Sitzung vom 17. Januar 1912 ſich längſt davon emanzipiert. Und ſelbſt in Char⸗ lottenburg hat man ſich von dieſen Anſchauungen frei gemacht. Wir haben eine ganze Reihe von Betrieben, die wir der Privatausbeutung abgenommen haben, die längſt in ſtädtiſche Regie übergeführt ſind, und zwar nicht nur von Betrieben monopolartigen Cha⸗ rakters, ſondern auch andere. Ich brauche nur auf den Fiſchverkauf hinzuweiſen. Wenn Sie auf dem Stand⸗ punkt ſtehen, daß Gewerbetreibende durch die Maß⸗ nahmen geſchädiat werden, die wir beantragen, dann hätten Sie ſeinerzeit auch nicht dem ſtädtiſchen Fiſch⸗ verkauf zuſtimmen dürfen. (Zurufe: Iſt etwas anderes!) Ich weiſe ferner darauf hin, daß der Magiſtrat jetzt im Einverſtändnis mit der Mehrheit der Deputation und der Mehrheit Ihrer Freunde, die in der De⸗ putation geſeſſen haben, verſuchsweiſe den Verkauf von Reis beantragt. Wer auf dem grundſätzlichen Stand⸗ punkt des Herrn Kollegen Wöllmer ſteht, darf natür⸗ lich auch für dieſen Punkt der Vorlage nicht ſtimmen, der muß ſagen: es mag alles gehen, wie es will, wir unterhalten uns ein paar Sitzungen darüber, daß die Bevölkerung Not leidet, dann gehen wir wieder nach Hauſe, und es bleibt alles beim alten! Darauf können wir uns nicht einlaſſen. Nun wird immer geſagt, es würden Eriſtenzen vernichtet werden, wenn die Stadt den Verkauf von Nahrungsmitteln ſelbſt in die Hand nimmt. Ich zweifle durchaus daran, daß dadurch Eriſtenzen ver⸗ nichtet werden. Es wird vielleicht vorübergehend der eine oder andere Gewerbetreibende dadurch geſchädigt werden, das gebe ich unumwunden zu; vielleicht hat dieſer oder jener kleine Gewerbetreibende dadurch einen Ausfall. Aber, meine Herren, das darf für uns nicht maßgebend ſein. Wir haben die Intereſſen der Allgemeinheit wahrzunehmen, die müſſen uns höher ſtehen als die des einzelnen. Ich weiß ja, daß ich für eine ähnliche Aeußerung, die ich vor einigen Monaten gemacht habe, ſcharf angezapft wurde, ſogar in libe⸗ ralen Flugblättern; aber ich bleibe dabei: das Wohl der Geſamtheit iſt das Höchſte, wonach wir uns zu richten haben, gleichviel, ob einzelne dadurch geſchä⸗ diat werden. Nehmen Sie einmal an, wir würden dazu übergehen, die ganze Bevölkerung ſelbſt mit Nahrungsmitteln zu verſorgen. Ja, dann würden doch die Gewerbetreibenden nicht verſchwinden; (Zurufe) — nein — ſie würden vielleicht verſchwinden als ſelbſtändige Gewerbetreibende; 7 (Rufe: Aha!) aber ſie würden anderwärts Beſchäfti ung fi i der Stadt. Denn Sie werden 280 Kne . in der Stadt dann eine ganze Reihe von erfahrenen Kaufleuten gebrauchen, und wahrſcheinlich würden ſich die Herren dann viel beſſer ſtehen als heute, wo ſie fortwährend über ſchlechte Zeiten zu klagen haben. 2 Ich weiſe ferner darauf hin, daß wir die Er⸗ fahrung ſchon in einer ganzen Reihe von Städten ge⸗ macht haben, daß bloß ſchon die Androhung, die Stadt würde ſelbſt mit dem Einkauf und Verkauf von Lebensmitteln vorgehen, vielfach dazu geführt hat daß Gewerbetreibende mit den Preiſen herunter⸗ gegangen ſind. Das würde auch der Fall ſein. auch in Charlottenburg 23 Herr Kollege Wöllmer hat bei dieſer Gelegenheit ſpeziell noch gegen die Errichtung von Gemeinde⸗ ſchlächtereien polemiſiert. Das, was er