Sitzung vom 14. Februar 1912 1912 wäre nicht derſelbe Mann, der im Jahre 1910 hier geſtanden hat, ſondern er hätte ſich verwandelt gane in den Kollegen Liepmann oder den Kollegen ander. (Heiterkeit.) Meine Herren, meine Fraktionsfreunde haben ja frü⸗ her in ihrer großen Mehrheit nicht auf dem Stand⸗ punkt der eben genannten Kollegen geſtanden, ſon⸗ dern haben damals mit dem Herrn Kämmerer den Etat und die ganze Finanzlage der Stadt Charlotten⸗ burg nicht als ſo ſchlimm angeſehen, wie es von eini⸗ gen Seiten geſchah. Auch heute ſind wir der Anſicht — und wir ſind jetzt geſchloſſen der Anſicht — daß eine Veranlaſſung zur Erhöhung der Einkommen⸗ ſteuer gerade im jetzigen Moment kaum vorliegen dürfte. Wir behalten uns auch unſererſeits eine ein⸗ gehende Prüfung der ganzen Verhältniſſe in dem Etatsausſchuß vor, deſſen Einſetzung wir ſelbſt⸗ verſtändlich zuſtimmen. Ich möchte aber auch meiner⸗ ſeits auf die einzelnen Punkte eingehen, die uns zu einer derartigen Stellungnahme Anlaß geben. Der Herr Kämmerer hat darauf hingewieſen, daß die Stadtverordnetenverſammlung ſich ja ſchon mehr⸗ fach bereit erklärt hätte, eventuell über den Satz von 100 % hinauszugehen, wenn die anderen weſtlichen Vororte und Berlin das Gleiche täten. Ja, meine Herren, die Verhältuſſe haben ſich ganz weſentlich ge⸗ ändert! Nach der Anſicht meiner Freunde genügt heutzutage nicht mehr die Sicherheit, daß auch Ber⸗ lin, Schöneberg, Wilmersdorf 110 % nehmen werden, ganz abgeſehen davon, ob dieſe Kommunen tatſächlich dieſen Weg beſchreiten werden. Meine Herren, außer dieſen eben genannten Kommunen (Unruhe. Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher Kaufmann (unterbrechend): Meine Herren, ich würde doch bitten, auch dieſem Redner mit derſelben Aufmerkſamkeit zuzuhören wie bisher. Stadtv. Dr. Stadthagen (fortfahrend): Meine Herren, außer den eben genannten Kommunen lie⸗ gen vor den Toren der weſtlichen Vor⸗ orteeine ganze Reihe von Gemeinden, die zwar einzeln klein ſind, die aber zuſammengenommen eine ſolche Menge wohlſituierter Bewohner re⸗ präſentieren, daß wir auch mit dieſen Vororten rechnen müſſen. (Sehr richtig!) Die Vororte Wannſee, Schlachtenſee, Großlichter⸗ felde, Nikolasſee, Dahlem, dann auch die neu zu er⸗ wartende Kolonie hier nach der Havel hin und Grune⸗ wald ſtellen zuſammen mit den anderen, die ich nicht einzeln hier nennen möchte, eine ſolche Summe von finanzkräftigen Bewohnern dar, daß wir viel mehr vielleicht mit dieſen rechnen müſſen als mit den oben angeführten großen Städten. Und, meine Herren, Sie wiſſen alle, daß in dieſen Kommunen jetzt zum Teil weſentlich niedrigere Steuerſätze beſtehen als 100,%. Wir haben vorläufig noch immer erreicht, daß der Zu⸗ zug von reichen Einwohnern nach Charlottenburg zu⸗ genommen hat. Es beſteht daher aber die große Ge⸗ fahr, daß, wenn wir von 100 % auf 110 % hin⸗ aufgehen, eine ganze Anzahl unſerer reichen Einwoh⸗ ner es ſich dann überlegen werden, und daß auch 71 ſolche, die ſich erſt bei uns anſiedeln wollen, es ſich überlegen werden: ſollen wir nicht unſere Villa ſtatt in