22 die dieſer Frage ſkeptiſch gegenüberſtehen. Ein Ver⸗ ſuch kann nichts ſchaden, er kann nur nützen. Ich möchte doch bitten, einen ſolchen Verſuch zu unter⸗ nehmen auch in Hinblick auf das, was Herr Stadtrat Gottſtein vorhin ausführte, indem er ſagte: wir müſſen dafür Sorge tragen, daß wir für die Zukunft ſolchen Kalamitäten, wie ſie zurzeit vorliegen, ge⸗ wachſen ſind. Und wenn geſagt wird, der Reis ſei bei unſerer Bevölkerung nicht beliebt, ſo weiſe ich auf die Seefiſchnahrung hin. Meine Herren, Seefiſche ſind früher bei unſerer Bevölkerung auch nicht beliebt worden, man hat ſie auch nicht gegeſſen; in dieſem Jahre aber und im vorigen Jahre ſchon iſt zu den Seefiſch⸗Verkaufsſtänden ein großer Andrang geweſen. Der Umſtand, daß wir die Bevölkerung belehrten, wie ſie die Seefiſche zu bereiten hätte, damit ſie ſchmackhaft ſind, hat ſomit Erfolg gehabt. Das iſt doch etwas Gutes, das wir durch unſere Verſuche herbeigeführt haben. Dasſelbe, was auf dem Gebiete der Seefiſchnahrung eingetreten iſt, kann auch auf dem Gebiete der Reisnahrung eintreten, und aus dieſem Grunde bitte ich Sie, den Verſuch mit uns zu machen. (Bravo!) Stadtv. Hirſch: Meine Herren, mit Rückſicht auf die vorgerückte Zeit und mit Rückſicht darauf, daß ich mich über die Frage, die uns beſchäftigt, ſchon früher eingehend geäußert habe, will ich mich auf wenige Worte zu unſeren Anträgen beſchränken. Ich kann das um ſo mehr, als ich mich in bezug auf den wichtigſten Punkt der Vorlage, die Ziffer 2, im we⸗ ſentlichen dem anſchließen kann, was der Herr Ober⸗ bürgermeiſter eben ausgeführt hat. Ich kann nur hinzufügen, daß es unſerer Meinung nach natürlich nicht genügt, wenn wir der Bevölkerung zeigen, wie man Reisgerichte bereitet, und ihr die Möglichkeit geben, für billigeres Geld Reis zu kaufen. Damit allein iſt es nicht gemacht, ſondern wir müßten weiter gehen und für eine beſſere Ernährung der Bevölke⸗ rung im allgemeinen ſorgen. Denn den Standpunkt wird ja auch der Herr Oberbürgermeiſter kaum ver⸗ treten, daß ſchließlich die Charlottenburger Bevölke⸗ rung von Reis und allenfalls von Fiſchen allein ſich nähren ſoll. Was nun unſere Anträge anbetrifft, ſo haben wir zunächſt beantragt, in Ziffer 1 den Paſſus zu ſtreichen, daß die Kochkurſe nur für die minder⸗ bemittelte Bevölkerung errichtet werden ſollen. Die Herren Kollegen Meyer und Zander haben ſich gegen dieſen Antrag ausgeſprochen. Es handelt ſich hier um einen Antrag von grundſätzlicher Be⸗ deutung. Meine Herren, wir wollen nicht, daß die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, einen armen⸗ pflegeriſchen Charakter tragen, ſondern wir wollen, daß es Maßnahmen ſind, die der ganzen Bevölkerung zugute kommen. Als wir früher einmal uns über die Frage der Errichtung eines Fiſchmarktes unterhalten haben, hat auch der Magiſtrat nicht auf dem Stand⸗ punkt geſtanden, daß es ſich um eine Maßnahme für die minderbemittelte Bevölkerung handelt, ſondern in der Magiſtratsvorlage vom 19. Januar 1911 iſt aus⸗ drücklich geſagt worden: für die geſamte Bevölke⸗ rung. Der Magiſtrat iſt uns bisher eine Erklärung dafür, warum er von ſeinem früheren richtigen Stand⸗ punkt abgewichen und jetzt zu einer ſo