Sitzung vom 14. Februar 1912 Uns ſteht noch eine ganze Reihe Aufgaben be⸗ vor, die gelöſt werden müſſen. Es wird Ihnen ja bekannt ſein, daß wir z. B. in Charlottenburg nicht einmal eine Irrenanſtalt haben. (Lachen und Zurufe: Provinz!) Das iſt eine Aufgabe, die unbedingt einmal gelöſt werden muß. Sie machen Wilmersdorf mit Recht den Vorwurf: ihr Wilmersdorfer kommt mit 100% leicht aus, weil ihr noch nicht einmal ein Kranken⸗ haus habt! Mit demſelben Rechte können Wilmers⸗ dorf und andere Gemeinden gegen uns den Vorwurf erheben, daß auch wir unſer Krankenhausweſen noch nicht ſo ausgebaut haben, wie es den modernen An⸗ forderungen entſpricht. (Lachen und Rufe: Ach, ach!) Sie dürfen ſich nicht damit herausreden, daß wir an die Provinz Beiträge zahlen. (Stadtv. Dr Saße , iſt Provinz⸗ ache! Wir ſind verpflichtet, wenn auch nicht geſetzlich, ſo doch moraliſch, ſelbſt endlich einmal eine Irrenanſtalt zu bauen. Ich erinnere weiter daran, wie es mit unſerm Waiſenhausweſen beſtellt iſt. Iſt das vielleicht auch Provinzſache? Ach, meine Herren, wir haben noch ſo ungeheuer viele Aufgaben zu löſen, daß wir mit den 110% kaum auskommen werden, wenn wir all das nachholen wollen, was bisher vernachläſſigt wor⸗ den iſt. Für mich unterliegt es gar keinem Zweifel, daß, wenn wir uns jetzt mit Gewalt auf den Stand⸗ punkt ſtellen: wir müſſen bei 100%“ bleiben, dann nicht nur die kulturellen Aufgaben, ſondern auch die ſozialen Aufgaben leiden werden. Sie machen immer viel Weſens von unſeren ſozialen Einrich⸗ tungen. Ich habe ſchon wiederholt darauf hin⸗ gewieſen, daß unſere ſozialen Einrichtungen längſt nicht mehr auf der Höhe ſtehen und wir längſt nicht mehr den Ruf für uns in Anſpruch nehmen können, in bezug auf Sozialpolitik an der Spitze der Ge⸗ meinden von Groß⸗Berlin zu marſchieren. Wenn es auf Worte ankommt, dann ja; (Lachen) aber an den Taten laſſen Sie es nachher ſehr oft fehlen. Was iſt z. B. aus der Arbeitsloſenverſiche⸗ rung geworden? (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Seit Jahren ſtreiten wir uns herum, ſeit länger als Jahresfriſt haben wir die Vorlage zur Beratung der Kommiſſion überwieſen; ſie kommt nicht vom Fleck, weil Sie nicht die Notwendigkeit einſehen, endlich ein⸗ mal auf dieſem ſo wichtigen Gebiete poſttiv zu arbei⸗ ten. Ich erinnere Sie weiter an unſere Tätigkeit an⸗ geſichts der herrſchenden Teuerung. Wir haben Be⸗ ſchlüſſe über Beſchlüſſe gefaßt, Maßnahmen zur Linde⸗ rung der Teuerung zu ergreifen. Alle die Maß⸗ nahmen, die wir vorgeſchlagen haben, die wirklich ge⸗ eignet geweſen wären, dem Uebel zu ſteuern, haben Sie abgelehnt. Sie haben ſich auf einen einzigen An⸗ trag beſchränkt, für den auch wir zu haben geweſen ſind, auf den Antrag, beſtimmten Beamten und Arbei⸗ 77 tern Teuerungszulagen zu gewähren. Ja, meine Herren, wenn Sie jeßt bei 100 % bleiben wollen, dann werden Sie ſich auch den Vorwurf vom Magi⸗ ſtrat gefallen