Sitzung vom 17. Januar 1912 Städte Einrichtungen treffen, um an die Bevölkerung Nahrungsmittel unter dem Selbſtkoſtenpreis abzu⸗ geben. Ich kann mich begnügen, nur darauf hinzu⸗ weiſen: wenn eine Stadt das tun würde, wenn ſie an die Bevölkerung Nahrungsmittel unter dem Selbſt⸗ koſtenpreiſe abgeben würde, ſo würde ſich das auf die Dauer nicht halten laſſen, es würde wieder zur Er⸗ höhung von Steuern, zu ganz unhaltbaren Zuſtänden führen. Die Mehrheit der Deputation war überzeugt, daß die unter b enthaltenden Anträge auf Beſchaffung von Lebensmitteln und ihre Abgabe an die Bevölke⸗ rung nicht anehmbar ſeien, ſondern daß man ſich einſtweilen mit denjenigen Vorſchlägen begnügen müſſe, die Ihnen der Magiſtrat jetzt macht, die, wie ich nochmals hervorhebe, was ich bei Beginn meiner Ausführungen tat, ſelbſtverſtändlich nur als ſehr tleine Mittel angeſehen werden können, um die be⸗ ſtehende Teuerung zu lindern. Stadtv. Lehmann: Meine Herren, ich wage, zu behaupten, daß die Erledigung einer Vorlage wohl ſelten ein ſo groes Intereſſe bei der Bevölkerung ge⸗ funden hat wie im vorliegenden Falle, und zwar aus dem (Grunde, weil daran ſehr weite Kreiſe unſerer Bevölkerung intereſſiert ſind, weil von der Erledigung dieſer Vorlage abhängt, ob ein Notſtand geändert werden kann oder geändert werden ſoll, oder ob die Verhältniſſe bleiben ſollen, wie ſie ſind. Die Vorlage ſtützt ſich ja, wie der Herr Referent ſagte, auf die Beſchlüſſe der gemiſchten Deputation, die eingeſetzt iſt auf Grund eines Beſchluſſes der Stadtwerordnetenverſammlung vom 20. September, und zwar mit der Motivierung, daß die Deputation weitere Schritte zur Bekämpfung der Teuerung be⸗ raten ſolle, insbeſondere, ob nicht durch Vermittlung der Stadt ſelbſt ein billiger Bezug von Lebensmitteln, vor allem von Kartoffeln, Brot, Milch und Fleiſch, für die Bevölkerung möglich gemacht werden kann. In derſelben Sitzung hat die Stadtverordneten⸗ verſammlung auch den Maaiſtrat erſucht, bei den Reichs⸗ und Staatsbehörden vorſtellig zu werden, daß ſchleunigſt weitere Maßnahmen zur Milderung der Teuerung ergriffen werden ſollen uſw. uſw. Dieſem letzteren Beſchluſſe iſt der Magiſtrat inſofern nach⸗ gekommen, als er gemeinſam mit Vertretern von Berlin und den Vororten eine Eingabe an die Reichs⸗ regierung gemacht hat, die dem Wortlaut nach ja den Herren Kollegen von der Stadtverordnetenverſamm⸗ lung vorgelegt worden iſt. Nun kann man aber nach den tatſächlichen Zuſtänden nicht annehmen, daß von der Seite irgend etwas Durchgreifendes zu erwarten iſt, ſondern man hatte gewiſſermaßen die Pflicht und Schuldigkeit, ſein ganzes Augenmerk darauf zu richten, was denn nun, wenn jene Inſtanzen ver⸗ ſagen, ſeitens der Stadt geſchehen würde, was die Stadt tun würde, um der Kalamität, in welcher wir uns jetzt befinden, abzuhelfen. Auch die Preſſe hat ſich mit der Frage beſchäf⸗ tigt; Perſonen ſelbſt ſind an Stadtverordnete heran⸗ getreten und haben gefragt: Hören Sie mal, was iſt mit unſeren Anträgen? beſteht die Deputation, was macht ſie, was hat ſie bis jetzt aus der ganzen Geſchichte herausgeholt? Ja, was ſollte man den Leuten ſagen? Sache wird beraten, der Magiſtrat hat die Sache in Händen, vielleicht wird etwas Erſprießliches heraus⸗ kommen. Die Vorlage iſt gekommen, 8 Wochen, nach⸗ dem die Deputation zuletzt getagt hat am 17. No⸗ vember tagte ſie zum letztenmal, und ſeit der Zeit Man hat geſagt: Wartet nur, die 13 hat die Deputation