zitiert hat, ſtammt aus dem Jahre 1905. In der Zwiſchenzeit ſind andere Erfahrungen gemacht worden. Ich habe das ja in der Deputation nachgewieſen; ich will es unterlaſſen, jetzt noch einmal darauf einzugehen. Nur darauf mache ich aufmerkſam, daß wir in unſerem Antrage ja gar nicht die Errichtung von Gemeinde⸗ ſchlächtereien beantragt haben. So weit ſind wir aus⸗ nahmsweiſe nicht gegangen, ſondern wir begnügen uns mit ganz geringfügigen Vorſchlägen. Schließlich wird eingewendet, daß es gar nicht möglich ſei, daß die Stadt billiger abgibt als Private. Auch dieſer Einwand iſt längſt widerlegt. Er iſt widerlegt durch die Erfahrung. Ich bitte Sie, ſich die Erfahrungen aus anderen Gemeinden vor Augen zu halten und nicht immer zu ſagen: ja, was für andere Gemeinden zutrifft, trifft für uns in Char⸗ lottenburg nicht zu. In dieſer Beziehung liegen die Verhältniſſe hier genau ſo wie wo anders, und wir haben eine große Reihe von Gemeinden ich habe ſie bei früheren Gelegenheiten aufgezählt —, die tat⸗ ſächlich in der Lage geweſen ſind, billiger zu liefern als Private. Das gilt namentlich für die Fleiſch⸗ nahrung. Soviel über unſere Anträge. Was im übrigen die Vorlage des Magiſtrats be⸗ trifft, ſo geſtatten Sie mir darüber ein ganz kurzes Wort. Sie werden ſchon aus unſeren Anträgen und aus der Stellung, die wir früher eingenommen haben, erſehen haben, daß wir weit, weit mehr er⸗ ſtreben, als der Magiſtrat uns vorſchlägt. Wir können das, was der Magiſtrat uns unterbreitet, allenfalls für eine ſehr beſcheidene Abſchlagszahlung halten. Andere Gemeinden, auch in Groß⸗Berlin, ſind viel weiter gegangen. Trotzdem werden wir für die Vor⸗ lage des Magiſtrats ſtimmen, um zu zeigen, daß wir bereit ſind, alles, was wir erreichen können, zu tun, um die Not des Volkes zu lindern. Aber wir werden uns nicht damit beſcheiden, ſondern wir werden immer und immer wieder mit neuen Anregungen kommen. Wir werden vor allen Dingen verlangen, daß die De⸗ putation bald wieder zuſammentritt, damit die Ar⸗ beiten zu einem befriedigenden Abſchluß geführt wer⸗ den. Denn darüber war ſich die Deputation ja einig, daß es ſich heute nur um eine vorläufige Mitteilung handelt, und daß wir weiter arbeiten müſſen. Wir hoffen, daß es unſerm Einfluß in der Deputation gelingen wird, auch die rückſchrittlichen Elemente in der Verſammlung davon zu überzeugen, daß wir doch ſchließlich etwas mehr zur Behebung der Notlage tun müſſen, als der Magiſtrat vorgeſchlagen hat. (Die Beratung wird geſchloſſen.) Berichterſtatter Stadtv. Wöllmer (Schlußwort): Als Berichterſtatter habe ich ja das Recht, einige Schlußworte zu ſprechen. Ich ſteige allerdings etwas aus dem Rahmen der Berichterſtattung heraus, weil ich auf die Aeußerungen des Kollegen Hirſch erwidern muß. Er hat hervorgehoben, daß die Majorität der Deputation dreierlei Bedenken gehabt hat: politiſche Bedenken, ſoziale Bedenken und wirtſchaftliche Be⸗ denken. Das iſt durchaus zutreffend. Was die poli⸗ tiſchen Bedenken anlangt, ſo habe ich als Bericht⸗ erſtatter geſagt, daß die Majorität ich ſpreche im⸗ mer von der Maforität — dem Staate die Verant⸗ wortung dafür nicht abnehmen, auch nicht den An⸗ ſchein erwecken möchte, als ob ſie dem Staate die Ver⸗