Sitzung vom 31. Januar 1912 Wenn Sie aber einen Ausſchuß für dieſe aktuelle Frage der Bewilligung von 12 000 ℳ überhaupt haben wollen, dann würde ich Sie doch ſchon bitten, daß Sie einen Sonderausſchuß dafür einſetzen, da⸗ mit die Frage ſchnell erledigt werden kann und nicht unter Umſtänden die Arbeitsloſen darunter zu leiden haben. Der Ausſchuß, den Sie im Sinne haben, iſt zur Beratung der Vorlage betr. die Arbeitsloſen⸗ verſicherung eingeſetzt und kommt leider, wie ich allerdings ſchon früher vorausgeſehen habe, mit dieſer ſeiner eigentlichen Arbeit recht langſam vorwärts. Dieſe Arbeit müßte eigentlich bis zur diesjährigen Etatsberatung erledigt ſein. Ich fürchte, wir werden nicht einmal damit zurecht kommen. Wenn Sie jetzt dem Ausſchuß noch dieſe neue Arbeit aufpacken, würde das weder im Intereſſe der gegenwärtigen Vorlage noch im Intereſſe der Vorlage betr. Arbeitsloſen⸗ verſicherung ſein. Ich glaube auch, daß die Herren dabei wohl mehr die gemiſchte Deputation im Auge gehabt haben, die ja noch beſteht und die im all⸗ gemeinen dieſe Fragen zu erörtern hat. Ich möchte Sie daher bitten, wenn Sie überhaupt auf einen Aus⸗ ſchuß beſonderen Wert legen — wie geſagt, für die eigentliche Bewilligung der 12 000 ℳ ſcheint er mir nach allem, was bisher in der Stadtverordneten⸗ verſammlung vorgegangen iſt, nicht erforderlich , einen beſondern Ausſchuß einzuſetzen. Vorſteher Kaufmann: Meine Herren! Wenn die Verſammlung einen Ausſchuß wünſcht, ſo könnte es ſich vielleicht darum handeln, dieſelben Perſonen, die die Frage der Arbeitsloſenverſicherung bis jetzt beraten haben, als Mitglieder eines beſonderen Aus⸗ ſchuſſes zu wählen. Stadtv. Dr Borchardt: Meine Herren! Wenn zur Beratung dieſer Frage ein Ausſchuß eingeſetzt wird, dann iſt es uns ſchon lieb, wenn ſie einem be⸗ ſondern Ausſchuſſe überwieſen wird; denn nach den Erfahrungen, die wir bisher mit dem Ausſchuſſe zur Beratung der Vorlage über die Arbeitsloſenverſiche⸗ rung gemacht haben, können wir annehmen, daß der Ausſchuß uns über dieſe Vorlage vielleicht im näch⸗ ſten Winter Bericht erſtatten wird. Gegen die Ausſchußberatung ſelbſt haben wir nichts einzuwenden. Meine Freunde haben ebenfalls gegen einige Punkte dieſer Vorlage ſehr erhebliche Bedenken. Zunächſt ſind meine Freunde der Meinung, daß ein Tagelohn von 3 ℳ, wie er in der Vorlage vor⸗ geſehen iſt, irgendwie eine Exiſtenz für den betreffen⸗ den Arbeiter nicht gewährleiſten kann. Wir haben ja hier des öfteren Anträge dahin geſtellt, daß als Mini⸗ mallohn von der Stadt mindeſtens 4 ℳD gezahlt wer⸗ den ſollen. Dieſe Anträge ſind niemals angenommen worden, und wir haben ſtädtiſche Arbeiter, die einen Minimallohn von 3,50 ℳ bekommen. Wir ſind der Meinung, daß dieſer Mindeſtlohn doch auch den⸗ jenigen Arbeitern gezahlt werden muß, die mit den hier gekennzeichneten Arbeiten bei der Tiefbauverwal⸗ tung beſchäftigt werden. Wenn geſagt, wird, die Ar⸗ beiter, die für dieſe Beſchäftigung in Frage kommen, leiſten nicht ſoviel wie reguläre Arbeiter, ſo mag das in gewiſſem Umfange zutreffen. Gelernte Arbeiter werden nicht ohne weiteres dieſe Arbeiten in derſelben Weiſe, in demſelben Umfange ausführen können wie ungelernte Arbeiter, die dauernd mit ſolchen Arbeiten ſchon beſchäftigt waren. Wenn aber gelernte Arbeiter dieſe Arbeit ergreifen, ſo iſt doch keineswegs anzu⸗ nehmen, daß die Differenz zwiſchen ihrer Leiſtung 33 und der Leiſtung ungelernter, die dauernd damit be⸗ ſchäftigt ſind, 50 % beträgt. Das iſt eine