keine Arbeit mehr geleiſtet, ſie hat ſich, trotzdem die Verhältniſſe nicht beſſer geworden ſind, im Gegenteil, noch ſchlechter, nicht mit weite⸗ ren Maßnahmen beſchäftigt, ſondern ſich auf das ver⸗ laſſen, was ſie bis dato erledigt hat: damit hielt man die Sache für abgetan. In der Vorlage iſt ausge⸗ drückt, daß die Deputation beſtehen bleiben ſoll, daß ſie weiter arbeiten ſoll. Damit ſind meine Freunde vollkommen einverſtanden. Aber wenn ſie ſo weiter arbeitet wie in den letzten 8 Wochen, dann können wir bis auf den Sanktnimmerleinstag warten, ehe über⸗ haupt etwas Erſprießliches herauskommt, (Stadtw. Hirſch: Sehr richtig!) und deshalb ſage ich: der Magiſtrat hätte alle Urſache gehabt, auch in der Zwiſchenzeit vom 17. November bis jetzt ſchon die Deputation zuſammenzurufen, um über weitere Maßnahmen zu beraten. Er hat es nicht getan, wahrſcheinlich in der Meinung, daß die Herren Kollegen in der Deputation mit den Arbeiten für die Reichstagswahlen über alle Maßnahmen angeſtrengt waren, und weil er die betreffenden Mitglieder ſchonen wollte. Das war eine ganz verkehrte Rück⸗ ſicht. Bei einer Sache, bei welcher der größte Teil unſerer Bevölkerung in Frage kommt, hätte man ſolche Rückſichten ruhig fallen laſſen und die Deputa⸗ tion zuſammenberufen ſollen, um ſie eben weiter ar⸗ beiten zu laſſen. Meine Herren, meine Freunde können ſich doch der Befürchtung nicht erwehren, daß ſchließlich die Schöpfer dieſer Vorlage, die uns momentan vorliegt, ſich in ihrer Anſicht über die Teuerung in der Zeit, ſeit die Deputation eingeſetzt iſt, bis jetzt, geändert haben, gemauſert haben, und zwar nach der Richtung hin, daß man annimmt, daß kein Notſtand mehr be⸗ ſteht, und daß keine Teuerung mehr vorhanden iſt. Das, meine Herren, leſe ich auch aus der Vorlage ſelbſt. Darin ſteht eine Wendung, daß infolge gün⸗ ſtiger Arbeitsverhältniſſe die Teuerung einen eigent⸗ lichen Notſtand nicht herbeigeführt hätte. Und weiter entnehme ich das daraus, daß die Vorſchläge nicht ſo ausgefallen ſind, wie ſie nach den Erwartungen, die man auf ſie geſetzt hat, eigentlich hätten ausfallen müſſen. Ich widerſpreche ohne weiteres, daß die Ar⸗ beitsverhältniſſe ſich ſeit der Zeit, als die Deputation eingeſetzt worden iſt, ſo gebeſſert haben, daß ſie ſo ünſtig geworden ſind, daß man nicht davon reden ann, daß ſie keinen Notſtand herbeigeführt hätten. Ich ſtehe auf dem Standpunkt, aus perſönlicher Er⸗ fahrung, daß wohl in manchen Gewerben zur Weih⸗ nachtszeit eine Nachfrage nach Arbeitskräften vor⸗ handen geweſen iſt, daß aber im Baugewerbe und in anderen Betrieben, die zum Teil vom Baugewerbe abhängig ſind, eine übergroße Arbeitsloſigkeit ge⸗ weſen iſt, und daß jetzt nach Weihnachten, nachdem die Saiſon vorüber iſt, wieder ſehr viele Leute, die bis dato beſchäftigt waren, auf die Straße geworfen ſind. Man hätte alſo alle Urſache gehabt, doch etws anders vorzugehen. 7 Und nun, meine Herren, ſtehe ich weiter auf dem Standpunkt, daß wir bei den Verhältniſſen, wie ſie heute beſtehen, ſo weit ſein müßten, um irgend welche Maßnahmen doch in die Hand zu nehmen. Jetzt kommen wir aber erſt her und beraten noch über eventuelle Maßnahmen, die wir zu ergreifen gedenken. Ich meine, die Vorarbeiten müßten ſchon ſo weit ab⸗ geſchloſſen ſein, daß am heutigen Tage oder von morgen ab etwas geſchehen könnte, daß wir nach außen hin etwas zeigen und ſagen könnten: wir haben unſere Schuldigkeit getan, das bieten wir euch, mehr