Sitzung vom 17. Januar 1912 lich im ganzen Jahre nur eine Portion auf eine Seele, und daß das eine durchgreifende Maßnahme iſt, da⸗ von kann nicht die Rede ſein. Meine Herren, für die Maßnahmen, die der Ma⸗ giſtrat uns vorſchlägt, werden 21 000 ℳ gefordert. In einer Stadt, die 320 000 Seelen zählt, ſtellt man Anträge auf Bewilligung von 21 000 ℳ zur Milde⸗ rung der Folgen der Teuerung! Das iſt eine ganz geringfügige Summe, die von anderen Städten weit überholt worden iſt. 3. B. Halle, Erfurt, Gelſen⸗ kirchen haben 50 000 ℳ dafür eingeſetzt, Chemnitz hat 80 000 ℳ eingeſetzt. Das ſind Summen, mit denen ſich unter Umſtänden etwas anfangen laſſen wird, mehr jedenfalls als mit 21 000 ℳ, die hier für außer⸗ ordentliche Maßnahmen eingeſtellt werden ſollen. Ich will ja zugeben, daß in anderen Reſſorts, wie Armenpflege und Schülerſpeiſungen, noch Summen in Frage kommen; dieſe Einrichtungen haben aber die genannten Städte ſchließlich auch. Mit dieſen 21 000 ℳ will man die ganze Situation retten. Das iſt zu gering, man muß zu ganz anderen Maßnahmen greifen. Ich behaupte: wenn wir die Situation in Charlottenburg retten wollen, dann müſſen wir neben den vorgeſchlagenen Maßnahmen noch den Einkauf von Lebensmitteln und den Vertrieb von vornherein ſelbſt in die Hand nehmen. Meine Freunde haben deswegen den Antrag eingebracht, der vorhin ver⸗ leſen wurde. Hätten wir früher ſchon ſolchen Beſchluß gefaßt, dann hätten wir der Bevölkerung jetzt ein ganz Teil weiter geholfen. Meine Herren, hätten wir nur Kartoffeln gekauft! Sie ſind ja kein ideelles Nahrungsmittel; aber unſere Bevölkerung iſt daran gewöhnt, betrachtet ſie als Nahrungsmittel und kann ohne Kartoffeln nicht fertig werden. Hätten wir früher Kartoffeln gekauft, dann könnten wir jetzt unſerer Bevölkerung ſehr viel Geld erſparen. Heute koſten 10 Pfund Kartoffeln 65 5, und Sie werden zugeben, daß in manchem Haushalt in der Woche mindeſtens ein halber Zentner konſumiert wird. Hätte die Stadt vorſorglich Kartoffeln eingekauft, dann würden ſolche Familien durch den billigen Be⸗ zug jetzt vielleicht 1 ℳ die Woche daran erſparen fönnen. Das iſt aber nicht geſchehen, und wir müſſen uns mit der Sache abfinden. Der Magiſtrat ſagt in der Vorlage: wir können nicht Lebensmitel einkaufen, weil die Schwierigkeiten zu groß ſind; und er ſagt ein andermal, es lohne nicht, weil der materielle Vorteil, den die Familien daraus ziehen würden, nicht in die Wagſchale falle. Das hat auch der Referent, Herr Kollege Wöllmer, ausgeführt; er meinte, jede Familie würde im Laufe des Jahres an Kartoffeln ein paar Mark ſparen. Ferner iſt darauf hingewieſen worden, daß man in anderen Städten ſchlechte Erfahrungen damit gemacht habe. Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß ange⸗ ſichts der dargelegten Umſtände, die dagegen ſprechen, die Deputation es nicht für nötig hielt, die Frage be⸗ ſonders zu erörtern, ob ſtädtiſche Ein⸗ und Verkaufs⸗ einrichtungen einen Eingriff in die Privattätigkeit von Einwohnern der Stadt bedeuten. Herr Kollege Wöllmer ſagte: das war nicht der einzige Grund, auch ſoziale Bedenken haben die Deputation davon abgehalten, dem Ankauf von Lebensmitteln zuzu⸗ ſtimmen; ſoziale Bedenken, Rückſicht auf einen Teil unſerer Bevölkerung haben die Deputation abge⸗ halten, dem von der ſozialdemokratiſchen Fraktion geſtellten Antrage beizutreten. Das ſcheint meines Erachtens das ausſchlaggebende Motiv geweſen zu ſein. Inwieweit die Argumente durchſchlagend ſind, will ich nun kurz erörtern. 