Sitzung vom 17. Januar 1912 Uum Ihnen kurz einige Daten zu geben, auch in Erwiderung auf das, was Herr Lehmann hinſichtlich der minimalen Einwirkung einer ſolchen Hallenein⸗ richtung ſagte, möchte ich hier anführen, daß im vorigen Jahre ſeitens der Volks⸗Kaffee⸗ und Speiſe⸗ hallen⸗Geſellſchaft in Berlin 1½ Millionen Por⸗ tionen warmes Eſſen im Preiſe von 5 bis 40 „ ab⸗ gegeben worden ſind, über 1 Million Stullen, beinahe 1 Million Taſſen Kaffee uſw. Sie ſehen alſo, die Einwirkung, die durch Errichtung einer ſolchen Halle hier geſchehen könnte, iſt nicht ſo niedrig zu tarieren, wie es Herr Kollege Lehmann tut. Ich möchte mich dann gegen eine Behauptung des Kollegen Lehmann wenden, die dahin ging, daß die Löhne im Verhältnis zur Steigerung der Lebens⸗ mittel nicht gleichen Schritt gehalten haben. Das iſt unrichtig. Ich kann dem Kollegen Lehmann eine genaue Statiſtik geben und bin bereit, ſie ihm morgen zuzuſenden, worin hinſichtlich jedes einzelnen Jahres und verſchiedener Städte und Gewerbe nachgewieſen iſt, daß die Löhne ſich um ein ganz Bedeutendes im Verhältnis zu dem Preiſe der Lebensmittel erhöht haben. Meine Herren, auch wir haben die wärmſten Sympathien für diejenigen Kreiſe, die bei der jetzigen Teuerung beſonders in Mitleidenſchaft gezogen ſind. Aber die Not, die der Kollege Lehmann geſchildert hat, bei kinderreichen Familien, in denen nicht viel verdient wird, beſteht dort auch in ſolchen Jahren, in denen keine beſondere Teuerung herrſcht. Danach würde ſich auch der Antrag der Kollegen Lehmann und Genoſſen, der doch auf Einführung einer gewiſſen kommuniſtiſchen Wirtſchaftsweiſe gerichtet iſt, ohne Rückſicht auf die herrſchende Teuerung rechtfertigen. Demgegenüber ſtellen wir unſere prinzipiellen Be⸗ denken voran. Wir fürchten, wie ſchon der Herr Vor⸗ redner geſagt hat, daß die Herren von Ihrer Fraktion (zu den Sozialdemokraten) für Durchführung ihrer auf Durchlöcherung unſerer Wirtſchaftsmethode ge⸗ richteten Pläne darauf fußen würden, daß in einem beſondern Falle ein derartiges Mittel angewendet worden ſei. Dies wollen wir nicht, weil es geeignet iſt, uns in die kommuniſtiſche Wirtſchaftsweiſe hin⸗ überzuführen und was ich beſonders betone unſeren Gewerbetreibenden Konkurrenz und Schaden zuzufügen. Deshalb kann ich mich nicht entſchließen, den Anträgen des Herrn Kollegen Lehmann beizn⸗ treten, werde aber für die Anträge, wie ſie der Ma⸗ giſtrat zu 1 und 3 bis 5 vorſchlägt, ſtimmen. Stadtrat Dr. Gottſtein: Meine Herren! Nach⸗ dem die Vertreter der drei Parteien ſich zur Ma⸗ giſtratsvorlage geäußert haben, bin ich in der Lage, diejenigen Einwände, die hier erhoben worden ſind, und deren Zahl ja verhältnismäßig gering war, zu beſprechen und mich zu äußern. Zunächſt möchte ich Herrn Stadtv. Lehmann er⸗ widern, daß wir in dem einen Hauptpunkte ja alle einig ſind: es beſteht eine Teuerung. Gerade der Herr Oberbürgermeiſter hat im September ſchon aus⸗ führlich auseinandergeſetzt, wie bedauerlich eine ſolche Teuerung für die Volksvermehrung iſt, und wie man ernſtlich bemüht ſein ſoll, Maßnahmen zu überlegen, um ihr entgegenzuwirken. Das iſt der Hauptpunkt; in dieſem ſind wir einig. In einem andern Punkte beſteht eine grund⸗ ſätzliche Verſchiedenheit, einem Punkte, den Herr Stadtv. Lehmann für unweſentlich, den ich aber für ſehr weſentlich halte. Herr Stadtv. Lehmann ſteht auf dem Standpunkt: wenn