Angabe, die nach Anſicht meiner Freunde nicht zutrifft. Aber ſelbſt, wenn es der Fall wäre und ſelbſt wenn die volle Hälfte des Tagelohnes eine Zuwendung der Stadt an dieſe Arbeiter bedeutete, ſo ſind wir der Meinung, daß 3 ℳ durchaus nicht ein Lohn iſt, den die Stadt Charlottenburg zahlen ſollte, ſondern daß mindeſtens 3,50 ℳ bezahlt werden müſſen, und daß dann entſprechend die Summe erhöht werden muß. Ein zweites Bedenken haben meine Freunde gegen die Beſchäftigung der Arbeitsloſen in Reppen, die hier vorgeſehen iſt. Wenn von dem Verein ge⸗ ſagt wird, daß den vorübergehend Arbeitsloſen ge⸗ ſunde und gut bezahlte Arbeit verſchafft werden ſoll, ſo haben wir dagegen gewiß nichts einzuwenden. Wenn aber zugefügt wird: aut bezahlte Arbeit auf kulturfähigem Oedland —, ſo möchten wir dahinter doch ein Fragezeichen machen. Es iſt durchaus nicht anzunehmen, daß gerade gelernte Induſtriearbeiter diejenigen Elemente ſind, mit denen kulturfähiges Oedland kultiviert werden ſoll und kultiviert werden muß. Gewiß iſt anzuerkennen, daß dem deutſchen Volke und dem Deutſchen Reiche neue Kulturflächen zu erſchließen ſind. Auch dagegen würden wir nichts einzuwenden haben, daß nationale Arbeitskräfte dazu verwendet werden anſtatt der vielen ausländiſchen Arbeiter, die heute zur Landarbeit hereingezogen werden. Wenn aber weiter geſagt wird, daß die Mittel, die bisher zur Unterſtützung von Arbeitsloſen in dem Sinne aufgewendet worden ſind, die Arbeits⸗ loſen über Waſſer zu halten, daß dieſe Mittel ſämt⸗ lich zur Erſchließung von Kulturland nutzbar gemacht werden ſollen, ſo können wir das in keiner Weiſe unterſchreiben, weil wir eben die gelernten Induſtrie⸗ arbeiter nicht für die Elemente halten, die dazu be⸗ rufen und geeignet ſind, dieſe ländliche Arbeit zu leiſten. In den Ausführungen dieſes Vereins iſt ganz gewiß eine ganze Reihe beherzigenswerter Dinge enthalten, die auch meine Freunde unterſchreiben, wenn auch durchaus nicht reſtlos. Namentlich werden wir zuſtimmen, daß den Arbeitsloſen die Möglichkeit gegeben werden ſoll, ſich nicht nur recht und ſchlecht über die eriſtenzloſe Zeit ihrer Beſchäftigungsloſig⸗ keit hinwegzuhelfen, ſondern daß für eine ausreichende Arbeitsbeſchaffung Sorge zu tragen iſt. Aber meine Freunde ſind keineswegs der Meinung, daß eine aus⸗ reichende Arbeitsbeſchaffung auf dem hier vorgeſchla⸗ genen Wege durch den Verein für ſoziale innere Ko⸗ loniſation möglich iſt. Eine ausreichende Arbeits⸗ beſchaffung für die zahlloſen Arbeitsloſen der In⸗ duſtrie iſt eben unter der kapitaliſtiſchen Wirtſchafts⸗ weiſe, in der wir leben, überhaupt nicht möglich. Wir haben nun einmal, ſolange wir in dieſer Wirtſchafts⸗ weiſe leben, mit dieſen Arbeitsloſen zu rechnen, denen nir keine ausreichende Arbeitsgelegenheit ſchaffen können, am allerwen igſten durch ländliche Arbeit. Die Verſchaffung ausreichender Arbeitsgelegenheit, die Abſchaffung der Arbeitsloſigkeit iſt eben im Rah⸗ men unſerer Geſellſchaftsordnung unmöglich. Das ſind Aufgaben, die der Zukunft vorbehalten bleiben. Das ſind Erſcheinungen, die deutlich zeigen, wohin die ganze Entwicklung treibt. Deswegen ſind meine Freunde durchaus nicht der Anſicht, daß man ohne weiteres und nun gar, ohne näheren Aufſchluß über die ganze Art der Beſchäftigung in der Kolonie Reppen erhalten 15 haben, dem zuſtimmen kann. Meine Freunde haben dann aber auch noch ein ſehr gewichtiges prinzipielles etatsrechtliches Bedenken gegen die Art und Weiſe, wie hier vom Magiſtrat