15 Ich will vorausſchicken, daß wir unſern Antrag nach reiflicher Ueberlegung eingebracht haben. Wir haben uns den Antrag nach allen Seiten hin über⸗ legt und haben ihn in dem Bewußtſein eingereicht, wirklich etwas Gutes für die geſamte und beſonders für die arme Einwohnerſchaft Charlottenburgs zu ſchaffen. Wir haben uns geſagt: mit den vorge⸗ ſchlagenen Maßnahmen kann man nicht auskommen, wir wollen ein Radikalmittel anwenden und wollen das tun, was bereits in anderen Städten geſchehen iſt, wollen wirklich etwas ſchaffen, was für die Ein⸗ wohnerſchaft große Vorteile hat. Wir haben auch darauf hingewieſen, daß dadurch, daß wir den Ein⸗ kauf von Lebensmitteln in die Hand nehmen, eine Preisregulierung bei einigen Nahrungsmitteln ſtatt⸗ finden wird, die doch von dem Zwiſchenhandel ge⸗ wiſſermaßen etwas wucheriſch erfaßt werden. Inwie⸗ weit das zutrifft, werde ich nachher noch kurz erörtern. Ich will aber noch ausdrücklich bemerken, daß wir nicht deshalb den Antrag geſtellt haben, weil der Landwirtſchaftsminiſter erklärt hat, daß der Zwiſchen⸗ handel die Hauptſchuld an der Teuerung hat, und daß die Städte dieſen zum Teil ausſchalten müßten, ſon⸗ dern weil wir der Anſicht ſind, daß die Verwirklichung unſeres Antrages die durchgreifendſte Maßnahme wäre. Wirkt der Kleinhandel auch verteuernd, ſo wiſſen wir aber doch, daß die grundlegenden Urſachen ganz andere ſind. Ich gebe zu, meine Herren, daß Schwierigkeiten vorhanden ſind. Wir haben aber doch in Charlotten⸗ burg ſchon ganz andere Probleme gelöſt, und ich habe auch das Zutrauen zur Stadtverwaltung, daß ſie, falls die Einrichtung beſchloſſen werden ſolllte, den richtigen Weg zu finden wiſſen wird. Man ſollte nur Mut faſſen, nur an das Werk herangehen; wenn man das täte, hätte man ſchon halb gewonnen. Man ſollte ſich in Charlottenburg nicht von anderen Ge⸗ meinden überflügeln laſſen! Andere Gemeinden ſind in der Beziehung ſchon weiter vorgegangen, ſie haben darin mehr getan. Ich will nicht viele Beiſpiele an⸗ führen, was getan worden iſt; ich will nur darauf hinweiſen, daß z. B. Ulm mit einer Genoſſenſchaft Verträge abgeſchloſſen hat, wonach die Genoſſenſchaft der Stadt Schweine und anderes Vieh zu liefern hat; und daß in Zukunft eventuell auch Rindfleiſch, Milch u. a. von der Genoſſenſchaft bezogen werden ſollen. Das ſind Wege, die andere Städte gegangen ſind. Ich will keine weiteren Beiſpiele anführen; wenn es verlangt werden ſollte, werde ich nachher darauf zu⸗ rückkommen. Ich ſage alſo: die Schwierigkeiten ſind zu überwinden, nachdem uns andere Städte den Weg gezeigt haben. Man muß die Schwierigkeiten nicht ſcheuen, ſondern ihnen zu Leibe gehen und wirk⸗ lich einen Verſuch machen. Nun iſt geſagt worden, daß die Deputation nicht nötig hatte, ſich eingehend mit der Frage zu beſchäf⸗ tigen, daß die Einrichtung von ſtädtiſchen Ein⸗ und Verkaufsſtellen einen Eingriff in die Erwerbstätigkeit der Einwohner bedeute. Das iſt das ſoziale Beden⸗ ken, das Herr Kollege Wöllmer angeführt hat. Ich ſage: gewiß, es bedeutet einen Eingriff in die Er⸗ werbstätigkeit einzelner Einwohner; ich glaube aber, daß dieſer Eingriff lange nicht die Folgen haben wird, wie ſie hier dargeſtellt ſind. Vielleicht wird ſich der eine oder andere Gewerbetreibende durch eine ſolche Maßnahme geſchädigt fühlen; wenn wir jedoch keine weiteren Maßnahmen ergreifen, als vorgeſchlagen ſind, dann kann ſich noch ein bedeutend größerer Teil unſerer Einwohner aeſchädigt fühlen. Der kleinen Maſſe der Händler ſteht die große Maſſe der not⸗