Neuweſtend lieber in Grunewald, Nikolasſee oder ſonſtwo bauen? Sehr richtig!) Alſo ob dieſe 10% uns nicht direkt einen Schaden bringen würden, der in dem Herabgehen der Steuern ſehr deutlich zum Ausdruck kommen würde, iſt mir doch zweifelhaft. Ich glaube daher, daß die etwaige Bindung der 3 oder 4 großen Städte uns nicht auf dieſen Weg drängen ſollte, ganz abgeſehen davon, ob Wilmersdorf ihn gehen wird; nach dem, was ich ge⸗ hört habe, neigt Wilmersdorf überhaupt nicht dazu. Selbſtverſtändlich verkenne ich nicht die Gründe für eine Einheitlichkeit des Steuerweſens ich ſelbſt bin ja vor einem Jahre für eine gemeinſchaftliche Steuerordnung für Berlin und die weſtlichen Vororte eingetreten — ich verkenne dieſe vielen Gründe nicht. Aber wenn man im vorigen Jahre dafür eintreten konnte, um von uns abzuwälzen, daß wir eine ſtärkere Tilgung der Anleihen vornehmen ſollten, ſo liegt heute die Sache ganz anders. Im vorigen Jahre war uns geſagt: wenn ihr auf 110 % geht, braucht ihr nicht die doppelt ſtarke Tilgung der Anleihen vorzu⸗ nehmen durch die Bildung des beſonderen Sammel⸗ fonds; die Regierung hätte dann darauf verzichtet. Heute haben wir dieſe höhere Tilgung übernehmen müſſen; wir müſſen mit 4% tilgen — alſo, meine Herren, eine ganz veränderte Sachlage, die wohl ge⸗ prüft werden muß. Tatſächlichſtellen D 1 e ſe 2% mehr Tilgung nichtsweiter dar al 5 einen neuen Reſervefonds (Sehr richtig!) — das iſt ganz klar, das hat die Regierung auch be⸗ abſichtigt —, und wir werden ſelbſtverſtändlich dieſen Reſervefonds, ſoweit uns in ſeiner Verwendung noch Freiheit gelaſſen iſt, für Dinge benutzen, die wir ſonſt in eine Anleihe hätten ſtellen müſſen, die dann unſeren Schuldenetat belaſtet hätten, jetzt aber infolge dieſes vorhandenen Reſervefonds unſeren Schuldenetat nicht belaſten. Nun ſagt der Herr Kämmerer mit Recht: man muß vorſichtig ſein bei der Finanzpolitik, wir haben unſeren Ausgleichsfonds eingerichtet — er ging auf die Geſchichte desſelben ein —, damit er in ſchlechten Zeiten da iſt, und damit er da iſt, um nicht für dau⸗ ernde Ausgaben, ſondern für einmalige Ausgaben zu dienen. Nun, ich bin ja nicht ganz unbeteiligt bei der Gründung dieſes Ausgleichsfonds. Ich kann hier dar⸗ auf hinweiſen, daß ich ſeinerzeit, im Jahre 1906, im Etatsausſchuß, als von dem heutigen Herrn Vorſteher Kaufmann geſagt wurde: wir wollen aus dem ver⸗ mutlichen Ueberſchuß des laufenden Jahres von 1½ Millionen oder 1% Millionen einige Hundert⸗ tauſend für die Straßenpflaſterung nehmen daß ich damals im Namen der damaligen Freien Vereini⸗ gung, der ich angehörte, erklärte, wir würden wohl be⸗ reit ſein, dieſen Weg zu gehen, wenn wir die Summe, die wir aus dem vorigen Jahre als Ueberſchuß in den Etat einſtellten, auf eine Million feſtlegten, den Reſt in einen beſonderen Fonds brächten. Es iſt mein An⸗ trag geweſen, immer nur dieſe Million einzuſtellen und den Reſt in einen Ausgleichsfonds zu tun. Der Herr Kämmerer hat damals ſofort dieſem Gedanken zugeſtimmt, und ſo iſt dieſer Ausgleichsfonds ent⸗ ſtanden. Ich bin ſelbſtverſtändlich immer geneigt,