—. 78 Alſo es gibt keinen Ausweg aus dieſem Dilemma. Herr Kollege Frentzel hat noch auf den Aus⸗ gleichsfonds hingewieſen und gemeint: wir haben doch ſchon einmal aus dem Ausgleichsfonds Geld ge⸗ nommen, wir können das auch jetzt wieder tun. Ge⸗ wiß iſt es richtig, daß wir im Jahre 1910 den Aus⸗ gleichsfonds bis zur Neige geleert haben. Aber Herr Kollege Frentzel wird ſich auch erinnern, daß meine Freunde damals dagegen ſofort Einſpruch erhoben haben. Ich ſelbſt habe ausgeführt, daß das keine richtige Finanzgebarung iſt. Ich habe darauf hin⸗ gewieſen, daß der damalige Etat tatſächlich bereits eine Unterbilanz aufwies, und daß wir nicht berechtigt ſeien, die fehlenden Mittel aus dem Ausgleichsfonds zu nehmen. (Zurufe: Es war aber doch richtig!) — Es hat ſich glänzend bewährt durch einen Zufall. (Heiterkeit.) Gewiß, nur durch einen Zufall. Ebenſo gut hätte es ſchief gehen können, und dann hätte ich mal Ihre langen Geſichter ſehen mögen. Wer weiß, ob ſich das diesmal bewährt. Wir dürfen ſolche Experimente nicht jahraus jahrein machen. Es kann auch einmal dahin kommen, daß wir den Ausgleichsfonds er⸗ ſchöpfen, daß wir dann im nächſten Jahre vor einem Nichts ſtehen und gezwungen ſind, vielleicht 20 % Steuern mehr zu erheben. Dann wäre die Gefahr, die Sie damit heraufbeſchworen haben, viel, viel größer. Meine Herren, es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als entweder nach neuen Steuerquellen zu ſuchen oder die Einkommenſteuer zu erhöhen. Neue Einkommenſteuerquellen haben wir nicht. Das Kom⸗ munalabgabengeſetz erlaubt uns nur in ſehr beſchei⸗ denem Umfange, Steuern zu erheben. Es bleibt uns allenfalls die Luſtbarkeitsſteuer übrig. Wie ich die Stimmung in der Verſammlung kenne, wird ſie da⸗ für nicht zu haben ſein, und einbringen wird ſie auch nicht allzuviel. Sie könnten auch an die Schankkon⸗ zeſſionsſteuer denken, die der Magiſtrat uns vor eini⸗ gen Jahren vorgeſchlagen hat, eine Vorlage, die er dann mit Rückſicht auf den Widerſtand der Verſamm⸗ lung zurückziehen mußte. (Stadtrat und Kämmerer Scholtz: Sie iſt noch dal) — Sie iſt noch da, wird aber hoffentlich nie wieder das Licht der Welt erblicken; denn der Magiſtrat wird ſich inzwiſchen überzeugt haben, daß andere Städte damit Fiasko gemacht haben. Alſo es bleibt gar kein uhen. Weg übrig, als die Einkommenſteuer zu er⸗ öhen. Nun wird geſagt: die Einkommenſteuernovelle bringt ganz von ſelbſt eine Erhöhung. Ich habe das auch früher einmal geglaubt. Aber nach dem Ver⸗ laufe, den die Verhandlungen darüber im Abgeord⸗ netenhauſe genommen haben, bin auch ich überzeugt, daß allenfalls die Steuerzuſchläge für die Staats⸗ ſteuern wieder auf einige Jahre bewilligt werden, daß man jedoch auf keinen Fall den Gemeinden die Mög⸗ chen. gibt, auch ihrerſeits Zuſchläge dauernd zu er⸗ en. 6 Herr Kollege Stadthagen ſprach dann wieder von der Flucht der Beſitzenden. Meine Herren, das iſt ein Lied, das man nun ſchon ſeit Urzeiten hier in der Sitzung vom 14. Februar 1912 Stadtverordnetenverſammlung hört. Aber ich kann nicht ſagen, daß Herr Kollege Stadthagen heute ſchö⸗ ner geſungen hat als vor einem Jahre und vor zwei Jahren. Glauben Sie doch nicht an das Märchen! Glauben Sie doch nicht daran, daß alle Steuerzahler in dem Augenblick, wo ſie 10 % mehr zahlen müſſen, plötzlich nach Wannſee ziehen oder in einen andern Villenvorort und ſich dort eine Villa bauen! 