man ein Uebel feſtgeſtellt hat, kennt man auch die Urſachen, und wenn man die 19 Urſachen kennt, müſſen immer Mittel vorhanden ſein, um ſie zu beſeitigen. Das trifft leider in den allermeiſten Fällen nicht zu. Das Uebel beſteht; die Urſachen ſind uns in ihrer Kompliziertheit durchaus nicht vollkommen klar. Und ſelbſt wenn das wäre, ſo behaupte ich mit dem Herrn Berichterſtatter, daß wir bei der augenblicklichen Lage gar nicht die Möglichkeit haben, die Notſtände ſofort zu be⸗ ſeitigen. Man muß ſtreng unterſcheiden zwiſchen Notſtandsmaßnahmen und Maßnahmen zur dauern⸗ den Beſeitigung von Uebelſtänden, welche die Not⸗ ſtände ſteigern. In der gleichen Lage befinden wir uns. Die akuten Notſtände können wir nur durch ſumptomatiſche Mittel einigermaßen lindern. Wenn wir dauernd die Mißſtände, die durch die Nahrungsmittelteuerung in der Tat hervorgerufen ſind, einſchränken wollen, ſo müſſen wir in Zeiten der Ruhe überlegen, Maßnahmen planen und lang⸗ ſam vorbereiten. Ueberſtürzte Maßnahmen, wie ſie von Herrn Stadtv. Lehmann diesmal vorgeſchlagen ſind, würden mit Notwendigkeit ſcheitern. Herr Stadtv. Lehmann hat weiter zur Stütze ſeiner Ausführungen eine Reihe von Gründen an⸗ geführt, die von Herrn Stadtv. Meyer ſchon wider⸗ legt worden ſind, auf die ich, trotzdem ich mir Notigen gemacht habe, nicht nötig habe, einzeln einzugehen: nur in einem Punkte möchte ich ihm ganz entſchieden widerſprechen. Er kennt die Vorlage ſehr genau, hat ſie ſehr genau durchgeleſen und ſagt: der Magiſtrat, von der augenblicklich beſtehenden Teuerung unter⸗ richtet, gewann die Anſicht, daß eine Teuerung nicht beſtände. Er ſchiebt uns unter, daß wir einen Notſtand dauernd geleugnet hätten. Er hat eben die weiteren Sätze, die in der Vorlage ſtehen, nicht mitgeleſen, ſo daß ein ganz anderer Sinn dadurch herausgekommen iſt und eine Anſchuldigung gegen uns, als ob wir nach der achtwöchigen, durch andere Urſachen bedingten Pauſe weitere Maßnahmen über⸗ haupt nicht beraten und von der ganzen Sache zurück⸗ treten wollten, weil wir die Notlage nicht als vor⸗ handen anerkennen. Auf die anderen Ausführungen des Herrn Stadtv. Lehmann will ich nicht weiter eingehen, auf die zahlreichen Zeitungsnotizen, die er uns vorgeleſen hat, und bei denen er uns nicht mitgeteilt hat, ob die Maßnahmen zu einem Erfolge oder Mißerfolge ge⸗ führt haben. Ich möchte nun auf die Einwände, die die anderen Herren gemacht haben, näher eingehen. Erſtens iſt beantragt worden, die Worte „für die minderbemittelte Bevölkerung“ zu ſtreichen. Nach den Erfahrungen, die wir mit den Fiſchkurſen ge⸗ macht haben, wird es keinen großen Unterſchied machen, ob das Wort drin ſteht oder nicht. Wir halten aber an dem Wort doch feſt, weil wir eine Maßnahme geplant haben, die in erſter Linie der minderbemittelten Bevölkerung zugute kommen ſoll. Das braucht alſo gar nicht verſchwiegen zu werden. Wenn die Worte wegfallen, ändert das an dieſer Ab⸗ ſicht nichts. Nun wollen Sie in Punkt 2 die Beſchaffung von Reis ablehnen. Wenn dieſe Maßnahme wegfällt, können wir es nicht ändern. Wir würden es aber bedauern müſſen. Wir ſind ja allerdings nach wie vor in der Lage, für den Reis Propoganda zu machen, und zwar bei Gelegenheit der geplanten und ſchon weit vorbereiteten Kochkurſe. Herr Stadtv. Lehmann ſagte, wir hätten noch gar nichts getan, heute würde noch immer beraten. Wenn dieſe Anträge ange⸗