Sitzung vom 14. Februar 1912 Schuldendienſt geſprochen hat, ſo hat er nicht betont, daß in dieſen Beträgen auch diejenigen Poſten ſtecken, die wir für werbende Werke aufgenommen haben. Allerdings ſind dieſe Beträge ja prozentual nicht mehr ſo hoch wie früher; immerhin bleiben beinahe 40 % — ich glaube, 37 % waren es in der neuen Anleihe von 42 Millionen —, die wir für werbende Zwecke eingeſetzt haben, von denen wir alſo nicht nur Ein⸗ nahmen erwarten dürfen, ſondern auch Ueberſchüſſe. Ich möchte das Wort des Herrn Kollegen Frentzel unterſchreiben und auch unterſtreichen, daß nach der heutigen Etatsrede der Herr Kämmerer eigentlich nur ein Thema hat beweiſen wollen: wir müſſen die Steuern um 10 % erhöhen. Ich möchte noch weiter gehen als Herr Kollege Frentzel und nicht nur ſagen: der Herr Kämmerer hat in ſeiner heutigen Rede das beweiſen wollen, ſondern: die gan ze Aufſtellung des Etats hat mir den Eindruck gemacht, daß ſie lediglich zu dem 3wecker⸗ folgt iſt, um zu beweiſen, daß wir 10% Gemeindeeinkommenſteuer mehr brauchen. Sehr richtig!) Meine Herren, wir werden im Ausſchuß zu prüfen haben, ob wir nicht einen anderen Weg finden, um den Etat zu balanzieren, und meine Freunde werden ohne jede Voreingenommenheit, vollkommen objektiv an dieſe Aufgabe herantreten. (Bravo!) Stadtv. Hirſch: Meine Herren! Der Herr Kämmerer hat heute an ſeinem eigenen Leibe er⸗ fahren, wie wandelbar die Gunſt der Maſſen iſt. (Heiterkeit.) Wie haben Sie von der Mehrheit dieſer Verſamm⸗ lung früher dem Herrn Kämmerer bei der Einbrin⸗ gung des Etats zugejubelt — und diesmal am Schluß ſeiner Ausführungen auf Ihrer Seite eiſiges Schweigen! (Zuruf bei den Liberalen: Sie haben Bravo ge⸗ rufen!) — Wir haben Bravo gerufen, gewiß, weil uns die Ausführungen des Herrn Kämmerers ſehr verſtändig erſchienen. Sie haben dem Herrn Kämmerer den Vorwurf gemacht, daß er ſeine Anſchauungen geändert hat. Ich habe gefunden, daß die Herren, die vorher ge⸗ ſprochen haben, ihre Anſchauungen ſehr weſentlich geändert haben. Wir haben uns über die Frage der Steuererhöhung, die in dieſem Augenblick ja akut geworden iſt, ſehr oft unterhalten. Früher haben die Redner namentlich der liberalen Fraktion ſich ſtets und ſtändig auf den Standpunkt geſtellt, daß die 100 % für ſie kein noli me tangere ſind, daß ſie bereit ſind, wenn es nötig iſt, (Zurufe bei den Liberalen: Wenn es nötig iſt, auch jetzt noch!) — warten Sie nur ab — auch über die 100 % hinauszugehen, vorausgeſetzt, daß die anderen Ge⸗ meinden mit uns gemeinſam vorgehen. Heute haben Sie vielleicht dasſelbe geſagt; aber Sie haben doch 73 ganz deutlich durchblicken laſſen, daß Sie ſich be⸗ mühen werden, Abſtriche vorzunehmen, damit die 100 % nicht überſchritten werden, und Sie haben ferner inſofern Ihren Standpunkt aufgegeben, als Sie erklärt haben: wir wollen unſeren Etat nach den Verhältniſſen von Charlottenburg aufſtellen (Sehr richtig!) und uns nicht um die anderen Gemeinden kümmern. (Sehr richtig!) Das iſt aber ein Standpunkt, den Sie früher nicht eingenommen haben. (Rufe bei den Liberalen: Doch! — Stadtrat und Kämmerer Scholtz: Nein!) Ebenſo hat ſich aber auch Herr Kollege Stadt⸗ hagen ſeit dem vorigen Jahre gemauſert. Herr Kol⸗ lege Stadthagen hat am 15. März 1911, als wir uns zuletzt über die Frage der Steuererhöhung unter⸗ hielten, erklärt, daß er, freilich aus anderen Grün⸗ den wie meine Freunde, für die Nr. 1 der damaligen Magiſtratsvorlage ſtimmen werde. Und wie lautete die Ziffer 1 der Magiſtratsvorlage? Dem Beſchluſſe des Magiſtrats, für das Etatsjahr 1911 für die Stadtgemeinde Char⸗ lottenburg eine Gemeindeeinkommenſteuer in Höhe von 110% der Staatseinkommenſteuer bzw. der fingierten Einkommenſteuerſätze zu erheben, falls auch die Stadtgemeinden Berlin, Schöneberg, Wilmersdorf, Rirdorf und Lichten⸗ berg bis zum 12. März einen entſprechenden Beſchluß faſſen, wird beigetreten. Es iſt möglich, daß Herr Kollege Stadthagen das inzwiſchen vergeſſen hat; aber es iſt doch ein Be⸗ weis dafür, daß er ſeine Anſchauungen inzwiſchen vollkommen geändert hat. Meine Herren, auch wir haben ja wiederholt Die Anſchauung geändert! — Heiterkeit) uns über die Frage unterhalten und haben unſerer Anſicht Ausdruck gegeben. — Gewiß ändern wir unſere Anſchauung auch, wenn wir die Notwendig⸗ keit einer Aenderung einſehen. Aber das iſt etwas ganz anderes, (Rufe bei den Liberalen: Natürlich!) (Stadtv. Meyer: als wenn Sie Ihre Anſchauung in dem Augenblick 2— wo es ans Zahlen geht. Das iſt ſehr ver⸗ ächtig (Heiterteit.) Wir haben im vorigen Jahre einen Antrag einge⸗ bracht: Die Stadtverordnetenverſammlung erſucht den Magiſtrat, mit ihr in gemiſchter Depu⸗ tation zu beraten, ob und welche Schritte zum Zwecke der Erreichung einheitlicher Steuerſätze mit den Nachbargemeinden für das Jahr 1912 zu tun ſind. 8 10 Dieſen Antrag hat die Mehrheit der Ver⸗ ſammlung abgelehnt. (Rufe bei den Liberalen: Na alſo!)