74 Gleichfalls abgelehnt worden iſt ein Antrag von uns, der beſtimmt vorſchrieb, wie der Mehrbetrag zu ver⸗ wenden wäre. Wir hatten beantragt, daß der Mehr⸗ betrag verwendet werden ſolle zur Erfüllung ſozialer Aufgaben Arbeitsloſenfürſorge, Gewährung freier Lernmittel an alle Schüler und Schülerinnen der Gemeindeſchulen ſowie zur Verminderung des An⸗ leihebeſtandes oder Bedarfs. Auf dem Standpunkt, dem wir durch die eben mitgeteilten Anträge Ausdruck verliehen haben, ſtehen wir auch heute noch. Sie erheben ja ſo oft ge⸗ rade gegen meine Freunde den Vorwurf, daß wir nur immer fordern, daß wir aber niemals ſagen, wie denn die Mittel zur Erfüllung unſerer Forderun⸗ gen aufzubringen ſind. (Widerſpruch.) — Meine Herren, das können Sie in allen Flug⸗ blättern leſen, die gegen uns verbreitet werden. — Hier beweiſen wir Ihnen im Gegenſatz dazu, daß gerade wir es ſind, die bereit ſind, eine poſitive Politik zu treiben, die bereit ſind, poſitiv mitzu⸗ arbeiten. Dagegen haben Sie gar keinen Zweifel darüber gelaſſen, daß Sie bereit ſind, wichtige not⸗ wendigen Aufgaben zurückzuſtellen lediglich aus Steuerſcheu. (Oho! und Zuruf bei den Liberalen: Welche denn?) — Ich komme darauf auch noch zu ſprechen. — Sie erheben auch ſonſt — und haben das wiederholt getan, wenn wir unſern Standpunkt vertreten haben — den Einwand: ja, Sie können ruhig 110% beſchließen, denn die Minderbemittelten zahlen das ja nicht; das zahlen nur die Beſitzenden. Meine Herren, das ſtimmt nicht. Wollen Sie ſich, bitte, die Statiſtik anſehen, dann werden Sie finden, daß in Charlotten⸗ burg die Zenſiten mit einem Einkommen unter 3000 ℳ mehr als drei Viertel aller Einwohner aus⸗ machen, ungefähr 80 %, und Sie wollen doch nicht ſagen, daß die 20 %, die mehr haben, oder vielleicht die zwei, drei Leute, die ein fürſtliches Einkommen haben, es ſind, die allein die Mittel aufbringen! Nein, die Mittel werden von der Geſamtheit auf⸗ gebracht, jeder trägt im Verhältnis zu ſeiner Finanz⸗ kraft dazu bei, und ich glaube, gerade die Minder⸗ bemittelten, gerade die Arbeiter, die kleinen Ge⸗ werbetreibenden zahlen im Verhältnis weit, weit mehr Steuern als die Beſitzenden; die Arbeiter zahlen ſchon aus dem Grunde mehr Steuern, weil ſie ver⸗ pflichtet ſind, ihr Einkommen bis auf den letzten Pfennig zu verſteuern, was man von den Beſitzenden nicht immer ſagen kann. (Na, na! bei den Liberalen. — Stadtv. Dr Flatau: Das ſagen die Agrarier!) — Sie behaupten das von den Agrariern, und ich behaupte es von beiden: von den Agrariern und auch von anderen. (Heiterkeit und Rufe bei den Liberalen: Von den⸗ jenigen, die nicht zu Ihrer Partei gehören!) Meine Herren, es wurde geſagt, daß die Steuern für die Beſitzloſen fühlbarer ſind als für die Beſitzen⸗ den. Das iſt durchaus richtig, und wir bedauern nur, daß es nicht möglich iſt, die weiteren Einkommen, vielleicht bis zu 1200 oder 1500 ℳ, frei zu laſſen. Sitzung vom 14. Februar 1912 Leider iſt das nach dem Kommunalabgabengeſetz un⸗ zuläſſig. Jedenfalls werden Sie mir zugeben, daß ein Zenſit mit einem Einkommen von 1200 oder 1500 ℳ. heute verhältnismäßig weit mehr mit Steuern belaſtet iſt als die Zenſiten mit höherem Einkommen, namentlich die Zenſiten mit Ein⸗ kommen von 50 000 ℳ und darüber. Aber ſo ſchwer es den Arbeitern, den Minderbemittelten fällt, neue Steuern zu zahlen, ſo ſind ſie doch ſehr gern bereit, Opfer im Intereſſe der Allgemeinheit zu bringen; denn gerade die Arbeiter ſind einſichtig genug, zu wiſſen, daß ohne geſunde Finanzen eine geſunde Gemeindepolitik nicht mög⸗ lich iſt. (Lachen und Zurufe.) — Gewiß gibt es auch ſolche Elemente unter den Arbeitern, die das noch nicht erkannt haben. Das ſind diejenigen, die noch nicht durch die Schule der Sozialdemokratie gegangen ſind. (Große Heiterkeit.) Soweit wir die Möglichkeit hatten, auf die Maſſen erzieheriſch einzuwirken, haben wir ihnen klar ge⸗ macht, daß es ein Unding iſt, Forderungen an die Geſellſchaft zu ſtellen, wenn man nicht bereit iſt, auch die dafür nötigen Opfer zu bringen. Das haben meine Parteifreunde ſchon längſt eingeſehen. Meine Herren, ich würde es für ganz verkehrt halten, wenn man ſich etwa auf den Standpunkt ſtellte, auf den ſich die Herren Vorredner, wenn ſie es auch nicht deutlich ausgedrückt haben, zu ſtellen ſcheinen — in Wirklichkeit kommt ja das, was ſie wollen, darauf hinaus —, nämlich auf den Stand⸗ punkt: Schulden zu machen, ſich vom Zahlen zu 4 und alles den ſpäteren Geſchlechtern zu über⸗ aſſen. (Lachen und Rufe bei den Liberalen: Ach Gott!) — Ja, daß Ihnen das unangenehm iſt, daß Sie das beſtreiten, weiß ich. (Rufe bei den Liberalen: Iſt ja gar nicht richtig!) — Das iſt wohl richtig. Vorſteher Kaufmann: Ich bitte, Zwiſchenrufe zu unterlaſſen und etwaige Berichtigungen ſpäter vor⸗ zunehmen. Stadtv. Hirſch (fortfahrend): Wir können uns nicht damit abfinden, daß wir ſagen: aprés nons le deluge, ſondern wir halten uns für verpflichtet, dafür zu ſorgen, daß auch die Mittel aufgebracht wer⸗ den, um die Aufgaben, die uns bevorſtehen, erfüllen zu können. Sie beſtreiten, daß Sie ſo viel Schulden auf Koſten der Zukunft machen. Das können Sie gar nicht beſtreiten, wenn Sie nur einen Blick in den Etat werfen. Der Herr Kämmerer hat das ſchon ange⸗ deutet. Unſere Schulden ſind ganz gewaltig ange⸗ wachſen. Der Schuldendienſt erfordert jetzt bereits 4,335 Millionen, während wir im vorigen Jahre nur 3,563 Millionen und im Jahre 1910 nur 3,348 Mil⸗ lionen dafür aufgewendet haben; alſo beinahe eine Million mehr haben wir nun für den Schuldendienſt auszugeben als vor zwei Jahren. Meine Herren, an⸗ geſichts dieſer Zahlen können Sie doch nicht beſtreiten,