4 Gewiß mag es einige ſolcher Patrioten geben, die, ſowie es ans Portemonnaie geht, zeigen, wie es um die Liebe zu ihrer Heimatſtadt beſtellt iſt. Daran zweifle ich gar nicht. Herr Kollege Stadthagen hat dieſen Mitbürgern nicht gerade ein gutes Zeugnis ausgeſtellt. Aber die wollen wir ruhig entbehren; denn das ſind nicht die Bürger, auf deren Mitarbeit und deren Intereſſe das Wohl der Stadt Charotten⸗ burg beruht. Außerdem wird ja doch auch dieſen Elementen ſchließlich das Handwerk dadurch gelegt, daß die anderen Gemeinden gleichfalls gezwungen werden, höhere Steuern zu erheben. Alſo ich fürchte die Flucht der Beſitzenden nicht. 8 Es iſt auf die Verhandlungen hingewieſen, die im Berliner Rathauſe ſtattgefunden haben. Meine Herren, ich habe ſelbſt an den Verhandlungen teil⸗ genommen. Ich will nicht ſagen: einheitlich, aber von der großen Mehrheit iſt da der Wille zum Aus⸗ druck gekommen, wenn es notwendig iſt, auch über 100% hinauszugehen. Leider haben vereinzelte Städte einen anderen Standpunkt eingenommen. Aber, meine Herren, ich glaube, daß es bei gutem Willen doch noch möglich ſein wird, einheitlich einen Steuerzuſchlag von 110% für ganz Groß⸗Berlin ein⸗ zuführen. Herr Kollege Frentzel hat zu meinem Bedauern den Ausſpruch getan, daß wir den Etat ganz allein aus unſeren Verhältniſſen heraus zu beurteilen haben. Das iſt ein Ausſpruch, der ſich nicht mit dem deckt, was früher von Ihrer Seite geſagt worden iſt. Früher waren gerade Sie es, die immer und immer wieder die Notwendigkeit betont haben, gemeinſam mit Groß⸗ Berlin vorzugehen. Heute haben Sie dieſen Weg ver⸗ laſſen; heute ſtellen Sie ſich auf denſelben rückſchritt⸗ lichen Standpunkt, auf den ſich Wilmersdorf ſtellt, einen Standpunkt, der in der erwähnten Berliner Konferenz von allen Seiten auf das ſchärfſte verur⸗ teilt worden iſt. Herr Kollege Frentzel ſprach weiter davon, wir wollten doch nicht eine Theſaurierungspolitik um an⸗ derer Gemeinden willen treiben. Nein, meine Herren, eine Theſaurierungspolitik treiben wir noch lange nicht. Der Herr Kämmerer hat ja nachgewieſen, daß wir die 110% brauchen. Und Herr Kollege Frentzel, wenn es ſich herausſtellt, daß wir dadurch zu viel Geld bekommen, dann verpflichte ich mich, Ihnen in einer einzigen Sitzung Anträge vorzubringen, (Stadtv. Dr. Frentzel: Das glaube ich gern! — Heiterkeit) die Ihnen den richtigen Weg für die Verwendung der Gelder angeben. Ich will bei der heutigen Situation auf Einzel⸗ heiten des Etats nicht eingehen. Die Hauptfrage iſt in dieſem Jahre die Steuerfrage, und dieſer Frage gegenüber ſind alle anderen Fragen Nebenfragen. Auch die Herren Vorredner haben ſich ja erfreulicher⸗ weiſe auf Einzelheiten nicht eingelaſſen. Ich möchte nur das eine ſagen: daß derjenige, der eine kurzſichtige Politik betreibt, und der einfach