Sitzung vom 17. Januar 1912 für die Verbilligung anderer Nahrungsmittel zu ſorgen. Ich werde deshalb für alle Punkte ſtimmen, auch für Punkt 2. Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: Meine Herren, ich möchte mir noch erlauben, eine Lanze für den Reis einzulegen. (Bravo!) Vielleicht iſt es möglich, daß doch die Majorität der Stadtverordnetenverſammlung den Magiſtratsvor⸗ ſchlägen zuſtimmt. Meine Herren, es iſt eine bekannte Tatſache, daß die arbeitende Bevölkerung unſeres Volkes leider nicht genügend aufgeklärt iſt über die Frage, welche Materialien man am beſten und zweckmäßigſten zur Nahrung des Menſchen verwendet. Wir leben in alten Traditionen, die nicht immer richtig ſind, und es iſt bei dem konſervativen Charakter, den der nord⸗ deutſche Arbeiter hat (Heiterkeit und Hört, hört!) — trotzdem er vielfach ſozialdemokratiſch wählt, meine Herren —, (Heiterkeit) erklärlich, daß man in alten Irrtümern forttrottet und ſich nicht aufrafft zu neueren und verſtändigen Mitteln für die Ernährung des Volkes, über die wir durch die Wiſſenſchaft belehrt werden. Auch ein zweiter Mißſtand beſteht bei uns: ge⸗ rade in den Arbeiterkreiſen der großen Städte — auch für das Land trifft das zu — verſtehen die Frauen meiſtens nicht, zweckmäßig zu kochen, (Sehr richtig!) ſie verſtehen die Nahrungsmittel, die ihnen zur Ver⸗ fügung ſtehen, nicht ſo zu behandeln, daß wirklich die Nährwerte daraus in wirtſchaftlicher und zweckmäßi⸗ ger Weiſe herausgezogen werden und den Familien⸗ angehörigen zugute kommen. Das iſt eine Tatſache, meine Herren, die leider für die minderbemittelten Schichten unſeres Volkes feſtſteht. Beim Reis kommt nun hinzu, daß er bei uns faſt ganz unbekannt iſt, und das trifft nicht nur zu für minderbemittelte, ſondern auch für wohlhabende Kreiſe, wie Sie aus den Ausführungen des Herrn Zander erſehen haben. Herr Zander iſt kein Reis⸗ eſſer, wie es ſcheint (Stadtv. Zander: Ein großer!) — das habe ich wenigſtens aus ſeinen Ausführungen entnommen —; er ſcheint auch in einem Vorurteile gegen den Reis befangen. Meine Herren, um dieſem Vorurteil, das ſehr weit verbreitet iſt, entgegenzu⸗ treten, ſchlägt Ihnen der Magiſtrat vor, einen Ver⸗ ſuch mit einer Propaganda für die Reisnahrung zu machen. Merkwürdigerweiſe will Herr Zander das auch, Propaganda für die Reisnahrung will er auch machen; aber die Mittel, die wir vorſchlagen, lehnt er ab. Das ſcheint mir ein Widerſpruch in ſeinen Ausführungen zu ſein. Meine Herren, daß die Kartoffel kein glän⸗ zendes Nahrungsmittel iſt, ſollte feſtſtehen. (Sehr richtig!) 21 Wer einen Zentner Kartoffeln bezahlt, meine Herren, bezahlt darin 60 % Waſſer, 782 (Stadtv. Zander: 78 !) und nur die übrigen 40 beſtehen mehr oder weniger aus Stoffen, die zur Nahrung geeignet ſind, nament⸗ lich Stärkemehl. (Zurufe und Unruhe.) Vorſteher⸗Stellv. Dr. Hubatſch: Meine Herren, ich bitte, ſich mehr durch Zeichen als durch Worte unterhalten zu wollen. (Heiterkeit.) Oberbügermeiſter Schuſtehrus (fortfahrend): Der Kartoffelgenuß bringt durch die Füllung des Magens im Augenblick ein Sättigungsgefühl hervor, das aber nicht vorhält. Er führt dem Körper nicht die Nahrungsſtoffe zu, die man auch bei Aufnahme eines geringeren Volumens von Nahrungsmitteln (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Fleiſch!) dem Körper doch zuführen kann, die die Körperkraft wirkſam fördern. Die Kartoffel iſt bei uns in Nord⸗ deutſchland verbreitet, meine Herren; in Süddeutſch⸗ land wird ſie ſchon ſehr wenig gegeſſen. In Süd⸗ deutſchland ißt man viel mehr nahrhaftere Sachen, wie z. B. Mehlſpeiſen. Dieſe Ernährungsweiſe dehnt ſich auch bis hinunter nach Italien aus. Der Reis aber, meine Herren, iſt das wertvollſte Nahrungsmittel von 800 Millionen Menſchen auf der Erde. Wenn 800 Millionen Menſchen auf der Erde zu dieſem Nahrungsmittel als Hauptnahrungsmittel greifen, dann ſollten wir uns doch überlegen, ob man nicht verſuchen ſollte, auch unſerem Volke dieſes gute Nahrungsmittel zuzuführen. Es wird von den Leuten, die über dieſe Dinge beſſer orientiert ſind als ich, und denen ich nur nachſpreche, geſagt, es ſei falſch, daß der Reis teurer ſei als die Kartoffel, wenn man den Nährwert des Reiſes in Verhältnis ſetzt zu dem Nährwert der Kartoffel. Auch die Zubereitung des Reiſes iſt nicht teurer als die Zubereitung der Kar⸗ toffel, wie aus Rezepten hervorgeht, die aufgeſtellt ſind, und die hier zur gefälligen Einſicht und Nach⸗ ahmung vorgelegt werden. Nun, meine Herren, wird gegen den Verſuch, den wir machen wollen, noch vorgebracht, daß er eine Schädigung der Gewerbetreibenden bedeute. Ich glaube, diejenigen Herren, die das ſagen, ſind ſich doch nicht ganz klar geworden über das, was wir wollen. Wir wollen ja nur eine Propaganda für den Reis machen, indem wir Rezepte aufſtellen und Druck⸗ ſachen verteilen über die Zubereitung des Reiſes, und indem wir Proben des Reiſes zur Verfügung ſtellen, und zwar zu denjenigen Preiſen, zu denen er im Großhandel zu haben iſt. Meine Herren, mit den 7500 ℳm für den Waggon Reis, den wir zum Zwecke dieſer Propaganda beziehen wollen, können wir unmöglich den Gewerbetreibenden Konkurrenz machen. Im Gegenteil, meine Herren, wenn der Ver⸗ ſuch Erfolg hat, dann werden weitere Schichten unſerer Bevölkerung von den Gewerbetreibenden Reis be⸗ ziehen, was ſie bisher nicht taten, und für die Folge werden unſere Gewerbetreibenden davon ſogar einen Vorteil, nicht einen Nachteil haben. Immerhin, meine Herren, dürfte ein Verſuch auch von denjenigen Herren gemacht werden können,