſetzt, daß es nicht zum Nachteil der liberalen Fraktion ge⸗ ſchieht. Denn dann würde dem Magiſtrat der Kopf gehörig gewaſchen. Nun iſt der Mehrheit des Ausſchuſſes das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ſehr erwünſcht gekommen. Bevor ein Vertreter des Magiſtrats in dem Ausſchuſſe das Wort ergriffen hatte, waren ſich alle Mitglieder einig, daß die Wahl ungültig iſt, und da kommt der Magiſtrat mit einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das auf dieſen Fall gar nicht paßt. Hätte er irgendein beliebiges Urteil vorgelegt, das einen ganz andern Fall be⸗ trifft, ſo hätten Sie auch geſagt: Gott ſei Dank, daß wir uns auf ein Urteil des Oberverwaltungs⸗ gerichts berufen können. Das Urteil bezieht ſich auf einen ganz andern Fall; es handelt davon, daß die Wähler gar nicht zur Wahl eingeladen worden ſind, und ſagt dann: der Proteſt gegen die Wahl kann nicht auf die Unterlaſſung einer Ein⸗ ladung geſtützt werden. Ja, die Unterlaſſung einer Einladung iſt doch etwas ganz anderes als eine falſche Einladung. Ich wollte doch mal ſehen, wenn wir plötzlich eine Einladung vom Magiſtrat be⸗ kämen, daß am 4. die Wahl iſt, und wir würden dann am 4. zur Wahl gehen, und ſie hätte ſchon am 3. ſtattgefunden — ich wollte mal ſehen, was dann geſchehen würde! Der Wähler, der eine Ausweis⸗ karte bekommt, die die Unterſchrift des Magiſtrats trägt, glaubt, daß ſie richtig iſt, und fügt ſich dem, was er vom Magiſtrat gehört hat. Der Magiſtrat mißt nun der Einladung gar keine Bedeutung bei. Er meint, es handelt ſich hier nur um Ausweiskarten. Meine Herren, urſprünglich hat der Magiſtrat auf einem ganz andern Standpunkt geſtanden. In der Beant⸗ wortung des Proteſtes, die ſich bei den Akten be⸗ findet, läßt er zunächſt die rechtliche Bedeutung der Einladungskarten vollkommen beiſeite und gibt