474 Sitzung vom 7. Dezember 1910 auch meiner Anſicht nach auf dieſen Fall volle Auf Grund ſolcher ſpäter abgegebenen Erklärungen, Anwendung nicht finden kann. (Stadtv. Hirſch: Sehr richtig!) Wenn man ſich recht objektiv vor eine ſolche Sache ſtellt, dann iſt es doch entſchieden etwas ganz anderes, ob man eine Einladung überhaupt nicht bekommt, oder ob man eine amtliche Einladung zu einem falſchen Tage bekommt. Die Situation kann wohl durch andere Umſtände gemildert werden; an ſich iſt es etwas weſentlich anderes. Nun wird ge⸗ ſagt, die Liſte habe ja ausgelegen, ſo daß die be⸗ treffenden Leute imſtande geweſen ſeien, vor der Wahl nachzuſehen, in welcher Klaſſe ſie zu wählen haben. Der amtliche Hinweis darauf, in welcher Klaſſe man wählt, liegt ja in der Wählerliſte. Man muß alſo hingehen und nachſehen, in welcher Klaſſe man aufgeführt ſteht; dann weiß man es. Das tut aber im allgemeinen das Publikum nicht — ich habe es wenigſtens bisher nicht getan —, ſondern man wartet ab, bis man eine Karte vom Magiſtrat be⸗ kommt, auf der ſteht: du biſt Wähler der zweiten, dritten oder erſten Abteilung; danach richtet man ſich und wählt. In dieſem Falle iſt allerdings zu⸗ zugeben, daß die Betreffenden, um die es ſich hier handelt, vorausſichtlich gewußt haben, daß ſie Wähler der dritten Abteilung ſind und nicht der zweiten; aber ein Beweis dafür iſt natürlich ſchwer zu erbringen. Alſo das tatſächliche, wenn auch nicht das geſetzliche Fundament des Wahlaktes iſt für die meiſten dieſe ſogenannte Ausweiskarte. Wenn dieſe Karte nicht kommt, ſo kann man ſich aller⸗ dings nicht darauf berufen; wenn ſie aber kommt, wird ſie für die meiſten in der Hauptſache dafür beſtimmend ſein, wann man zur Wahl geht. Auf Grund dieſes Tatbeſtandes wür d e es meines Erachtens richtig ſein, die Wahl für ungültig zu erklären, ſofern die Zahl der Wähler, die eine falſche Karte bekommen ha⸗ ben, die Wahl um zuſtoßen ge⸗ eignet geweſen wäre. Dieſer Auffaſſung bin ich auch eigentlich. Die Zahl der Wähler, die eine falſche Ausweiskarte bekommen haben, über⸗ trifft in der Tat die Differenz der von beiden Seiten abgegebenen Stimmen; infolgedeſſen würde in aller⸗ erſter Linie die Wahl für ungültig zu erklären ſein. Es iſt ja nun von der ſozialdemokratiſchen Partei das nicht beantragt, ſondern es iſt vom Herrn Kollegen Hirſch vielmehr geſagt worden: wenn die Feſtſtellungen des Magiſtrats einen andern, einen amtlichen Charakter tragen und dasſelbe Reſultat ergeben würden, dann würde ſeine Fraktion für die Gültigkeit der Wahl ſein. Dieſen Standpunkt halte ich nicht für richtig. Wie hat es denn bei ſo und ſo vielen anderen Wahlen gelegen, z. B. bei Reichstagswahlen? Wenn dabei z. B. das Wahl⸗ lokal zu früh geſchloſſen wurde und infolge deſſen eine Anzahl Wähler nicht mehr in der Lage war, ab⸗ zuſtimmen —, ich glaube nicht, daß dann je feſt⸗ geſtellt worden iſt, wieviel Wähler wohl andern⸗ falls noch hingegangen wären, ſondern es iſt wohl lediglich feſtgeſtellt, wie viele noch hätten hingehen können. Ich halte eine ſolche nachträgliche Feſt⸗ ſtellung einer Willensmeinung für etwas ganz Un⸗ logiſches, ganz Ungeſetzliches. Was heißt denn das, wenn jetzt, an einem andern Tage, ein Arbeiter ſagt: ich wäre nicht zur Wahl gegangen! Die An⸗ ſichten der Menſchen ändern ſich von Tag zu Tag. Ich kann doch unmöglich heute