grundverkehrten Anſchauung gekommen iſt, ſchuldig geblieben. (Zuruf des Stadtrats Dr Gottſtein.) Sitzung vom 17. Januar 1912 — Ja, Herr Stadtrat, ich kann doch nicht annehmen, daß dieſe Worte nur aus Verſehen hineingekommen ſind. Sollte das nicht der Fall ſein, ſo müſſen Sie auch eine Erklärung dafür haben. Es iſt doch ein Unterſchied, ob es ſich um nur armenpflegeriſche Maß⸗ nahmen handelt oder um wirtlich ſoziale. Nur im letzteren Falle ſind meine Freunde in der Lage, der Vorlage eine Bedeutung beizulegen. Wir haben des⸗ halb beantragt, über unſeren Antrag auf Streichung der Worte „für die minderbemittelte Bevölkerung“ namentlich abzuſtimmen, um dadurch nach außen zu dokumentieren, eine wie große Bedeutung wir der Frage beimeſſen, ob es ſich um Maßnahmen für die geſamte Bevölkerung handeln ſoll oder nicht. Nun ſind gegen unſeren Antrag, der den ge⸗ meinſamen Ankauf von Lebensmitteln durch die Stadt bezweckt, wieder dieſelben Einwendungen er⸗ hoben worden, die ſchon bei jeder Debatte darüber geltend gemacht worden ſind. Ich glaube nicht, daß wir uns gegenſeitig belehren; (Sehr richtig! bei den Liberalen) es ſtehen ſich hier grundverſchiedene Weltanſchauun⸗ gen gegenüber. Ich gebe trotzdem die Hoffnung noch nicht auf, daß doch der eine oder andere von Ihnen einmal von ſeiner konſervativen Anſchauung abgeht. (Heiterkeit.) Meine Herren, der Herr Oberbürgermeiſter hat ſich ja auch ſchon etwas gemauſert, (Stadtv. Jacobi: Sie haben ſich gemauſert!) und es iſt doch nicht ausgeſchloſſen, daß die eine oder andere von unſeren Anregungen auch bei Ihnen auf fruchtbaren Boden fällt. Es wird ja allerdings wohl etwas lange dauern. Meine Herren, ſowohl der Herr Referent als auch der Redner der liberalen Fraktion haben im weſentlichen drei Bedenken gegen unſeren Antrag vor⸗ gebracht. Einmal das politiſche Bedenken: wir dürfen dem Staat nicht die Verantwortlichkeit abnehmen. Ja, meine Herren, das wollen wir nicht, und niemand klarer als gerade die Preſſe unſerer Fraktion und wir haben in früheren Debatten betont, daß die Hauptſchuld an der Teuerung auf die Regierung fällt. Aber man kann doch nun nicht ſagen: deswegen, weil die Regierung eine ſo ſchlechte Regierung iſt, ſollen auch wir nichts tun, ſollen wir ruhig mit anſehen, wie die Bevölkerung Not leidet! Der Standpunkt, den Herr Kollege Wöllmer vertreten hat, iſt ungefähr der Standpunkt des Jungen, der ſagt: Es iſt meinen Vater ganz recht, daß ich mir die Hände erfriere, warum kauft er mir keine Handſchuhe! Wir betonen die ſchwere Verantwortung, die die Regierung auf ſich gelegt hat, wir ſchieben der Regierung die Schuld in vollem Umfange zu; aber wir ſagen uns: wir wollen zeigen, daß wir Gemeindevertreter beſſere Menſchen ſind, wir wollen zeigen, daß wir beſtrebt ſind, etwas für die Bevölkerung zu tun. Dann haben die Herren Bedenken ſozialer Art vorgebracht. Namentlich Herr Kollege Wöllmer hat davon geſprochen, daß unſer Antrag einen Eingriff in das Erwerbsleben bedeutet. Ja, als ich Herrn Kollegen Wöllmer reden hörte, ſagte ich mir: ſchade, der Herr iſt hundert Jahre zu ſpät auf die Welt ge⸗ kommen. Solche Anſchauungen ſind vor hundert Jahren gang und gäbe geweſen; aber heute hat man