laſſen müſſen: wir haben nicht die Mittel ufe⸗ ſelbſt dieſen beſcheidenen Antrag in die Tat um⸗ zuſetzen. (Lachen und Rufe: Ach, ach!) Wo ſollen wir ſparen? Ich bin ſehr begierig, das zu erfahren. Ich habe immer gelauert, daß Herr Kollege Frentzel nun endlich einmal ſagen würde, wo wir denn Abſtriche vornehmen ſollen. Er hat genau zwei Punkte angeführt, von denen ich einen bereits wider⸗ legt habe. Sollen vielleicht die Ausgaben für Pflaſte⸗ rung unterbleiben? Herr Kollege Frentzel hat ange⸗ deutet, daß wir damit warten ſollen, wenn ich recht verſtanden habe, bis der Jahresabſchluß vorliegt, um aus den etwaigen Ueberſchüſſen — ſo, wie wir es früher einmal getan haben — die Straßen pflaſtern zu laſſen. Ich glaube, wenn wir da Abſtriche vornehmen, ſo wür⸗ den ſich wieder die Hausagrarier empören, und nicht mit Unrecht; denn ſie haben ſchließlich ein Recht dar⸗ auf, daß ihre Straßen gut gepflaſtert ſind. Oder ſoll das Schulweſen leiden? Meiner Meinung nach ge⸗ nügen die 950 000 ℳ für Schulbauten noch lange nicht. Wir haben früher ganz erheblich höhere Sum⸗ men dafür verlangt. Die Anträge ſind leider meiſtens abgelehnt worden. Wir haben da ich gerade über das Gebiet des Schulweſens rede — auch noch ein Ver⸗ ſprechen zu erfüllen, das bisher noch nicht eingelöſt iſt: das iſt die Gewährung freier Lernmittel. Ich er⸗ innere Sie an das Kompromiß, das von Ihnen mit dem Magiſtrat geſchloſſen worden iſt. Sie haben doch das Kompromiß nicht auf Lebenszeit geſchloſſen? Die Zeit iſt jetzt abgelaufen. (Widerſpruch des Stadtv. Otto.) — Ja, es wird prolongiert, und nach fünf Jahren verlängern Sie es wieder. So drücken Sie ſich um die Erfüllung der Verſprechungen, die Sie früher gemacht haben, als Sie noch die Minderheit bildeten. Wol⸗ len Sie etwa die Spielplätze, für die der Magiſtrat Summen fordert, aus dem Etat ſtreichen, oder wo wollen Sie ſparen? Bisher iſt noch nicht die Möglich⸗ keit nachgewieſen worden, daß wir ſparen können, ohne daß wichtige Intereſſen der Stadt Charlottenburg dar⸗ unter leiden. (Rufe: Abwarten!) Ein dritter Weg wäre ja der, daß wir aus den Ueberſchüſſen unſerer Werke etwas mehr einſtellen. Das wäre auch ein gewagtes Experiment. Wir haben bereits aus dem Elektrizitätswerk 700 900 ℳ mehr als im Vorjahre eingeſtellt. Aus dem Gaswerk iſt etwas weniger eingeſtellt aus Gründen, die der Herr Kämmerer erläutert hat, und aus dem Waſſerwerk haben wir diesmal zum erſten Male 100 000 ℳ ein⸗ geſtellt. Ich glaube, mehr kann man beim beſten Willen aus den Werken nicht herausholen. Würden Sie aber durchaus mehr herauswirtſchaften wollen, ſo könnte das auch wieder nur geſchehen auf Koſten der beteiligten Arbeiter und Angeſtellten. Meine Herren, das kann doch unmöglich Ihr Wunſch ſein! Sie kön⸗ nen doch unmöglich die Abſicht haben, ſich um die 10 % zu drücken und auf der andern Seite die ſoziale 4 4 für die Angeſtellten der Stadt leiden zu aſſen.