ſagen, welche Willens⸗ meinung ich an dem und dem Tage gehabt hätte. mögen ſie noch ſo rechtlichen Charakter haben, zur Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Wahl zu kommen, iſt vielleicht praktiſch richtig, aber rein juriſtiſch und verwaltungsmäßig genommen doch gewiſſermaßen ein Unding. Ich weiß nicht, ob das Oberverwaltungs⸗ gericht dieſen Weg gegangen iſt oder ob es ihn in dieſem Falle gehen würde. Ich für meine Perſon würde alſo in erſter Linie für die Ungültigkeit der Wahl ſtimmen, und ich würde dem Antrage des Herrn Kollegen Hirſch nur aus dem Grunde beitreten, weil dadurch die Sache aufgeſchoben würde und ſich auf Grund des Reſultats eventuell noch die Ungültigkeit der Wahl ergeben könnte, trotzdem ich grundſätzlich gegen eine derartige Feſtſtellung bin. Stadtv. Zander: Ich muß meine Verwun⸗ derung über die Worte meines Herrn Vorredners ausſprechen. Er ſpricht von der juriſtiſchen Seite und daß ein Irrtum durch dieſe Sache erweckt worden iſt. Ich glaube, daß in den meiſten Städten des Deutſchen Reiches keine Karten geſchickt werden; wenigſtens geſchieht es in allen kleineren Städten nicht. Ich kann mir gar nicht denken, wie ein Wähler darauf kommen ſoll, daß dieſe Karte der alleinige Ausweis zur Wahl ſei, und daß ſie die einzig recht⸗ liche Gültigkeit habe. Mir iſt bei der Wahlhandlung in der zweiten Abteilung ähnliches paſſiert. Es waren unter den Karten ſolche von 1909, und als man mir eine ſolche Karte vorlegte und ſagte: die Wahl iſt ja 5 Tage ſpäter —, erwiderte ich, der ich mit ſolchen Sachen nie etwas zu tun gehabt habe: dieſe Karte hat doch gar nichts zu ſagen, ſie iſt doch nur eine Erleichterung für den Wahlvorſteher, damit er nicht erſt lange den Mietskontrakt oder ſonſtige Legitimationspapiere zu prüfen braucht. Ich bin niemals auf den Gedanken gekommen, daß dieſe Karte der einzige Ausweis für den Wähler ſein ſoll. Die Bekanntmachungen ſind nicht allein in der Zeitung erfolgt, ſondern auch an den Säulen und dann vor allen Dingen auch in den Flugblättern. Wenn die Herren von der ſozialdemokratiſchen Partei und leider auch mein verehrter Herr Kollege Stadthagen ſich auf einen andern Standpunkt ſtellen, ſo iſt mir das ganz unbegreiflich. Die Flug⸗ blätter, die in ſo großen Mengen hinausgegangen ſind und alle den Tag der Wahl bezeichnet haben, haben doch den Wählern auch geſagt, wann zu wählen ſei. Sollte der Charlottenburger Bürger nur einzig und allein auf dieſe Ausweiskarte ange⸗ wieſen ſein? Dann müßte vorgeſchrieben ſein, daß man ſie auch eingeſchrieben zugeſchickt erhält. Dieſe Karten gehen als Druckſachen für 3 Pf. Es kann doch niemand wiſſen, ob die Karten auch in die Hände der betreffenden gekommen ſind. Wieviel 3 Pfennig Druckſachen gehen wohl im Jahre verloren! Nur gegen Rückſchein würde dann die Zuſtellung er⸗ folgen dürfen, wenn der Magiſtrat die Gewißheit haben ſoll, daß jede Karte in die Hand des Wählers gelangt iſt. Deshalb kann ich mich nicht auf den Standpunkt ſtellen, daß die Wahleinladungskarten auf die Wahlgültigkeit Einfluß haben ſollen, und ich bitte, die Wahl für gültig zu erklären. Stadtv. Hirſch: Ich möchte nur meiner Ver⸗ wunderung Ausdruck geben, daß Herr Kollege Zander jetzt plötzlich damit kommt, daß auch auf den Flugblättern der Wahltermin angegeben war. Herr Kollege Zander, wenn man all den Unſinn glauben